"Die Figur, die Michelangelos Nähe zu dieser häretischen Gruppe am deutlichsten macht, ist die Darstellung des aktiven Lebens. Eine Skulptur, die zur Linken der Mosesfigur steht. In ihrer linken Hand hält diese Frauenfigur eine Lorbeergirlande. Eine solche Girlande ist nach dem Heiligen Paulus ein Symbol der guten Taten. So wie der Lorbeer immergrün ist, so sind auch die guten Taten ewig. Das Symbol der kreisförmigen Girlande ist ebenfalls ein Zeichen: für die Endlosigkeit des Guten."
Der römische Kunsthistoriker und Restaurator Antonio Forcellino ist sich sicher: das berühmte Grabmal für Papst Julius II. in der römischen Kirche San Pietro in Vincoli ist nicht nur ein Hauptwerk Michelangelos, sondern auch der konkrete Beweis dafür, dass der Renaissancemeister einer Gruppe von Personen angehörte, die ganz anders als die offizielle katholische Kirche jener Zeit dachten. Einige der Skulpturen des Grabmals machen das deutlich.
"In der rechten Hand hält die Allegorie des aktiven Lebens eine Fackel, die für die Gruppe der "Spirituali" steht. Die Erklärung für dieses Symbol kann man in den Schriften dieser Gruppe nachlesen. Die Fackel ist ein Synonym für das Licht der Wahrheit, das auch das Papsttum erleuchten sollte. Michelangelo wurde damals, erfolglos, dazu aufgefordert, Lorbeerkranz und Fackel zu entfernen, die ganz richtig als Symbole der "Spirituali" gedeutet wurden."
Antonio Forcellino ist es zu verdanken, dass eine Seite Michelangelos beleuchtet wird, die in dieser Schärfe bisher unbekannt war. Dem Kunsthistoriker ist es nach mehrjähriger Forschungsarbeit in Bibliotheken und dank der von ihm geleiteten Restaurierung des Grabmals für Julius II. gelungen, einen direkten Zusammenhang zwischen dem Künstler und den so genannten "Spirituali" herzustellen. Ein Zusammenhang, der bis dato nur vermutet wurde, für den es aber keine Beweise gab. Beweise, die Forcellino in Archiven entdeckte:
"Michelangelo hat im Nachhinein die Ikonographie seines Grabmals für den Papst verändert. Das war 1542, so die Dokumente. Er besserte nach, er veränderte, was damit erklärt werden muss, dass er als reifer Mann den Ideen jener Gruppe anhing, die sich in Viterbo, nördlich von Rom, um den britischen Kardinal Reginald Pole gebildet hatte."
Pole war päpstlicher Legat beim Konzil von Trient und wurde zu einem der interessantesten Protagonisten der katholischen Gegenreformation. Nach seinem aktiven Leben zog er sich nach Viterbo zurück, wo er den "Spirituali" vorstand; einem, man würde heute sagen, Intellektuellenzirkel, dem unter anderen verschiedene Kardinäle, einflussreiche Adlige wie Vittoria Colonna und der spanische Mystiker Juan de Valdés angehörten, der wegen seiner gedanklichen Nähe zu reformatorischen Ideen in der römischen Kirche nicht gern gesehen war. Die "Spirituali" verfolgten das Ideal einer geläuterten katholischen Kirche: weniger machtpolitisch ausgerichtet und wieder spiritueller, gereinigt von den Sünden vergangener Jahrhunderte. Vorstellungen, die gefährlich denen der Protestanten glichen. Überzeugt von diesen Idealen, so Forcellino, revidierte Michelangelo sein Projekt für das päpstliche Grabmal:
"Michelangelo, das kann man jetzt ganz klar sagen, verfolgte häretische Ideen und geriet in hohem Alter auch deshalb in Konflikt mit der Kirche. Einer Kurie, der es gar nicht gefiel, dass er Julius II. auf dem Grabmal nicht als triumphierenden Papst der Hochrenaissance darstellte, sondern nachdenklich, in sich gekehrt. Die Figur eines Papstes, wie die "Spirituali" ihn sich wünschten. Nach dieser Lesart war Michelangelo zu einem Künstler geworden, der den Glauben als etwa nach Innen Gekehrtes verstand."
Diese neue Lesart des Grabmals von San Pietro in Vincoli sorgt in Italien für Diskussionen. Vor allem auch deshalb, weil sie, so Forcellino, immer noch der offiziellen kirchlichen Interpretation widerspricht, die eine Nähe Michelangelos zu den "Spirituali" verwirft.
Claudio Strinati, einer der angesehensten italienischen Renaissancespezialisten und Superintendent der römischen Kunstgüter, bezeichnet Forcellinos Entdeckungen als bahnbrechend:
"Eine sehr interessante Spur, die da entdeckt wurde und die auch schon deshalb glaubwürdig ist, weil in jenen Jahren im hohen Klerus in Rom Ideen vagabundierten, die man fast als pro-lutherisch bezeichnen könnte. Michelangelo fühlte sich sicherlich auch von den Ideen der "Spirituali" angezogen, weil er Päpste aus direkter Nähe kannte und immer wieder mit ihnen aneinander geriet. Je älter er wurde, umso mehr störte er sich an ihrem Auftreten. Er war aber sicherlich nicht der einzige Künstler, der dieser oder ähnlicher Gruppierungen angehörten, die die Kirche aus sich heraus reformieren wollten."
Aber Michelangelo, so Strinati, sei der einzige Künstler, bei dem es nun, dank der Forschungen Forcellinos, als wissenschaftlich nachgewiesen gelten darf, dass er mit einer solchen Gruppe sympathisierte.
Der römische Kunsthistoriker und Restaurator Antonio Forcellino ist sich sicher: das berühmte Grabmal für Papst Julius II. in der römischen Kirche San Pietro in Vincoli ist nicht nur ein Hauptwerk Michelangelos, sondern auch der konkrete Beweis dafür, dass der Renaissancemeister einer Gruppe von Personen angehörte, die ganz anders als die offizielle katholische Kirche jener Zeit dachten. Einige der Skulpturen des Grabmals machen das deutlich.
"In der rechten Hand hält die Allegorie des aktiven Lebens eine Fackel, die für die Gruppe der "Spirituali" steht. Die Erklärung für dieses Symbol kann man in den Schriften dieser Gruppe nachlesen. Die Fackel ist ein Synonym für das Licht der Wahrheit, das auch das Papsttum erleuchten sollte. Michelangelo wurde damals, erfolglos, dazu aufgefordert, Lorbeerkranz und Fackel zu entfernen, die ganz richtig als Symbole der "Spirituali" gedeutet wurden."
Antonio Forcellino ist es zu verdanken, dass eine Seite Michelangelos beleuchtet wird, die in dieser Schärfe bisher unbekannt war. Dem Kunsthistoriker ist es nach mehrjähriger Forschungsarbeit in Bibliotheken und dank der von ihm geleiteten Restaurierung des Grabmals für Julius II. gelungen, einen direkten Zusammenhang zwischen dem Künstler und den so genannten "Spirituali" herzustellen. Ein Zusammenhang, der bis dato nur vermutet wurde, für den es aber keine Beweise gab. Beweise, die Forcellino in Archiven entdeckte:
"Michelangelo hat im Nachhinein die Ikonographie seines Grabmals für den Papst verändert. Das war 1542, so die Dokumente. Er besserte nach, er veränderte, was damit erklärt werden muss, dass er als reifer Mann den Ideen jener Gruppe anhing, die sich in Viterbo, nördlich von Rom, um den britischen Kardinal Reginald Pole gebildet hatte."
Pole war päpstlicher Legat beim Konzil von Trient und wurde zu einem der interessantesten Protagonisten der katholischen Gegenreformation. Nach seinem aktiven Leben zog er sich nach Viterbo zurück, wo er den "Spirituali" vorstand; einem, man würde heute sagen, Intellektuellenzirkel, dem unter anderen verschiedene Kardinäle, einflussreiche Adlige wie Vittoria Colonna und der spanische Mystiker Juan de Valdés angehörten, der wegen seiner gedanklichen Nähe zu reformatorischen Ideen in der römischen Kirche nicht gern gesehen war. Die "Spirituali" verfolgten das Ideal einer geläuterten katholischen Kirche: weniger machtpolitisch ausgerichtet und wieder spiritueller, gereinigt von den Sünden vergangener Jahrhunderte. Vorstellungen, die gefährlich denen der Protestanten glichen. Überzeugt von diesen Idealen, so Forcellino, revidierte Michelangelo sein Projekt für das päpstliche Grabmal:
"Michelangelo, das kann man jetzt ganz klar sagen, verfolgte häretische Ideen und geriet in hohem Alter auch deshalb in Konflikt mit der Kirche. Einer Kurie, der es gar nicht gefiel, dass er Julius II. auf dem Grabmal nicht als triumphierenden Papst der Hochrenaissance darstellte, sondern nachdenklich, in sich gekehrt. Die Figur eines Papstes, wie die "Spirituali" ihn sich wünschten. Nach dieser Lesart war Michelangelo zu einem Künstler geworden, der den Glauben als etwa nach Innen Gekehrtes verstand."
Diese neue Lesart des Grabmals von San Pietro in Vincoli sorgt in Italien für Diskussionen. Vor allem auch deshalb, weil sie, so Forcellino, immer noch der offiziellen kirchlichen Interpretation widerspricht, die eine Nähe Michelangelos zu den "Spirituali" verwirft.
Claudio Strinati, einer der angesehensten italienischen Renaissancespezialisten und Superintendent der römischen Kunstgüter, bezeichnet Forcellinos Entdeckungen als bahnbrechend:
"Eine sehr interessante Spur, die da entdeckt wurde und die auch schon deshalb glaubwürdig ist, weil in jenen Jahren im hohen Klerus in Rom Ideen vagabundierten, die man fast als pro-lutherisch bezeichnen könnte. Michelangelo fühlte sich sicherlich auch von den Ideen der "Spirituali" angezogen, weil er Päpste aus direkter Nähe kannte und immer wieder mit ihnen aneinander geriet. Je älter er wurde, umso mehr störte er sich an ihrem Auftreten. Er war aber sicherlich nicht der einzige Künstler, der dieser oder ähnlicher Gruppierungen angehörten, die die Kirche aus sich heraus reformieren wollten."
Aber Michelangelo, so Strinati, sei der einzige Künstler, bei dem es nun, dank der Forschungen Forcellinos, als wissenschaftlich nachgewiesen gelten darf, dass er mit einer solchen Gruppe sympathisierte.