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Microsklaven

Seit er seinen Bestseller >>Generation X<< veröffentlichte, gilt Douglas Coupland, Jahrgang 1961, als Kulturreporter des Computerzeitalters, ja, als dessen literarischer Chronist. Sein neuer Roman "Microsklaven" ist eine munter vorgetragene, minutiöse Studie über die Befindlichkeit junger Computertüftler, Angestellte bei diversen Softwareimperien, etwa bei Microsoft. Couplands sogenannte Microsklaven sind mit ihrem Los soweit zufrieden. Fragen wie die, wem ihre Arbeit nützt, welche Folgen sie hat, werden schlicht beantwortet: Man befriedigt seinen intellektuellen Stolz, indem man ein Produkt herausbringt und damit Geld verdient. Klaglos bewußt oder bewußt klaglos sagt Dan, der tagebuchschreibende Erzähler des Romans, natürlich seien sie alle detailfixierte, hypersensible, kontaktgestörte Worcaholics. So ist das eben bei ihnen: Man mißt seinen Selbstwert an der Anzahl der Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, stottert bei der Frage nach einem Hobby eine nette Lüge daher und findet, als Mann oder Frau selbst recht lustlos, die neuen Technologien seien einfach sexy.

Sabine Peters |
    Dan aber schreibt nicht grundlos Tagebuch; er kann nicht schlafen, ihm fehlt eine Liebste, und die tollen Technologien machen seinen Dad, der bei IBM gearbeitet hat, arbeitslos. Couplands Dan erscheint zunächst sowohl als Produkt wie auch als Vertreter der knallharten postindustriellen Lebensphilosophie und Wirklichkeit. Er findet, wer älter als 50 Jahre sei, solle tot sein oder könne vergessen werden, Arbeitslose seien an ihrem Schicksal selbst schuld: "wenn du es nicht schaffst, der Gesellschaft zu dienen, ist das dein Problem und nicht das der Gesellschaft".

    Aber als Dad den Job verliert, findet der Sohn das doch nicht ganz richtig. Dan bzw. sein Autor wissen ja nun vom Computer, wie man Probleme löst. Im Fall Dad ist die Lösung simpel; Dan und die Kollegen kündigen nacheinander bei Microsoft und gründen ihre eigene Software-Firma, so daß auch Dad, lernbereit und mobil, wieder Arbeit findet. Im Verlauf des Romans werden aus Monaden Freunde und Liebespaare, die richtig menschlich und nett miteinander umgehen; es entwickelt sich ein großer, intakter Familienclan, in dem jeder für jeden sorgt, solange "face-time" ist: Direkte Kommunikation von Mensch zu Mensch ist schließlich anstrengend, und außerdem wird auch in der eigenen Firma wieder stramm 10 - 12 Stunden täglich gearbeitet.

    Computerfreak bleibt Computerfreak, und doch gibt es die nur allzu deutliche, naive Entwicklung bei Coupland, ein rührseliges Happy-End mit Tränen und frommen Gedanken: Waren die Programmierer anfangs emotional verarmte Zombies, so werden sie zu guter Letzt liebevolle, "ganze" Menschen.

    Der Roman ist in vieler Hinsicht ärgerlich. Über zahlreiche Seiten hin wird nicht erzählt, sondern aufgezählt: Das Essen der Protagonisten, ihre Autos, Gegenstände in Büros, Wohnungseinrichtungen, elektronische Spielzeuge, Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen Apple und Microsoft. Ein rein additiver Aufbau nach dem schlichten Muster "und-und-und". Dazu kommen die willkürlich eingeschobenen Wortlisten, die Dans "Unterbewußtseinsdatei” ausspuckt; da liest man ratlos beziehungsweise gelangweilt etwa folgendes:

    "Kung Fu Plattform Kraft-Scheibletten schnurlos hirntot Silo Manager-Lebensstil Implikator format tools".

    Coupland erspart den Lesern auch nicht die Vorführung dessen, was so ein Computer alles kann. Er druckt Buchseiten im binären Eins-Null-Code oder mit den Sonderzeichen aus dem ASCII-Code aus, und immer mal wieder besteht eine Buchseite aus der Wiederholung so bedeutungsschwerer Wörter wie "money" oder "machine".

    Nun könnte man über solche Füllsel hinwegsehen und festhalten: gut, das Buch ist eine demonstrative, detailgenaue oder eben detailfixierte Darstellung des Menschentyps Computerfreak. Man könnte sagen, hier handele es sich um eine satirische, vielleicht gar selbstironische Psycho-Soziologie der Software-Angestellten - aber ach, da ist eben die frohe Botschaft, die message des Romans. Sie könnte direkt der Werbung entsprungen sein und lautet kurz und erfreulich, die neuen Technologien bringen uns, wer immer das auch ist, zusammen. Couplands Romantitel "Mikrosklaven" legt nahe, hier handele es sich um eine kritische Auseinandersetzung mit der allerdings brisanten Problematik der neuen Technologien - und eben die bleibt aus. Nun erwartet man zwar nicht gerade einen Aufstand von den Mitgliedern der von Coupland beschriebenen Schicht, dem weißen Mittelstand; aber es fehlt auch die kleinste Reflexion des eigenen Tuns, es bleibt bei munterem Einverstandensein. Über Couplands "Literatur aus der Arbeitswelt" kann sich jeder Unternehmer nur freuen, hier wird endlich beschrieben, wie aus zwei Seiten ein Ganzes wird. Dans Kollegin beispielsweise ist so freimütig, zu wissen, daß die Menschheit Probleme habe und daß man versuche, sich mittels Computer aus diesen Problemen hinauszuträumen, was ganz in Ordnung sei, denn Sinn und Ziel der menschlichen Spezies seien Entwicklung und Kreativität. Und was ist kreativ? Ganz einfach: Computersysteme erfinden und jeweils der erste sein, der mit der ersten Version von irgend etwas Coolem herauskommt. Leider kann Coupland es nicht einmal bei solchem selbstbewußtem Zynismus belassen. Seine schöne neue Welt muß auch noch heil sein, und da taugen offenbar nur die guten alten Werte. Die Moral des Romans lautet: Vergiß Mom und Dad nicht, bete und arbeite, be a brave boy. Sklaven? Hörige? Ach wo. Couplands Figuren lernen, positiv zu fühlen und zu denken. Spiritualität. Massage. Selbstfindung. Das ist das besonders Peinliche an diesem Roman: Zynismus, der in Kitsch ausläuft.