Migration
Wie die Ampel Abschiebungen vereinfachen will

Der Druck auf die Bundesregierung, Migration zu begrenzen, ist groß. Ein Gesetzentwurf für schnellere Abschiebungen soll die Lage entspannen. Doch an dem Vorstoß gibt es scharfe Kritik – und verfassungsrechtliche Bedenken.

    Symbolbild "Abschiebeflug" Landende Lufthansa Maschine hinter einem Zaun und Stacheldraht.
    Bis zu 600 zusätzliche Abschiebungen pro Jahr sieht das Rückführungsverbesserungsgesetz vor. (picture alliance / Daniel Kubirski / Daniel Kubirski)
    Mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz will die Bundesregierung Abschiebungen von Ausreisepflichtigen vereinfachen. Zugleich soll Ausländern der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtert werden. Anlass für das Gesetzesvorhaben dürfte nicht zuletzt der wachsende Druck auf die Ampelregierung sein. Länder und Kommunen klagen seit Langem, dass die Belastungsgrenzen bei der Aufnahme von Flüchtlingen erreicht oder sogar überschritten seien.
    Wie groß der Druck ist, zeigen Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Von Januar bis Ende Oktober wurden rund 267.000 Asylerstanträge gestellt – 67,5 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2022. Und das BAMF geht davon aus, dass die Zahlen tatsächlich noch viel größer sind.
    Bei vielen Länder-Innenministern ist nach Vorlage des Gesetzesentwurfs jedoch bereits Ernüchterung eingetreten. Denn laut dem Gesetz sind maximal 600 zusätzliche Abschiebungen pro Jahr vorgesehen. Für Betroffene und Behörden bleiben zudem die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Regelauslegungen ein Problem. Und auch aus den Fraktionen kommt Kritik am Gesetzesentwurf.

    Inhalt

    Was sind die Kernpunkte des Rückführungsverbesserungsgesetzes?

    „Wir sorgen dafür, dass Menschen ohne Bleiberecht schneller unser Land verlassen“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Ende Oktober. Vorgesehen ist unter anderem, die Höchstdauer des sogenannten Ausreisegewahrsams von derzeit zehn auf 28 Tage zu verlängern, um den Behörden mehr Zeit zu geben, eine Abschiebung vorzubereiten.
    Ferner sind erweiterte Befugnisse von Behörden sowie ein härteres Vorgehen gegen Schleuser geplant. Mit dem Gesetz, das noch vom Bundestag verabschiedet werden muss, will die Bundesregierung die Zahl der kurzfristig gescheiterten Abschiebungen reduzieren. Mitglieder krimineller Vereinigungen sollen künftig leichter ausgewiesen werden können. Besonders wichtig sei es ihr, Straftäter und Gefährder konsequenter abzuschieben, sagte Faeser. Mit Gefährdern sind Menschen gemeint, denen die Sicherheitsbehörden schwere Gewalttaten bis hin zu Terroranschlägen zutrauen. Künftig soll eine Abschiebung bei Ausreisepflichtigen in Haft zudem nicht mehr angekündigt werden müssen.
    Laut Entwurf für das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz sollen Behördenmitarbeiter in Gemeinschaftsunterkünften fortan auch die Räume Dritter betreten dürfen, wenn sie jemanden suchen, der abgeschoben werden soll.
    Wohnungen sollen nach Datenträgern und Unterlagen durchsucht werden dürfen, um die Identität und Staatsangehörigkeit Betroffener zu klären, wenn diese sich nicht ausweisen können. Um die Behörden zu entlasten, soll der Aufenthalt in Deutschland während des Asylverfahrens für jeweils sechs statt bisher nur drei Monate genehmigt werden.

    Wie hoch ist die Zahl ausreisepflichtiger Personen?

    Bis Ende August 2023 lag die Zahl der ausreisepflichtigen Ausländer bei 261.925. Den aktuellen Stand dazu fragt die Linksfraktion regelmäßig bei der Bundesregierung ab. Nicht alle Ausreisepflichtigen sind abgelehnte Asylsuchende. Ein Teil davon sind Menschen, die zum Beispiel als Touristen oder Studenten nach Deutschland gekommen sind und deren Visum oder Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist.
    155.448 von den Ausreisepflichtigen sind Menschen mit einem abgelehnten Asylantrag, aber nur rund 19.500 von ihnen haben laut der Anfrage der Linksfraktion keine Duldung. Nimmt man diejenigen dazu, die nicht wegen eines abgelehnten Asylantrags, sondern aus anderen Gründen ausreisen müssen und auch keine Duldung haben, kommt man auf rund 50.000 Menschen.
    Sie können also sofort abgeschoben werden. Zwischen Januar und Juni dieses Jahres gab es nach einer Auskunft der Bundesregierung an die Linksfraktion insgesamt 7861 Abschiebungen aus Deutschland. Im Vorjahreszeitraum waren es nach einer Angabe aus dem vergangenen Jahr 6198 Abschiebungen.

    Was kann einer Abschiebung entgegenstehen?

    Der Großteil derjenigen, die eigentlich ausreisepflichtig wären, ist geduldet. Das heißt, die Abschiebung ist aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ausgesetzt worden - manchmal für wenige Tage, manchmal für viele Jahre. Für die Duldung kann es unterschiedliche Gründe geben, etwa eine Ausbildung oder ein Arbeitsverhältnis. Außerdem gilt für manche Staaten, wie den Iran, ein Abschiebestopp – das heißt, dorthin wird aufgrund der menschenrechtlichen Situation nicht abgeschoben. Es kann aber auch sein, dass Passdokumente fehlen.
    Außerdem können Schwangerschaft oder Erkrankung eine Abschiebung verhindern. Was einer Abschiebung auch entgegenstehen kann, ist, neben den genannten Kriterien für eine Duldung, dass ein Land seine eigenen Staatsbürger nicht zurücknimmt. Es gibt zum Beispiel die deutsche Bitte an Marokko, Staatsbürger zurückzunehmen, deren Asylantrag in Deutschland abgelehnt worden ist. Im Gegenzug bietet Berlin Marokko unter anderem Unterstützung bei der Fachkräfteeinwanderung in Richtung Deutschland an. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht dabei von „passgenauen Lösungen, die den Bedürfnissen unserer beiden Länder gerecht werden“.
    Noch ist die Bundesregierung am Anfang ihrer Bemühungen. Es sind auch nicht alle Länder bekannt, mit denen sie über solche Abkommen verhandelt. Aber in der Regel, so viel ist klar, geht es um zweierlei: Abschiebung auf der einen und Fachkräfteeinwanderung auf der anderen Seite.

    Was soll sich durch das Gesetz ändern?

    Der Gesetzesplan basiert auf einer Einigung der Länder mit dem Bundeskanzler vom Mai, jetzt geht der Entwurf in den Bundestag. Das Ziel: mehr Abschiebungen. Die Zahl der bisher gescheiterten Abschiebungen soll mit dem Gesetz, über das der Bundestag berät, sinken. Derzeit, so rechnet die Bundesregierung vor, scheitern zwei Drittel der geplanten Abschiebungen.
    Am häufigsten hat das organisatorische Gründe: Papiere fehlen, die Bundespolizei oder auch die Fluggesellschaften stornieren einen Flug oder das Zielland erteilt keine Landeerlaubnis. Der baden-württembergische Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU) nennt einen weiteren Grund, warum Personen nicht abgeschoben werden können. Es kommt vor, dass Personen in ihrem Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft nicht angetroffen werden. Lorek: „Und daher ist auch wichtig, dass es jetzt ermöglicht werden soll, in Gemeinschaftsunterkünften das Nachbarzimmer zu durchsuchen. Das war ja bislang schon teilweise üblich: Man wechselt einfach das Zimmer nachts, dann wird in dem einen Zimmer gesucht – erfolglos.“
    In Zukunft soll es, nach dem neuen Gesetz, möglich sein, dass Behörden in Gemeinschaftsunterkünften auch in Räume Dritter gehen dürfen, um die von einer Abschiebung betroffene Person zu suchen. Für Konstantin Kuhle, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP und zuständig für Rechts- und Innenpolitik, ist ein zentraler Punkt, „dass der Ausreisegewahrsam auf 28 Tage verlängert werden kann“.
    Ausreisegewahrsam kann angeordnet werden, wenn die Frist, innerhalb derer jemand freiwillig ausreisen kann, um mehr als 30 Tage verstrichen ist, die Abschiebung kurz bevorsteht und man davon ausgeht, dass die betroffene Person die Abschiebung absichtlich erschweren oder verhindern will. Bislang beträgt die maximale Dauer für den Ausreisegewahrsam zehn Tage.
    Durch das geplante Gesetz sollen maximal bis zu 600 zusätzliche Abschiebungen pro Jahr möglich sein.

    Was sagen Kritiker zu der geplanten Neuregelung?

    Wiebke Judith von Pro Asyl kritisierte, die Bundesregierung opfere die Rechte der Betroffenen dem „rechtspopulistischen Diskurs“. „Verschärfte Abschiebungsregeln werden kaum dazu führen, dass nennenswert mehr Menschen abgeschoben werden.“ Kritik gibt es auch von den mitregierenden Grünen. Bei dem Gesetzentwurf, der jetzt auf dem Tisch liegt, stören sich die Grünen unter anderem daran, dass auch die Räume Dritter durchsucht werden könnten und an der Verlängerung des Ausreisegewahrsams. So sagt Filiz Polat, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag: „Und die aus unserer Sicht problematischen Punkte, nämlich die Eingriffe in Grundrechte, um vermeintlich mehr Menschen abschieben zu können, die müssen wir jetzt sehr genau prüfen, weil wir verfassungsrechtliche und europarechtliche Bedenken haben, gerade in der Tiefe der Grundrechtseingriffe.“
    Auch der Paritätische Gesamtverband kritisiert das vorgeschlagene Gesetz: "Dabei geht es um weitreichende Eingriffe in das Recht auf Freiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Recht auf Privatsphäre", heißt es in einer Stellungnahme. Gegen diese Verschärfungen gebe es grundrechtliche, sowie europa- und völkerrechtliche Vorbehalte. 
    Skepsis überwiegt auch bei der Migrationsexpertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Victoria Rietig. Das Problem in Deutschland seien die zerstückelten Zuständigkeiten und die packe das Gesetz nicht an: „Unsere Forschung zeigt ganz klar, dass Rückkehr, Entscheidungen und Vollzug von Abschiebungen in Deutschland uneinheitlich und oft unfair sind", so Rietig.
    "Wir empfehlen deshalb, dass die Politik insgesamt stärker zentralisiert sein sollte: Das heißt nicht die Kommunalebene, sondern mindestens die Landesebene und langfristig die Bundesebene sollte die Abschiebungsentscheidungen treffen und dann auch vollziehen, damit nämlich dann ähnlich gelagerte Fälle auch ähnlich behandelt werden." Nur durch eine solche Strukturreform könne die Rückkehrpolitik einheitlicher und dadurch auch fairer werden.
    dh, mt, tmk