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Migranten helfen Flüchtlingen
"Man muss auch geben"

Migranten, die bereits länger in Deutschland leben, können Flüchtlingen helfen, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Dabei geht es um Übersetzungshilfe - vor allem aber um die Überbrückung kultureller Differenzen.

Von Johannes Kulms |
    Die aus Syrien stammenden Geschwister Mohammed und Sedra sitzen am 17.11.2015 auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster (Schleswig-Holstein) im Wartebereich zur medizinischen Untersuchung. In der größten Erstaufnahmeeinrichtung des Landes mit zuletzt 4700 Flüchtlingen hat das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Containern und Zelten zwei parallele Untersuchungsbereiche aufgebaut und eine Röntgen-Anlage. Dort wird die vorgeschriebene medizinische Erstuntersuchung bei jedem Flüchtling vorgenommen.
    "Mein Geist ist europäisch, mein Herz ist orientalisch." - Flüchtlinge sind bei der Ankunft auf Hilfe angewiesen, Migranten bringen oft die Voraussetzungen dafür mit. Im Bild: Eine Flüchtlingsfamilie in der Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster (Carsten Rehder/dpa)
    Ein schlichter Büroraum in der Nähe des Kieler Hauptbahnhofs. Auf dem Tisch eine Zeitung. Auf der Titelseite: Ein blonder, etwas schlaksiger Mann. Und eine ältere Dame. Beide tragen Brillen…
    "I think yes, I have seen in the election time the posters and the photos from this man. He is from the CDU, I think he's Prime Minister here in Kiel. I think so, but I am not sure."
    Die dänische Königin auf dem Foto in der Zeitung hat Hamta Zainuddin nicht erkannt. Wohl aber den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther von der CDU.
    Hamta Zainuddin stammt aus Afghanistan. Seit knapp eineinhalb Jahren lebt der 34-Jährige mit seiner Frau und seinen Kindern in Kiel.
    Neben Zainuddin sitzt ein Landsmann: Maruf Yawari ist 29 Jahre alt, 2012 kam er mit einem Stipendium nach Deutschland. Beide verfolgen die Politik in Deutschland. Und was Entscheidungen in Kiel und Berlin für Flüchtlinge in Deutschland bedeuten.
    Überbrückung kultureller Unterschiede
    Zainuddin und Yawari engagieren sich, helfen ihren Landsleuten zum Beispiel mit Übersetzungen und bei Behördengängen. Sie organisieren Demos und Veranstaltungen. Und sie versuchen Unterschiede zwischen der deutschen und der afghanischen Kultur zu überbrücken.
    "Also, Afghanistan ist, sag ich immer, wie ein anderer Planet", sagt Maruf Yawari. Den Deutschen sei eine gewisse Distanz erst mal wichtig, so sein Eindruck. Das hat er auch gemerkt, wenn er beim gemeinsamen Essen seinen deutschen Freunden etwas von seinem Teller anbot.
    "Und die haben gesagt, ja, danke, danke! Und irgendwann haben sie gesagt, Maruf, warum bietest du immer dein Essen an? Ich hab' gesagt, ja, weil in Afghanistan, das ist wie eine Gastfreundlichkeit, wir wollen immer etwas geben."
    Solche Tipps seien wichtig, findet auch Hamta Zainuddin. Egal, ob sie nun aus dem gleichen oder einem anderen Land kämen: Migranten haben ein besonderes Verhältnis zu Flüchtlingen, ist Zainuddin überzeugt.
    "Auf jeden Fall: Da besteht eine enge Verbindungen zwischen Flüchtlingen und Migranten. Denn auch Migranten mussten lernen, sich zu integrieren, sie wissen, was das für eine Herausforderung ist. Wir Flüchtlinge können also von ihnen lernen."
    In wenigen Wochen wird Zainuddin an der Kieler Uni ein Masterstudium im Umweltbereich beginnen.
    "Wir müssen uns gegenseitig helfen"
    Maruf Yawari hat sein Studium in Lüneburg bereits abgeschlossen und arbeitet seit einem Jahr für eine Übersetzerfirma. Wir müssen uns gegenseitig helfen, sagt Yawari. Doch er weiß auch, dass es immer wieder Ereignisse gibt, die die Stimmung gegenüber Flüchtlingen in Deutschland schlagartig verändern können. Zum Beispiel, als bekannt wurde, dass ein junger Afghane in Freiburg eine Studentin vergewaltigt und ermordet hatte. Solche Ereignisse wirken auch in die afghanische Community hinein, ist Yawari sicher
    Er hat in Kiel andere Landsleute gefragt, ob sie sich nicht auch in der Flüchtlingsarbeit engagieren wollten. Afghanen, die schon deutlich länger im Land seien als jene, die in den letzten zwei Jahren kamen. Doch viele würden das ablehnen, so Yawari, denn sie sagen…
    "Dass jeder Afghane herkommen kann und unseren Namen beschmutzen kann. Insbesondere diese Neuankömmlinge aus Afghanistan, mit diesen Leuten wollen wir nicht etwas zu tun haben. Weil sie möchten nicht in die selbe Schublade geworfen werden."
    Beratung wichtiger als Übersetzung
    Mit Schubladen kennt sich auch ein Mann aus, der an diesem Vormittag vor einer Kieler Bäckerei sitzt. Seinen echten Namen will er im Radio nicht hören. Nennen wir ihn Nabil:
    "Mein Geist ist europäisch, und mein Herz, meine Seele ist orientalisch. Aber, ich finde, dass ist 'ne ganz gute Mischung."
    Nabils Familie stammt aus dem Jemen. Als Kind kam er nach Ostberlin, wo er fast zwei Jahrzehnte lebte. Kurz vor dem Mauerfall zog es Nabil zurück in den Jemen. Dort arbeitete er lange in der Tourismusbranche. Im Zuge des arabischen Frühlings erhielt er eine Stelle als Regierungsbeamter. Weil er dort aneckte und das Land im Chaos versank, entschied sich Nabil zur Rückkehr nach Deutschland, traf hier 2015 ein, kurz bevor im Jemen der Bürgerkrieg begann.
    Als Sprach- und Kulturmittler engagierte sich Nabil zwei Jahre lang in Kiel in der Flüchtlingsarbeit. Er findet: Menschen wie er seien wichtig, um Flüchtlingen zu helfen. Aber auch gegenüber deutschen Behörden. Und da sei mehr gefragt, als nur Übersetzung. Nämlich Beratung.
    "Es geht ja nicht um die soziologische Seite, wie man sie betreut. Sondern es geht darum: Die verstehen nicht die Denkweise von Flüchtlingen, die aus archaischen Gesellschaften kommen. (…) Bei einer Integration ist wichtig: Ich gebe. Und nehme! Wir geben dir ein Haus, wir geben dir Wasser, wir geben dir Möglichkeiten, deine Krankheiten auch zu behandeln. Aber man muss auch geben!"