Inflation und Energiekosten
Was auf Mieterinnen und Mieter zukommt und wo die Politik hilft

Die Preise für Energie sind enorm gestiegen – und das wird für immer mehr Mieter zu einem existenziellen Problem. Sozialverbände stellen zahlreiche Forderungen, um Kündigungen und kalte Wohnungen zu verhindern. Doch die Politik reagiert zögerlich.

12.08.2022
    Der Drehknauf einer Heizung wird auf die Frostschutzposition eingestellt
    Energie, Heizen, Wohnung: Immer mehr Menschen sorgen sich um die Energiekosten (picture alliance / Kirchner-Media / David Inderlied)
    Die Verbraucherpreise steigen seit Monaten deutlich. Insbesondere Energie ist teurer geworden, im Juli 2022 kostete Energie insgesamt 35,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Damit steigen auch die Wohnkosten drastisch an – insbesondere mit Blick auf die kommende Heizperiode. Nach der Einschätzung des Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung werden Lohnsteigerungen das nicht abfangen. Löhne seien im vergangenen Jahr nur um 3,4 Prozent gestiegen und für das kommende Jahr seien keine größeren Zuwächse zu erwarten.
    Vor diesem Hintergrund warnen Sozialverbände und Vertreter von Mietern vor den sozialen Folgen. Etwa 20 Millionen Menschen könnten durch die Mehrkosten in finanzielle Schwierigkeiten kommen, sagte etwa Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten am 8. August 2022 im Deutschlandfunk. Wenn die Politik nicht angemessen reagiere, sei damit zu rechnen, „dass es laut wird“.
    Die Bundesregierung diskutiert zahlreiche Entlastungen, einige sind auch schon beschlossen. Doch in der Frage, wo und wie entlastet werden soll, sind sich die Koalitionspartner noch an vielen Stellen uneinig.
    Wie wirkt sich die Inflation auf die Mieten aus?
    Wie können die hohen Energiepreise abgefedert werden?
    Welche Entlastungen hat die Ampelkoalition bisher beschlossen?
    Was könnte eine Reform des Wohngelds bringen?
    Wie können Mieter vor Kündigung und Stromsperre geschützt werden?
    Was können Mieter gegen steigende Energiekosten tun?
    Wie wirkt sich die Inflation auf die Mieten aus?
    Zwischen Inflation und Miete gibt es meist keinen direkten Zusammenhang – steigen werden die Mieten aber dennoch. Anfang Juni 2022 erklärte Deutschlands größte Immobilienfirma, der Dax-Konzern Vonovia, dass angesichts der hohen Inflationsraten deutlichere Mieterhöhungen unausweichlich seien. Mieten müssten langfristig entsprechend der Inflation steigen.
    Die Inflation rechtfertige keine Mieterhöhungen, widersprach hingegen Wibke Werner, stellvertretende Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, am 2. Juni 2022 in Deutschlandfunk Nova. Teurer geworden ist der Alltag vor allem im Bereich Energie und Lebensmittel. "Die Energiekosten tragen die Mieter aber sowieso schon selbst", sagte Werner.
    Es sei aber dennoch mit steigenden Mieten zu rechnen, weil Vermieter wegen der gestiegenen Preise jetzt "Mieterhöhungspotenziale ausschöpfen" würden. Mieterhöhungen solle man daher prüfen lassen. Denn wie stark Mieten steigen dürfen, ist gesetzlich festgelegt.
    Problemfall Indexmietvertrag
    Die Miete kann aufgrund der Inflation nur dann erhöht werden, wenn eine sogenannte Indexmiete vertraglich vereinbart ist. In diesem Fall ist die Miete an den Verbraucherpreisindex gekoppelt, der vom Statistischen Bundesamt ermittelt wird. Vermieter können dann einmal pro Jahr die Miete entsprechend erhöhen, und das sogar unabhängig von ortsüblichen Vergleichsmieten. Bei "normalen" Mietverträgen gilt eine Kappungsgrenze: Maximal fünf Prozent Erhöhung sind pro Jahr zulässig. Mit Indexmietverträgen kann auch mehr als fünf Prozent erhöht werden, weil es keine Kappungsgrenze gibt. [*]
    Indexmieten konnten für Mieter günstig sein. Denn bei Indexmietverträgen sind Mietsteigerungen wegen Renovierungen nur in Ausnahmefällen möglich. Eine plötzliche drastische Mieterhöhung war daher eher nicht zu befürchten.
    Doch bei den aktuellen Inflationsraten steigen die Kosten für Indexmietverträge trotzdem zügig an. Indexmietverträge werden jetzt zunehmend zum Problem, sagte Melanie Weber-Moritz, Bundesdirektorin des Deutschen Mieterbundes, am 27. Juli 2022 im Deutschlandfunk. Die Zahl der Indexmietverträge nehme aktuell zu, warnt Weber-Moritz. In Köln sei jeder vierte neue Mietvertrag ein Indexmietvertrag, in Hamburg schon jeder zweite.
    Bundeswohn- und Bauministerin Clara Geywitz hat bereits angekündigt, dass die Bundesregierung bald gegensteuern möchte. Denkbar sei, dass die Miete an einen anderen Index, beispielsweise die allgemeine Mietsteigerung, gekoppelt werde. Indexmieten könnten aber auch wie normale Mietverträge gekappt werden.

    Wie können die hohen Energiepreise abgefedert werden?

    Die hohen Energiepreise werden nicht nur für Verbraucher zum Problem, sondern auch für Gasimporteure. Sie müssen zu hohen Preisen Ersatz für ausbleibende Gaslieferungen aus Russland kaufen. Um Insolvenzen der Importeure zu verhindern, die dann die Versorgungssicherheit gefährdet hätten, hat die Bundesregierung eine Gasumlage beschlossen – und die führt erstmal zu einer starken Mehrbelastung der Verbraucher. Die Rede ist von bis zu 1000 Euro für einen Vier-Personen-Haushalt.
    So funktioniert die Gasumlage
    Die Maßnahme soll durch ausbleibende russische Lieferungen in Schieflage geratene Gasimporteure stabilisieren. Sie greift ab dem 1. Oktober und endet am 1. April 2024. Die genaue Höhe soll am 15. August 2022 veröffentlicht werden und zwischen 1,5 und fünf Cent je Kilowattstunde liegen. 90 Prozent der momentanen Extrakosten der Importeure sollen auf alle Kunden umgelegt werden, und zwar für jeden mit einem gleichen Betrag pro Kilowattstunde. Auf einen vierköpfigen Haushalt könnten Zusatzkosten von bis zu 1000 Euro zukommen – zusätzlich zu den bereits jetzt im Vertrag mit bestimmten Fristen möglichen Preiserhöhungen. Offen ist noch, wie mit Festpreisverträgen umgegangen wird.
    Um nun wiederum die Verbraucher zu entlasten, prüft die Bundesregierung, ob die Gasumlage von der Mehrwertsteuer ausgenommen werden kann. Laut Bundesfinanziminister Christian Lindner spreche allerdings Europarecht dagegen. Ähnlich hatte sich zuvor bereits Baden-Württembergs Finanzminister Bayaz geäußert. Der Grünen-Politiker twitterte, die Mehrwertsteuersystemrichtlinie der EU, das deutsche Umsatzsteuergesetz sowie die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ließen es nicht zu, auf die Mehrwertsteuer auf die Gasumlage zu verzichten. Stattdessen sollte der Staat mit den Einnahmen daraus gezielt einkommensschwache Menschen wieder entlasten, die die hohen Energiepreise am stärksten zu spüren bekommen.

    Welche Entlastungen hat die Ampelkoalition bereits beschlossen?

    Im Interview mit dem Deutschlandfunk betonte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am 11. August 2022, dass der Staat schon viel getan habe, um Härten abzufangen. Auch die geplanten Steuerleichterungen, die er am 10. August 2022 vorgestellt hatte, seien da ein Baustein.
    Lindner betonte aber auch, "dass der Staat nicht in der Lage ist, die Folgen des Ukraine-Kriegs und höhere Kosten für den Import von Energie beziehungsweise Gas aufzunehmen". Der Staat könne "Härten abfedern, Strukturbrüche verhindern, aber wir können nicht dauerhaft das Wohlstandsniveau mit staatlichem Geld, möglicherweise sogar mit Schulden sichern". Es sei wichtig, dabei eine gute wirtschaftliche Entwicklung zu stützen.
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat angesichts der hohen Preissteigerungen weitere Entlastungen zugesichert. "Wir werden alles dafür tun, dass die Bürgerinnen und Bürger durch diese schwierige Zeit kommen", besonders diejenigen, "die ganz wenig haben", sagte Scholz am 11. August 2022 in seiner Sommer-Pressekonferenz in Berlin. Zu Details oder einem Terminplan legte er sich allerdings nicht fest. Ziel sei, dass "niemand vor unlösbare Probleme gestellt wird".
    Ausdrücklich lobte Scholz auch die von Finanzminister Lindner vorgestellten Pläne für Steuersenkungen. Zu dem angestrebten Gesamtpaket würden "sicherlich auch steuerliche Entlastungsmaßnahmen dazugehören" und dafür seien Lindners Vorschläge "sehr, sehr hilfreich". Auch Scholz verwies auf bereits bekannte oder beschlossene Maßnahmen wie den höheren Mindestlohn, Verbesserungen beim Wohngeld oder das ab kommendem Jahr geplante Bürgergeld als Ersatz für das Hartz-IV-System. Auch dies werde dazu beitragen, dass die Bürgerinnen und Bürger "durch diese schwierige Zeit kommen".
    EEG-Umlage abgeschafft
    Am 1. Juli war bereits die EEG-Umlage weggefallen, ein halbes Jahr früher als geplant. Stromkunden müssen seitdem die Förderung des Ökostroms nicht mehr über die Stromrechnung zahlen. Bis Juli 2022 haben Stromkunden 3,72 Cent pro Kilowattstunde EEG-Umlage gezahlt.

    Was könnte eine Reform des Wohngelds bringen?

    Um finanzielle Härten für Menschen mit niedrigen Einkommen abzufangen sei eine Reform des Wohngelds nötig, meint der Präsident des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. Das Wohngeld müsse zukünftig auf der Grundlage der Warmmiete berechnet werden und nicht wie bisher anhand der Kaltmiete. Außerdem müsse der Kreis der Empfänger deutlich ausgeweitet werden, sagte Siebenkotten am 8. August 2022 im Deutschlandfunk . Dazu müsse man die Einkommensgrenze erhöhen. Alle Haushalte mit weniger als 5000 Euro Nettoeinkommen sollten empfangsberechtigt werden, hatte Siebenkotten am 8. August 2022 im "Tagesspiegel" gefordert.
    Bundeskanzler Olaf Scholz hat bereits weitere Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger angesichts der hohen Inflation angekündigt. Man werde über die schon beschlossenen Pakete hinaus weitere Maßnahmen ergreifen müssen, sagte der SPD-Politiker am 11. August 2022 in der Bundespressekonferenz in Berlin. Scholz sprach dabei auch explizit das Wohngeld an, ohne konkreten Zahlen zu nennen. Eine Reform des Wohngeldes plant die Ampelkoalition für den 1. Januar 2023.
    Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken betonte in der Debatte ums Wohngeld, dass es beim Wohngeld nicht nur um die Höhe und die Empfangsberechtigung gehe: "Mit einer Infokampagne muss es uns gelingen, dass mehr Menschen das Wohngeld kennen und es bei Bedarf beantragen", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe (6. August 2022) mit Blick auf die geplante Wohngeld-Ausweitung. "Mit allen Antragsleistungen des Sozialstaats haben wir das Problem, dass sie vielen unbekannt sind und nicht alle die Leistungen in Anspruch nehmen, auf die sie ein Anrecht haben", bedauerte Esken.
    Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat sich in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" am 6. August 2022 für eine Anhebung des Wohngeldes starkgemacht. "Wichtig ist, dass wir diejenigen unterstützen, die existenziell bedroht sind. Das sind vor allem einkommensschwache Familien und Rentnerinnen und Rentner", sagte Paus. Dazu müsse unter anderem das Wohngeld erhöht werden.
    Wohngeld-Empfänger bereits im ersten Entlastungspaket gestärkt
    Beim Wohngeld hatte die Bundesregierung schon im ersten Entlastungspaket vom 17. März 2022 angesetzt. Wohngeldempfänger haben dabei einmalig einen Zuschuss zu den Heizkosten von 270 Euro für Singles und 350 Euro für einen Zwei-Personen-Haushalt bekommen. Größere Familien haben weitere 70 Euro pro Person erhalten.

    Wie können Mieter vor Kündigung und Stromsperre geschützt werden?

    Für mindestens ein Jahr sollten keine Kündigungen wegen Rückständen bei den Heizkosten möglich sein, forderte Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten am 8. August 2022 im Deutschlandfunk. Mieter sollten außerdem eine zweijährige Stundung der Schulden erhalten. Außerdem müssten für die Dauer der Energiekrise Energiesperren komplett ausgesetzt werden. Einige Sozialverbände schließen sich diesen Forderungen an. Aktuell können Versorger Strom oder Gas abklemmen, wenn Kunden ein Sechstel der Jahresrechnung und dabei mindestens 100 Euro mit der Zahlung im Rückstand sind.
    Die SPD-Bundestagsfraktion hatte am 25. Juli 2022 ein Eckpunktepapier vorgestellt, in dem sie ein sechsmonatiges Kündigungsmoratorium bei hohen Heizkosten vorgeschlagen hatte. Das Moratorium soll laut SPD-Papier für Mieter und Mieterinnen gelten, die "glaubhaft" nachweisen können, dass sie finanziell durch die außerordentlich stark steigenden Voraus- oder Nachforderungen für Energie überlastet sind. Auch Strom- und Gassperren durch Stadtwerke und andere Netzbetreiber im Fall der Nichtzahlung will die Fraktion verbieten. Vermieterinnen und Vermieter sollen dem Papier zufolge vor den finanziellen Auswirkungen des Moratoriums geschützt werden.
    Auch der Chef des Wohnungskonzerns LEG, Lars von Lackum hat sich am 25. Juli 2022 im Handelsblatt für ein Kündigungsmoratorium ausgesprochen. Sein Konzern werde auch Ratenzahlungen anbieten. Er wies allerdings auch darauf hin, dass die Mehrkosten damit nur aufgeschoben und nicht verschwunden seien.

    Was können Mieter gegen steigende Energiekosten tun?

    Richtig heizen und lüften
    Eine naheliegende Option ist: Energie einsparen, also insbesondere weniger und zielgerichteter zu heizen. Verbraucherzentralen weisen dabei insbesondere darauf hin, Thermostate richtig einzustellen, Heizungen zu entlüften, Heizkörper nicht zu verdecken und stoßweise statt dauerhaft zu lüften. Zudem sollten bei Fenstern und Türen die Dichtungen geprüft werden.
    Temperatur absenken
    Zur Debatte steht dabei auch, ob die Mindesttemperatur für Wohnungen im kommenden Winter angepasst wird. Aktuell müssen Vermieter tagsüber 22 Grad und nachts 20 Grad gewährleisten. Und auch Mieter sind verpflichtet, die Wohnungen warmzuhalten. In Mietverträgen ist oft die Verpflichtung enthalten, eine Mindesttemperatur aufrechtzuerhalten. Wenn Mieterinnen und Mieter weniger heizen wollen, verstoßen sie gegen Mietverträge. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium gibt es Pläne, diese Mindesttemperatur für die kommende Heizperiode abzusenken. Beide Werte könnten um sechs Grad reduziert werden, hatte der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen Mitte Juni 2022 vorgeschlagen. Auch der Deutsche Mieterbund sieht hier Bedarf, betonte aber Mitte Juli 2022, dass Mieter nicht zur Absenkung der Raumtemperatur verpflichtet werden dürften. Eine Verpflichtung könne harte Folgen für Mieter und auch für den Zustand des Gebäudes haben.
    [*] An dieser Stelle haben wir einen Sachverhalt präzisiert.
    Quellen: Panajotis Gavrilis, Thilo Jahn, Verbraucherzentrale, dpa, AFP, Reuters