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Mies van der Rohe
Mit Liebe zur Klarheit

"Weniger ist mehr" - dieses Zitat setze Ludwig Mies van der Rohe in seinen Entwürfen konsequent um. Egal ob in Barcelona oder Berlin - seine Bauwerke reduzierte er auf eine schnörkellose Form und wurde so zu einem der einflussreichsten Architekten der Moderne. Vor 50 Jahren starb er in Chicago.

Von Jochen Stöckmann |
    Der Architekt Ludwig Mies van der Rohe (M) mit Herbert S. Greenwald (l) und Robert H. McCormick jr. (r) vor dem Modell eines von ihm entworfenen und in Chicago gebauten Hauses aus Glas und Stahl (undatiert).
    Der Architekt Ludwig Mies van der Rohe (M) mit Herbert S. Greenwald (l) und Robert H. McCormick jr. (r) vor dem Modell eines von ihm entworfenen und in Chicago gebauten Hauses aus Glas und Stahl (undatiert). (dpa/A0001_UPI)
    "Am Morgen Louis Quatorze, am Nachmittag eine Renaissance-Decke für ein Speisezimmer oder eine gotische für eine Bibliothek, manches Mal wurden so neue Ornamente erfunden, moderne."
    Baustile und Epochen schüttelt Ludwig Mies van der Rohe aus dem Handgelenk: Als Stuckateur zeichnet der Sohn eines Steinmetzes, 1886 in Aachen geboren, das jeweilige Dekor detailliert auf Wohnzimmerwände und Fassaden. Was ihm darüber hinaus in den Sinn kommt, das skizziert er mit wenigen Strichen. Und zwar so überzeugend, dass der gelernte Maurer in Berlin – wo Mies nebenher die Kunstgewerbeschule besucht – vom Fleck weg als Architekt engagiert wird.
    "Das Ehepaar Riehl, die hatten sich entschlossen, ein Haus zu bauen – und wollten aber einen jungen Mann haben. Und jung waren wir damals, zwanzig Jahre alt!"
    "Ehrlich bis auf die Knochen"
    Mies entwirft ein äußerlich konventionelles Bürgerhaus, das es in sich hat: der Zuschnitt der Räume ist von abstrakter, radikaler Klarheit, ganz im Sinne des Hausherrn. Alois Riehl, Ordinarius für Philosophie, bekommt den idealen Ort für gesellige Treffen - zu denen nun auch Mies eingeladen wird. Im Gespräch mit Intellektuellen und Künstlern schärft sich sein Blick fürs Wesentliche – ganz ohne akademisches Studium. Das war damals typisch für einige herausragende Architekten. So erinnerte sich der Bauhaus-Gründer Walter Gropius:
    "Frank Lloyd Wright, Mies van der Rohe, Corbu und ich selbst – ich stellte neulich fest, dass keiner von uns jemals ein Examen gemacht hat".
    Das vom deutsch-amerikanischen Architekten Ludwig Mies van der Rohe entwickelte Farnsworth House in Plano bei Chicago
    Das vom deutsch-amerikanischen Architekten Ludwig Mies van der Rohe entwickelte Farnsworth House in Plano bei Chicago (picture alliance / dpa / Chris Melzer)
    Im Architekturbüro des einflussreichen Peter Behrens kreuzen sich 1908 ihre Wege: Während Gropius sich auf die theoretische Konzeption des Bauhauses konzentriert, sucht Mies wegweisende Vorbilder – wie etwa die Amsterdamer Börse des niederländischen Architekten Hendrik Petrus Berlage.
    "Das war hauptsächlich diese sorgfältige Konstruktion: ehrlich bis auf die Knochen. Das hatte gar nichts mit Klassizismus zu tun, hatte gar nichts Historisches mehr. Es war wirklich ein modernes Gebäude"
    Modern sein, das heißt für Mies "Weniger ist mehr". Er reduziert seine Entwürfe auf die schnörkellose "große Form": Wie Skulpturen schieben sich die Backsteinkuben von Haus Esters und Haus Lange in Krefeld ineinander.
    Die Logik des rationalistischen Bauens
    Mit schlichten Formen und erlesenen Materialien wirkt der Weltausstellungs-Pavillon in Barcelona provozierend elegant – und macht den Architekten 1929 weltweit bekannt, der von ihm entworfene Freischwinger-Sessel wird zum internationalen Design-Bestseller.
    Doch dann kommt 1933 Hitler an die Macht. Das Bauhaus, dessen Leitung Mies van der Rohe drei Jahre zuvor von Gropius übernommen hat, wird geschlossen. Der Architekt versucht sich durchzulavieren, wird Mitglied der nationalsozialistischen Reichskulturkammer – und emigriert 1938 in die USA:
    "Ich bekam eine Direktorstelle der Architekturabteilung am Illinois Institute of Technology. Ich wusste genau, wie man Architektur unterrichtet – und ich habe die Schule umgekrempelt und sie auf eine vernünftige Basis gestellt. Und sie florierte dann auch."
    Die "vernünftige Basis" ist das rationalistische Bauen. Dessen Logik macht Mies mit Wolkenkratzern in Chicago oder New York für jedermann sichtbar: es sind prägnante Stahlkonstruktionen hinter großzügigen Glasfassaden.
    Nur ein großes Bauwerk in Deutschland
    "Ich liebe diese Einfachheit. Aber wahrscheinlich aus dem Grunde der Klarheit, nicht der Billigkeit, oder was Du Dir gedacht hast."
    Bezüge zur Antike und klassischer Formsprache erkennt der Architekturhistoriker Fritz Neumeyer in Mies van der Rohes letztem Werk, der Neuen Nationalgalerie in Berlin:
    "Wie eine Skulptur wird der moderne Stahlpavillon auf den sprichwörtlichen Sockel gestellt und feierlich in die Sichtbarkeit erhoben."
    Der gläserne Kunsttempel ist das einzige, alles überragende Bauwerk des meisterhaften Avantgardisten in Deutschland nach 1945. Zur Eröffnung 1968 kann der Architekt nicht mehr in seine alte Heimat kommen. Ludwig Mies van der Rohe, schwer erkrankt, stirbt am 17. August 1969 in Chicago.