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Mieses Zeugnis
Kölner misstrauen Stadtoberen

Kölns parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker trat an mit der Ansage, dem Klüngel ein Ende zu machen. Aber der erweist sich als hartnäckig, immer wieder gibt es Vorwürfe der Vorteilsnahme und des Postengeschachers. Das Vertrauen der Kölner in ihre Stadtspitze ist erschüttert.

Von Moritz Küpper |
    Die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker beim Untersuchungsausschuss zur Silvesternacht.
    Bekommt sie ihre Stadt in den Griff und weg vom Klüngel-Image? Eine Mehrheit der Kölner ist mit der Arbeit ihrer parteilosen Oberbürgermeisterin Henriette Reker derzeit eher unzufrieden. (dpa/picture alliance/Rolf Vennenbernd)
    Axel Kaske sitzt im Consilium, einem eher schicken Restaurant, in dem die Kölner Politik ein- und ausgeht. Der Grund: Das Restaurant liegt direkt im Spanischen Bau, jenem Gebäude neben dem Historischen Rathaus der Stadt, das – unter anderem – die Ratsfraktionen beherbergt. Kaske ist genervt:
    "Ja, das Dramatische an der Geschichte ist, dass man landauf, landab immer wieder mit den Problemen dieser Stadt konfrontiert wird."
    Kaske, weißer Schnauzbart, wache Augen, saß selbst jahrelang für die SPD im Stadtrat. Im Norden geboren, war er viele Jahre – seit Ende der 90er-Jahre – Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses im Rat, also Kölns oberster Korruptions-Kontrolleur. In seine Zeit fallen strenge Untersuchungen durch das Kölner Rechnungsprüfungsamt. Mehrere Staatsdiener wurden gerichtlich verurteilt. Die Vergabe von Geschäftsführerposten bei kommunalen Unternehmen an Ex-Politiker mit zuweilen fraglicher Qualifikation wurde beendet.
    Klüngel neu aufgelegt
    Vor Kaskes Zeit hatte eine Serie von Bestechungen und Vorteilsnahme, bis hinein in höchste politische Kreise die Domstadt erschüttert. Dafür gab es dort dieses niedliche wie verniedlichende Wort: Klüngel. Damals hielt Kaske das für überwunden – nun fühlt er sich eines Besseren belehrt:
    "Ich liebe diese Stadt, das ist nicht das Thema, aber wir können nicht immer sagen: Es ist noch immer gut gegangen. Es ist nicht mehr gut gegangen. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir wirklich uns überlegen müssen, wie es weitergehen soll. Denn: Das ist ja ein untrügliches Zeichen, wenn man jetzt, egal, ob man in Bayern ist oder im Saarland ist oder so, und Sie immer wieder auf Köln angesprochen werden. Und zwar negativ angesprochen. Dann muss doch auch der klare Menschenverstand sagen: Hallo? Leute? Die Kommunalpolitiker, ihr müsst was machen."
    Nur: Gemacht wurde in der jüngsten Vergangenheit tatsächlich einiges – und das war und ist das Problem. Es geht dabei um die sogenannte Stadtwerke-Affäre, die Köln seit dem Frühjahr beschäftigt: Die parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker verhinderte im April durch ihren Gang an die Öffentlichkeit, dass der mächtige SPD-Fraktionschef Martin Börschel hauptamtlicher Chef der Kölner Stadtwerke wurde, also eines kommunalen Unternehmens. Ein Posten, der sogar eigens kreiert worden war.
    Doch bei diesem Spiel war auch Rekers schwarz-grünes Bündnis involviert, zumindest die Spitzen von CDU und Grünen. Auch Reker soll im Vorfeld davon gewusst haben, doch beweisen lässt sich dieser harte Vorwurf bisher nicht. Dennoch sagt Konrad Adenauer, Enkel des ersten Bundeskanzlers sowie ehemaligen Kölner Oberbürgermeisters und ein guter Kenner der Stadt, "war das die reine Sache, wie man den Börschel loswird. Börschel war so ungeschickt, diesen fetten Köder, dem man ihn da zubereitet hat, da reinzubeißen und dann war der Angelhaken drin, und seitdem hängt er am Haken."
    Die kürzeste Pressebegegnung aller Zeiten in Köln
    Gelächter beim CDU-Mann. Es folgten – bislang zwar folgenlose – Strafanzeigen, Kölner Bürger sammelten Unterschriften, um eine Aufklärung zu erzwingen:
    "Mögen Sie unseren Antrag zur Stadtwerke-Affäre unterschreiben?"
    Doch bis heute kamen zu wenig zusammen. Auch Börschels Versuche, Reker mit in die Affäre zu ziehen, liefen vorerst ins Leere. Ungeachtet dieser Schuldzuweisungen, ging der Kampf weiter, folgte eine bemerkenswerte Aufsichtsratssitzung eben des Stadtwerke-Konzerns, bei der Reker eine Niederlage erlitt. Statt ihr, der gewählten Vertreterin der Stadt, wurde der Betriebsratsvorsitzende zum Chef gewählt. Ein Affront, dem die wohl kürzeste Pressebegegnung aller Zeiten im Kölner Rathaus folgte:
    "Tach zusammen, hallo."
    "Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf sie sehr herzlich begrüßen zu einem Statement der Oberbürgermeisterin…"
    "Ich weiß ja, dass es immer wieder Rückschläge gibt, wenn man alte Strukturen aufbrechen will. Irritiert bin ich darüber, auch als Vorsitzende des Rates, dass die Mehrheit des Aufsichtsrates den demokratischen Willen der Anteilseignerin nicht umsetzen wollte heute, aber es ist für mich ganz selbstverständlich, dass ich als Aufsichtsratsmitglied weiterhin alles dafür tun werde, die gute Situation des Stadtwerke-Konzerns in Zukunft weiterzuentwickeln."
    Zukünftig werde es eine noch intensivere Kontrolle geben versprach Reker – und verschwand:
    "Ich glaube, dass das wichtig ist, und damit ist für mich für heute alles gesagt – vielen Dank."
    "Es ist ein großes Misstrauen in der Stadt"
    Der Schwanz wedele mit dem Hund, die Arbeitnehmer könnten nun alleine die Geschicke des Konzerns steuern, kritisiert Kanzler-Enkel Adenauer. Dazu kommen rechtliche Zweifel. Zwar heißt es inzwischen, einige Wochen später, man wolle eine Lösung finden. Wie die aussehen könnte, ist jedoch noch unklar.
    Es bleibt dabei, das grundsätzliche Vertrauen in die Kölner Stadtspitze ist erschüttert – wie auch eine aktuelle Forsa-Umfrage aus dieser Woche zeigt: Fast 60 Prozent der Kölner sind demnach mit Rekers Arbeit unzufrieden. Der vorletzte Platz in einem bundesweiten Ranking der Oberbürgermeister. Zudem, so das Ergebnis der Befragung, habe der grundsätzliche Unmut über die Arbeit der Politik und die Verwaltung in Köln noch einmal zugenommen:
    "Es ist ein großes Misstrauen in der Stadt und dieses Misstrauen hat sich durch den Börschel-Skandal natürlich noch mal verstärkt. Man hatte immer die Hoffnung, vielleicht sind wir jetzt auf einem besseren Weg."
    Stephan Grünewald lebt in Köln, ist Psychologe und Autor des Buches "Köln auf der Couch: Die Unzerstörbarkeit der Sehnsucht". Reker sei eine Hoffnungsträgerin gewesen, so Grünewald, aber die aktuelle Situation wird nun auch ihr angelastet:
    "Bei Frau Reker ist es so, dass man, glaube ich, zwischen Person und Amt trennen muss. Also, wenn wir mit den Menschen über Frau Reker reden, als Person wird sie geschätzt, auch das Attentat, das Mitleid… Die persönliche Gestalt Reker wird geschätzt und der vertraut man. Gleichzeitig erlebt man aber, dass die Amtsträgerin Reker Köln nicht so entwickelt bekommt, wie man sich das wünscht."
    Korruptionsbekämpfer: Rekers Rückzug wäre Worst Case
    Für den 57-Jährigen steht fest, dass sie 2020 noch einmal zur Wahl antritt, aber:
    "Ich denke, dass es auch ein strategischer Fehler war, dass sie nach dem Börschel-Skandal nicht direkt gesagt hat: Ich bleibe, ich trete noch mal an, weil ich jetzt wirklich dafür kämpfen will, aus Liebe für diese Stadt, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Sie hat sich jetzt so ein bisschen geziert. Die Bürger reagieren eher leicht gekränkt, sie sind traurig, dass die Hoffnungsträgerin quasi nicht mit Inbrunst bei der Sache bleibt, sondern auf einmal so wankelmütig wird."
    Letztendlich stecken aber alle Parteien mit drin – und so wird das Ganze zu einem Dilemma für die komplette Kölner Politik: Es werde Zeit für eine Kölner Wende, hieß es diese Woche daher auch pathetisch im "Kölner Stadt-Anzeiger", die Stadt brauche eine neue politische Kultur. Tatsächlich könnte Reker – aufgrund der aktuellen Stimmungslage, aber auch wegen des fehlenden Rückhalts im Rat – zu dem Schluss kommen, bei der Wahl im Jahr 2020 nicht mehr anzutreten.
    Das entspräche dem Wunsch von derzeit 61 Prozent der von Forsa befragten Kölner. Rekers Bilanz könnte dann aber sein: Ich, die gebürtige Kölnerin, die parteilose Politikerin, die erfahrene Verwaltungsfrau, ich bin an dieser Stadt gescheitert. Korruptionsbekämpfer Kaske wiegt den Kopf:
    "Ja, das wäre der Worst Case, das wäre das Schlimmste, was passieren könnte, weil dann, muss man ja sagen, dann hätten wir ja wirklich ein System… dann sind wir in Neapel, ne?"