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Miersch (SPD) zum Klimakabinett
"Wir brauchen 65 Prozent Erneuerbare Energien bis 2030"

Was in der Windindustrie los sei, sei ein Desaster, sagte Matthias Miersch, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, im Dlf. Es müsse gesetzlich garantiert werden, dass "der Ausbau erneuerbarer Energien in den nächsten zehn Jahren nicht so lahm ist, wie wir es in den letzten Jahren erlebt haben."

Matthias Miersch im Gespräch mit Christiane Kaess |
Der umweltpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Matthias Miersch.
Der SPD-Linke und umweltpolitische Sprecher der Partei im Bundestag, Matthias Miersch. (picture alliance / dpa / Tobias Kleinschmidt)
Christiane Kaess: Der große Wurf beim Klimaschutz soll es werden, deshalb blicken alle gespannt auf den kommenden Freitag, an dem das sogenannte Klimakabinett der Bundesregierung in Berlin seine Strategie festlegen will, wie es seinen Klimazielen, denen es auch international verpflichtet ist, besser nachkommen kann als bisher. Über einige Punkte wird schon jetzt diskutiert, auf den letzten Metern zur entscheidenden Sitzung in einer Woche sind noch ein paar Hürden zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen der Koalitionspartner Union und SPD zu nehmen. Gestern Abend gab es dazu ein Treffen der Koalitionsspitzen in Berlin. Und da fragen wir nach bei Matthias Miersch, er ist als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag zuständig für die Themen Umwelt und Energie Guten Morgen, Herr Miersch!
Matthias Miersch: Guten Morgen!
"Nicht die Einsparpotenziale gehoben, die notwendig sind"
Kaess: Schützenhilfe von den Grünen, so hat unser Korrespondent das gerade formuliert. Ich sage noch mal, worum es geht: Für jeden Sektor, verlangen die Grünen, muss klar sein, wie viel CO2 pro Jahr reduziert wird – und Sanktionen muss es geben, wenn das Ziel nicht erreicht wird. Wird das zu den Beschlüssen gehören, die das Klimakabinett treffen wird?
Miersch: Ich halte das für dringend notwendig, weil wir ja in den letzten Jahren gesehen haben, dass gerade die Verkehrsminister, aber auch die Bauminister, auch die Landwirtschaftsminister genau in diesen, in ihren Sektoren nicht die Einsparpotenziale gehoben haben, die notwendig sind. Und deswegen hat Svenja Schulze in ihrem Klimaschutzgesetzentwurf vom Februar genau einen solchen Mechanismus vorgeschlagen. Und es geht darum, dass wir nicht wieder in eine Phase kommen, wo viel geredet wird und wenig gemacht wird – genau das müssen wir verhindern.
"Der Beweis muss stehen, dass diese Koalition das erreicht"
Kaess: Aber Sie müssen, Herr Miersch, die Union davon überzeugen. Was tut sich da?
Miersch: Ja, was ich höre, war das gestern sehr konstruktiv und man ist fest entschlossen, am 20. wirklich zu einem Ergebnis zu kommen, was tragfähig ist. Denn machen wir uns nichts vor, der öffentliche Druck ist da, allerdings auch von zwei Seiten: Es gibt eine Polarisierung von der einen Seite, bitte verschont uns möglichst, und die anderen von Fridays for Future und anderen. Vor dieser Bewegung haben wir im Koalitionsvertrag feste Vereinbarungen gemacht, wir wollen die Klimaziele 2030 erreichen. Und am Ende, auch an diesen Freitag, muss der Beweis stehen, dass diese Koalition das erreicht.
EU-Milliardenstrafen, wenn nicht geliefert wird
Kaess: Und dazu, da muss ich noch mal nachfragen, wird auch gehören, das, was die Grünen jetzt fordern, dass jeder Sektor sich klar sein muss, wie viel CO2 er pro Jahr einsparen muss – und dass es eventuell auch Sanktionen gibt.
Miersch: Ja, weil wir ansonsten wieder Folgendes machen: Wir haben möglicherweise im Energiesektor, was ich für dringend notwendig halte, das Ergebnis der Kohlekommission, das müssen wir umsetzen, ein Kohleausstiegsgesetz, das muss auch in diesem Jahr kommen und auch den Bundestag passieren. Aber das reicht alleine nicht aus. Und in den letzten Jahren haben wir gesehen, dass vor allem im Verkehrssektor viel geredet worden ist, aber wenig getan worden ist. Und deswegen muss die Bundesregierung sozusagen einen Kontrollmechanismus auf den Weg bringen, dass wir immer wieder kontrollieren, wie weit sind wir, wie wirken die Maßnahmen, die sicherlich am 20. auch mit beschlossen werden. Und wenn wir nicht diese Maßnahmen beziehungsweise diese Ergebnisse erzielen, dann muss gegengesteuert werden, weil es ansonsten richtig teuer wird. Wir haben auf der europäischen Ebene ein System, wo wir Milliarden im Zweifel zahlen müssen, wenn wir in dem Sektor nicht liefern.
Bedenken vor sozialen Verwerfungen bei der CO2-Bepreisung
Kaess: Also darauf wird die SPD die Union festnageln, so verstehe ich Sie. Dann schauen wir mal auf einen anderen Knackpunkt: Der CO2-Ausstoß soll mehr kosten, das ist für beide Seiten klar, aber die SPD möchte lieber eine Steuer und die Union den Zertifikatehandel. Wo kann man hier zusammenkommen beziehungsweise ist man sich hier vielleicht auch schon nähergekommen, was wir noch nicht wissen?
Miersch: Wenn ich die beiden Parteien oder alle drei höre, dann ist man sich einig, dass CO2 einen Preis bekommen soll. Das ist ja das entscheidende Signal, dass wir also Ressourcenverbrauch tatsächlich bepreisen, da gibt es einen Konsens. Und jetzt ist die Frage, welches Instrument. Das hört sich ja ganz nett an, wenn die CDU sagt, wir machen ein Handelssystem, und wie der Korrespondent eben gesagt hat, gibt es keine direkte Preiserhöhung, natürlich gibt es eine Preiserhöhung. Und jetzt ist die Frage, überlässt man blank einem Marktmechanismus, einem Handelssystem, was zur Folge hat, dass wenn ich immer mehr Rechte für CO2-Verschmutzung vom Markt nehme, wird der Preis richtig teuer. Und wenn ich nicht liefere, 2026 et cetera, kann der Preis unter die Decke schießen nach diesem CDU-Modell – und das wollen wir nicht, weil wir ansonsten soziale Verwerfungen bekommen.
"Die Leute nicht überfordern"
Kaess: Das ist klar, Herr Miersch, aber es gibt ja schon das Zugeständnis von der Union zu sagen, wir machen einen Mindestpreis, wir machen einen Höchstpreis, wird das das sein, worauf man sich einigt?
Miersch: Ich glaube, das ist der Korridor, worauf man sich einigen muss, dass man sagt, wir bepreisen, aber das muss alles tatsächlich sozialverträglich sein, Leute müssen sich umstellen können. Wir können nicht einfach jetzt sagen, wir erhöhen mal was, ohne dass wir eine Alternative, zum Beispiel Elektro-Infrastruktur, haben. Es ist dringend notwendig, dass wir Alternativen haben und die Leute nicht überfordern. Wir müssend daneben, und das ist viel entscheidender als ein Preis, Maßnahmenpakete auf den Weg bringen. Aber zwischen Mindestpreis, Höchstpreis und Bepreisung, das, glaube ich, ist der Korridor, in dem man sich einigen wird.
Einnahmen für den Umwelt- und Klimaschutz
Kaess: Okay, dann schauen wir auf die Kosten: Die SPD will die Einnahmen aus einer möglichen CO2-Steuer oder was auch immer dann kommt wieder an die Bürger zurückgeben. Da fragt man sich natürlich, was bringt das denn, wenn dieses Geld nicht in Umweltschutzprojekte fließt?
Miersch: Das ist sicherlich zentral, dass wir sagen, das, was wir in der Vergangenheit hatten, das geht in den allgemeinen Haushalt, das wollen wir gerade nicht. Wir wollen tatsächlich sagen, die Einnahmen, die damit generiert werden, müssen dem Umwelt- und Klimaschutz zur Verfügung gestellt werden. Da gibt es jetzt mehrere Möglichkeiten: Entweder man sagt, man entlastet Verbraucherinnen und Verbraucher, aber man hat auch eine Alternative – und darüber wird diskutiert –, dass man beispielsweise die Kosten der erneuerbaren Energien umlagert, also was jede Verbraucherin und Verbraucher an Strom mit zusätzlich bezahlt, dass man dort entlastet. Das würde jeder spüren und damit würde Strom, also die Elektrizität, die wir ja künftig brauchen, günstiger werden und das wäre ein Lenkungseffekt, der sicherlich sinnvoll wäre.
"Wenn wir nichts tun, wird es viel, viel teurer"
Kaess: Aber bisher, Herr Miersch, haben wir das so verstanden, dass Sie das Ganze eigentlich an die Bürger zurückgeben wollen, weil Ihnen eben dieser soziale Faktor in der ganzen Umgestaltung so wichtig ist. Aber man fragt sich ja, diese milliardenschweren Investitionen und Förderprogramme, wir haben gerade gehört noch mal, Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, was der da gestern vorgelegt hat. Wie soll das finanziert werden?
Miersch: Ich glaube, man muss das trennen. Das eine ist das, was für über CO2-Bepreisung einnehmen, da habe ich eben gesagt, entlasten wir im Gegenzug, wenn wir beispielsweise an die Bürgerinnen und Bürger zurückerstatten, sei es zum Beispiel über die Erneuerbare-Energien-Umlage oder über eine Klimaprämie. Und dann geht es darum, welche Investitionen muss der Staat tatsächlich machen, um die Infrastruktur der Zukunft aufzubauen. Und da muss ich sagen, muss man immer wieder sehen, was kostet es eigentlich, wenn wir nichts tun? Dann wird es viel, viel teurer und deswegen geht es jetzt darum, die Zukunftsweichen zu stellen. Und das wird den Staat Geld kosten, die Gemeinschaft Geld kosten, das müssen wir aber machen, weil wir ansonsten nur wenige haben, die sich diesen Umstieg leisten können, und viele Leute zum Beispiel im Bereich Mobilität diesen Umstieg nicht mitmachen können, deswegen ist es eine Investition in die Zukunft.
Zwei Prozent Rendite von der Stiftung oder Schatzbriefe
Kaess: Ja, und um da nicht die schwarze Null antasten zu müssen, wozu ja die SPD durchaus tendiert, kam jetzt aus der Union der Vorschlag, dass man das über eine Klimaanleihe für die Bürger finanzieren könnte. Sie selbst haben mal die Idee eines Ökoschatzbriefs als Anlagemöglichkeit ins Spiel gebracht. Da kommt aber jetzt heftiger Widerstand aus Ihrer eigenen Partei. Haben Sie denn schon mal mit Ihren Kollegen gesprochen, warum die Ihnen da widersprechen?
Miersch: Ja, also zwischen dem, was Peter Altmaier vorlegt, und meinem Vorschlag ist ein himmelweiter Unterschied. Peter Altmaier will eine Stiftung machen, wo eine Rendite von zwei Prozent garantiert wird mit einem Anlagevolumen individuell bis zu 15 Millionen Euro. Dass da natürlich droht, dass große kapitalträchtige Firmen oder auch Einzelpersonen sich auf Kosten der Steuerzahler sozusagen eine gute Rendite einfahren, das wollte ich nie und will ich auch nicht und das wird sicherlich auch nicht durchkommen. Aber dass man über Schatzbriefe nachdenkt, die also im Bereich des Marktes liegen, aber schon durchaus vom Staat ausgegeben werden, wo Bürgerinnen und Bürger sich an dieser Energiewende beteiligen können – mit einer gewissen Sicherheit, dass sie eben nicht in die Niedrigzinsen et cetera abdriften –, das ist etwas, wo ich finde, es sich lohnt zu reden, weil wir brauchen Identifikation. Aber da sind zwei große Unterschiede zwischen unseren Modellen.
"Wir brauchen alternative Energiequellen"
Kaess: Kurz noch zum Schluss den letzten wichtigen Punkt in der Diskussion: Sie haben in einem anderen Interview gesagt, beim Thema Ökostrom könne noch eine richtige Sollbruchstelle mit der Union entstehen, Sie werfen der Union da vor, die blockiere beim Ausbau der Erneuerbaren, weil viele Bürger – vereinfacht gesagt –, gegen noch mehr Windräder im Land sind. Aber hat die Union nicht Recht, dass es ohne die Akzeptanz der Menschen einfach nicht gehen wird?
Miersch: Die Akzeptanz wollen wir alle, aber die Frage ist – und diese Frage muss man jedem in der Gesellschaft auch stellen –, wenn wir Kohleausstieg, wenn wir Atomausstieg wollen, und das will die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, brauchen wir alternative Energiequellen. Und wir sehen augenblicklich, was in der Windindustrie los ist, das ist ein Desaster, was ich zum Teil auch dem Bundeswirtschaftsminister anlaste, da wurde nicht gegengesteuert. Und wir können nicht sagen, wir machen eine Energiewende und dann haben wir nichts an erneuerbaren Energien. Wir brauchen die 65 Prozent Erneuerbare-Energien-Anteil bis 2030, das hat die Kohlekommission in ihrem Bericht auch noch mal sehr deutlich gemacht, und deswegen sage ich, wir können nicht so tun, als ob wir uns auf den Weg begeben, und über die alternativen Energiequellen reden wir nicht. Und ja es ist, ich halte das für den zentralen Punkt, wo ich auch augenblicklich noch viel Diskussionsbedarf sehe, weil wenn wir beispielsweise Abstandsregeln wie in Bayern deutschlandweit kriegen, dann werden wir keinen Windenergieausbau auf Land bekommen – und dann können wir diese Ziele nicht erreichen. Und deswegen ist es so elementar wichtig, dass wir sicherstellen, garantieren, auch gesetzlich garantieren, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien in den nächsten zehn Jahren nicht so lahm ist, wie wir es in den letzten Jahren erlebt haben, sondern wir müssen da richtig drauflegen.
Kaess: Danke für das Gespräch!
Miersch: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.