Jürgen Liminski: Die Rentenfrage, sie ist eng verknüpft mit der demografischen Entwicklung. Darauf haben schon in den 70er-Jahren einige wenige Experten hingewiesen, unter ihnen Professor Meinhard Miegel. Ihn hat mein Kollege Jürgen Zurheide hier im Deutschlandfunk gestern Abend zur erneuten Rentendebatte befragt und seine erste Frage galt dem Anlass der aktuellen Debatte, nämlich ob der Befund der drohenden Altersarmut zutreffe.
Meinhard Miegel: Absolut zutreffend. Wir werden in den kommenden 20, 30 Jahren einen wachsenden Anteil von alten Menschen haben, die keine existenzsichernde Versorgung mehr aus dem gesetzlichen Sicherungssystem bekommen.
Jürgen Zurheide: Hat das "nur" damit zu tun, dass wir eine zunehmende Zahl an Niedrigverdienern haben, oder ist das System insgesamt an Grenzen gestoßen?
Miegel: Das System ist insgesamt an Grenzen gestoßen. Wir müssen uns einmal vor Augen führen, dass das heutige Alterssicherungssystem seine wesentliche Ausprägung in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts bekommen hat, 1957, um genau zu sein. Zu diesem Zeitpunkt kamen fünf Beitragszahler auf einen Rentner und die jährlichen Lohnerhöhungen lagen real, also kaufkraftmäßig, bei fünf Prozent. Da war es verhältnismäßig leicht, ein solches System zu etablieren. Schon in den 70er-Jahren fing es an zu wackeln und seitdem ist es immer schwächer geworden. Seit den 70er-Jahren – ich habe gar nicht mehr genau nachgerechnet – haben wir ungefähr 23 oder 24 Rentenreformen gehabt, so nannte sich das. Alle diese sogenannten Reformen bestanden immer nur aus dem einen: Erhöhung der Beiträge, Senkung der Leistungen, was auch ganz unvermeidlich war, weil nämlich die Relation zwischen Beitragszahlern und Rentnern immer ungünstiger wurde und wir seit langer Zeit keine realen Einkommenserhöhungen mehr haben.
Zurheide: Ich will nur einmal kurz die Parenthese aufmachen, wir reden gleich über grundsätzliche Änderungen: Hat es nicht auch damit zu tun, dass Massenarbeitslosigkeit oder jedenfalls Arbeitslosigkeit weit über sechs, sieben, manchmal zehn, zwölf Prozent sich etabliert hat? Das gibt natürlich zusätzlichen Druck. Oder hat es nur das Problem verschärft?
Miegel: Es hat das Problem verschärft. In der Vergangenheit, also in den 50er-, 60er-Jahren, hatten wir eine sehr, sehr niedrige Arbeitslosigkeit, auch noch in den 70er-Jahren. Das schwankte zwar immer etwas, aber im Großen und Ganzen hat die Arbeitslosigkeit erst in der Folgezeit zugenommen. Aber wie wir sehen, haben wir ja seit einer ganzen Reihe von Jahren eine, im internationalen und auch im historischen Vergleich verhältnismäßig geringe Arbeitslosenquote. Nur: Die Qualität, die Komposition der Arbeit hat sich so nachhaltig verändert. Wir hatten in den 50er- und 60er-Jahren praktisch keine Teilzeitbeschäftigung, wir hatten keine geringfügige Beschäftigung, das waren alles ganz normale Vollzeitarbeitskräfte, und das System beruht eben auf dieser Komposition Vollzeitbeschäftigter, günstige Relation zwischen Beitragszahlern und Rentnern und permanente Einkommenssteigerung, und das haben wir alles seit ungefähr 20, 25 Jahren nicht mehr.
Zurheide: Jetzt gehören Sie, Herr Miegel, zu denjenigen, die das schon sehr früh gesagt haben, dass das so nicht weiter wird funktionieren können. Sowohl die jungen in der CDU, wie die Alten sagen, wir brauchen einen grundsätzlichen Reset und die kommen am Ende dahin, wo Sie schon mal waren – ich skizziere es kurz: steuerfinanzierte Grundrente, dann betriebliche und private Komponenten oben drauf. Ist das der Weg in die Zukunft?
Miegel: Ja, ich meine schon. Ich habe vor 25 Jahren damit angefangen. Wenn wir das System damals eingeführt hätten, dann wären wir längst raus aus diesem Schlamassel, wir würden über alle diese Fragen nicht mehr diskutieren. Die Grundsicherung, von der wir gesprochen haben, läge heute bei etwa 1100 Euro pro Kopf der über 65-Jährigen. Das heißt, im Zwei-Personen-Haushalt gäbe es 2200 Euro. Damit kann jeder Haushalt auskommen, das Gemeinwesen brauchte sich also nicht mehr um die ganze Frage zu kümmern, wie sieht das aus in diesen Altenhaushalten, gibt es da Altersarmut und dergleichen. Wer mehr haben will als das, der muss etwas dazu sparen, der muss privat Altersvorsorge noch betreiben, aber er muss es nicht, er kann auch sagen, mir reicht das. Aber was ganz wichtig ist: Wir reden immer von den Rentnern. In dieses System einbezogen werden muss selbstverständlich auch der Beamtenanteil. Die Abgeordneten von Landtagen und Bundestagen, Hochschullehrer, um über mich selbst zu sprechen, müssen einbezogen werden in dieses System. Es macht doch gar keinen Sinn, dass wir Systeme zum Teil aus dem 18., 19. Jahrhundert in das 21. Jahrhundert hineinzuschleppen versuchen. Die Rechnung kann nicht aufgehen und sie geht ja auch nicht auf.
Zurheide: Der Gegeneinwand, auf den Sie hundertfach geantwortet haben – ich stelle Sie Ihnen trotzdem: In der Übergangsphase, sagen viele, wäre es zu teuer gewesen, weil man eine Doppelbelastung hat. Warum stimmt das aus Ihrer Sicht nicht?
Miegel: Nein, das ist immer schon Unsinn gewesen. Das ist ein schleichender Prozess. Die Beiträge, die heute von den Erwerbstätigen gezahlt werden, werden abgesenkt über einen Zeitraum von 20 Jahren. Parallel dazu oder analog dazu werden die Steuern erhöht. Es kommt also nie zu einer Doppelbelastung und alles, was da behauptet worden ist von Doppelt- und Dreifachbelastung, war völlig aus der Luft gegriffen.
Zurheide: Letzte Frage: Warum ist es dann nie gelungen? Ist die Erkenntnisfähigkeit der Gesellschaft so gering geworden, oder des politischen Systems?
Miegel: Ja ich weiß nicht, ob es Gesellschaft ist oder politisches System. Ich glaube eher, es ist das politische System. Die Gesellschaft wäre mehrheitlich sicherlich sehr einverstanden mit einer solchen Grundsicherung, wie ich sie eben skizziert habe. Aber das ist alles mit Aufwand verbunden, es wäre erklärungsbedürftig gewesen, und davor ist die Politik zurückgeschreckt.
Liminski: Der Demographie- und Rentenexperte Meinhard Miegel gestern Abend im Gespräch mit dem Kollegen Jürgen Zurheide.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Meinhard Miegel: Absolut zutreffend. Wir werden in den kommenden 20, 30 Jahren einen wachsenden Anteil von alten Menschen haben, die keine existenzsichernde Versorgung mehr aus dem gesetzlichen Sicherungssystem bekommen.
Jürgen Zurheide: Hat das "nur" damit zu tun, dass wir eine zunehmende Zahl an Niedrigverdienern haben, oder ist das System insgesamt an Grenzen gestoßen?
Miegel: Das System ist insgesamt an Grenzen gestoßen. Wir müssen uns einmal vor Augen führen, dass das heutige Alterssicherungssystem seine wesentliche Ausprägung in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts bekommen hat, 1957, um genau zu sein. Zu diesem Zeitpunkt kamen fünf Beitragszahler auf einen Rentner und die jährlichen Lohnerhöhungen lagen real, also kaufkraftmäßig, bei fünf Prozent. Da war es verhältnismäßig leicht, ein solches System zu etablieren. Schon in den 70er-Jahren fing es an zu wackeln und seitdem ist es immer schwächer geworden. Seit den 70er-Jahren – ich habe gar nicht mehr genau nachgerechnet – haben wir ungefähr 23 oder 24 Rentenreformen gehabt, so nannte sich das. Alle diese sogenannten Reformen bestanden immer nur aus dem einen: Erhöhung der Beiträge, Senkung der Leistungen, was auch ganz unvermeidlich war, weil nämlich die Relation zwischen Beitragszahlern und Rentnern immer ungünstiger wurde und wir seit langer Zeit keine realen Einkommenserhöhungen mehr haben.
Zurheide: Ich will nur einmal kurz die Parenthese aufmachen, wir reden gleich über grundsätzliche Änderungen: Hat es nicht auch damit zu tun, dass Massenarbeitslosigkeit oder jedenfalls Arbeitslosigkeit weit über sechs, sieben, manchmal zehn, zwölf Prozent sich etabliert hat? Das gibt natürlich zusätzlichen Druck. Oder hat es nur das Problem verschärft?
Miegel: Es hat das Problem verschärft. In der Vergangenheit, also in den 50er-, 60er-Jahren, hatten wir eine sehr, sehr niedrige Arbeitslosigkeit, auch noch in den 70er-Jahren. Das schwankte zwar immer etwas, aber im Großen und Ganzen hat die Arbeitslosigkeit erst in der Folgezeit zugenommen. Aber wie wir sehen, haben wir ja seit einer ganzen Reihe von Jahren eine, im internationalen und auch im historischen Vergleich verhältnismäßig geringe Arbeitslosenquote. Nur: Die Qualität, die Komposition der Arbeit hat sich so nachhaltig verändert. Wir hatten in den 50er- und 60er-Jahren praktisch keine Teilzeitbeschäftigung, wir hatten keine geringfügige Beschäftigung, das waren alles ganz normale Vollzeitarbeitskräfte, und das System beruht eben auf dieser Komposition Vollzeitbeschäftigter, günstige Relation zwischen Beitragszahlern und Rentnern und permanente Einkommenssteigerung, und das haben wir alles seit ungefähr 20, 25 Jahren nicht mehr.
Zurheide: Jetzt gehören Sie, Herr Miegel, zu denjenigen, die das schon sehr früh gesagt haben, dass das so nicht weiter wird funktionieren können. Sowohl die jungen in der CDU, wie die Alten sagen, wir brauchen einen grundsätzlichen Reset und die kommen am Ende dahin, wo Sie schon mal waren – ich skizziere es kurz: steuerfinanzierte Grundrente, dann betriebliche und private Komponenten oben drauf. Ist das der Weg in die Zukunft?
Miegel: Ja, ich meine schon. Ich habe vor 25 Jahren damit angefangen. Wenn wir das System damals eingeführt hätten, dann wären wir längst raus aus diesem Schlamassel, wir würden über alle diese Fragen nicht mehr diskutieren. Die Grundsicherung, von der wir gesprochen haben, läge heute bei etwa 1100 Euro pro Kopf der über 65-Jährigen. Das heißt, im Zwei-Personen-Haushalt gäbe es 2200 Euro. Damit kann jeder Haushalt auskommen, das Gemeinwesen brauchte sich also nicht mehr um die ganze Frage zu kümmern, wie sieht das aus in diesen Altenhaushalten, gibt es da Altersarmut und dergleichen. Wer mehr haben will als das, der muss etwas dazu sparen, der muss privat Altersvorsorge noch betreiben, aber er muss es nicht, er kann auch sagen, mir reicht das. Aber was ganz wichtig ist: Wir reden immer von den Rentnern. In dieses System einbezogen werden muss selbstverständlich auch der Beamtenanteil. Die Abgeordneten von Landtagen und Bundestagen, Hochschullehrer, um über mich selbst zu sprechen, müssen einbezogen werden in dieses System. Es macht doch gar keinen Sinn, dass wir Systeme zum Teil aus dem 18., 19. Jahrhundert in das 21. Jahrhundert hineinzuschleppen versuchen. Die Rechnung kann nicht aufgehen und sie geht ja auch nicht auf.
Zurheide: Der Gegeneinwand, auf den Sie hundertfach geantwortet haben – ich stelle Sie Ihnen trotzdem: In der Übergangsphase, sagen viele, wäre es zu teuer gewesen, weil man eine Doppelbelastung hat. Warum stimmt das aus Ihrer Sicht nicht?
Miegel: Nein, das ist immer schon Unsinn gewesen. Das ist ein schleichender Prozess. Die Beiträge, die heute von den Erwerbstätigen gezahlt werden, werden abgesenkt über einen Zeitraum von 20 Jahren. Parallel dazu oder analog dazu werden die Steuern erhöht. Es kommt also nie zu einer Doppelbelastung und alles, was da behauptet worden ist von Doppelt- und Dreifachbelastung, war völlig aus der Luft gegriffen.
Zurheide: Letzte Frage: Warum ist es dann nie gelungen? Ist die Erkenntnisfähigkeit der Gesellschaft so gering geworden, oder des politischen Systems?
Miegel: Ja ich weiß nicht, ob es Gesellschaft ist oder politisches System. Ich glaube eher, es ist das politische System. Die Gesellschaft wäre mehrheitlich sicherlich sehr einverstanden mit einer solchen Grundsicherung, wie ich sie eben skizziert habe. Aber das ist alles mit Aufwand verbunden, es wäre erklärungsbedürftig gewesen, und davor ist die Politik zurückgeschreckt.
Liminski: Der Demographie- und Rentenexperte Meinhard Miegel gestern Abend im Gespräch mit dem Kollegen Jürgen Zurheide.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.