Bleibeperspektive für Menschen mit Duldung
Die Koalitionspläne für ein Chancen-Aufenthaltsrecht

Gut integrierte Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus sollen künftig eine Bleiberecht-Perspektive in Deutschland haben – dafür will die Ampelkoalition ein neues Chancen-Aufenthaltsrecht schaffen. Die Opposition fürchtet Fehlanreize und Missbrauch.

08.06.2022
    Ausweisdokument mit der Aufschrift "Aussetzung der Abschiebung (Duldung)"
    Menschen mit Duldung sind im Prinzip ausreisepflichtig, ihre Abschiebung ist nur ausgesetzt (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will ein dauerhaftes Bleiberecht für abgelehnte, aber gut integrierte Asylbewerber schaffen. Es geht um Menschen, die fünf Jahre oder mehr in Deutschland leben und bisher nur über eine Duldung verfügten. Stichtag ist dabei der 1. Januar 2022. Für sie soll bei guter Integration ein Chancen-Aufenthaltsrecht geschaffen werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll noch vor der Sommerpause ins Kabinett.
    Faeser verwies darauf, dass die Neuregelung auf eine Vereinbarung der Ampel-Parteien zu einem umfangreichen Migrationspaket im Koalitionsvertrag zurückgehe. Neben dem Bleiberecht für Geduldete sollten in einem ersten Schritt auch "erste Verbesserungen bei der Fachkräfteeinwanderung auf den Weg" gebracht werden und Regelungen zu beschleunigten Abschiebungen von Menschen ohne Bleibebefugnis.

    Für wen soll das Chancen-Aufenhaltsrecht gelten?

    "Es betrifft diejenigen, die in Deutschland seit fünf Jahren oder mehr leben und gut integriert sind, aber nur über eine Duldung verfügen", sagte die Bundesinnenministerin. Aktuell betrifft das mehr als 100.000 Menschen. Voraussetzung ist das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Deutschland. Ausgeschlossen sind Straftäter und -täterinnen und diejenigen, die getäuscht haben, wenn es um ihre Identität geht.
    Was für diese Aufenthaltserlaubnis auf Probe nicht vorgewiesen werden muss, sind unter anderem die Sicherung des Lebensunterhaltes und auch der gesicherte Nachweis zur Identität. All das soll in dem einen Jahr nachgeholt werden. Danach ist auch der Übergang in ein dauerhaftes Bleiberecht möglich. Diese Möglichkeit des sogenannten Chancen-Aufenthalts soll zunächst auf zwei Jahre befristet sein. Zudem sollen gestattete oder geduldete Menschen, die diesen nicht in Anspruch nehmen, aber bestimmte Voraussetzungen erfüllen, nun schon nach sechs anstatt wie bislang acht Jahren die Möglichkeit haben, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.
    „Wir haben ganz viele Unternehmer, Handwerksmeister, Bürgermeister, die immer darüber klagen, dass wir die Falschen abschieben“, sagt Stephan Thomae, Innenpolitiker und parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag. Gefährder und Straffällige werde man oft nicht los, dafür würden gut integrierte Familien abgeschoben oder junge Menschen mit Arbeitsplatz und Deutschkenntnissen, die sich an die Gesetze hielten.

    Was sind die Kritikpunkte der Opposition?

    Der Union geht der Gesetzentwurf zu weit. "Der Begriff Chancen-Aufenthaltsrecht ist freundlich gemeint, aber letztlich verharmlosend. Denn er bedeutet nichts anderes, als dass neue Hoffnungen geschaffen werden, in Deutschland ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen zu können, ohne dass man einen entsprechenden Schutzanspruch hat", sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm. Es gehe um ausreisepflichtige Personen, die sich besonders hartnäckig geweigert hätten, ihrer Ausreisepflicht nachzukommen. Und diese Gruppe solle nun, laut Throm, dafür belohnt werden.
    Protest gegen Abschiebung und Kettenduldung in Potsdam, April 2021
    Protest gegen Abschiebung und Kettenduldung in Potsdam (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Die Linke hingegen findet, dass der Gesetzentwurf viel zu spät kommt. "Seit Anfang des Jahres werden immer wieder Menschen abgeschoben, die nach dem Koalitionsvertrag eigentlich bleiben können sollen. Das ist für die Betroffenen natürlich unerträglich und rechtsstaatlich unhaltbar," sagte Linken-Politikerin Clara Bünger. Die Linke habe deshalb bereits einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem das Gesetz noch vor der Sommerpause auch vom Bundestag verabschiedet werden könnte. Zudem kritisiert Bünger, dass die Ampel unter dem Stichwort Rückführungsoffensive auch Abschiebungen in den Blick nimmt. So heißt es im Gesetzentwurf, zur besseren Durchsetzung bestehender Ausreisepflichten seien praktikablere Regelungen zur Abschiebungshaft von Straftätern vorgesehen.

    Wie weit ist das politische Projekt derzeit?

    Bundesinnenministerin Faeser hat einen ersten Gesetzesentwurf vorgelegt, der Teil eines ersten Pakets der Migrationspolitik der Ampel ist. Er soll noch vor der Sommerpause vom Kabinett verabschiedet werden und setzt deutlich andere Akzente als die Union in den vergangenen Jahren - unter anderem im Bereich der Fachkräfteeinwanderung und des Aufenthaltsrechtes.

    Abschiebungen bis dato möglich und Praxis

    Bis dato können Menschen, die die Kriterien für das geplante Chancen-Aufenthaltsrecht erfüllen, noch abgeschoben werden. Das geschieht auch immer wieder. Pro Asyl verwies Ende Januar 2022 auf den Fall eines Pakistaners in Niedersachsen: Er habe sich seit 2015 in Deutschland aufgehalten, habe alle von der Koalition formulierten Voraussetzungen erfüllt – trotzdem sei er im Januar 2022 abgeschoben worden.
    In NRW machte im Februar 2022 die drohende Abschiebung einer Familie von Bad Berleburg nach Aserbaidschan Schlagzeilen. Mehrere Medien berichteten, der Fall landete beim Petitionsausschuss des NRW-Landtags.

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    Das NRW-Integrationsministerium von Joachim Stamp (FDP) kündigte an, vorhandene Anwendungsspielräume zu nutzen, aber im Übrigen "bundesgesetzliche Regelungen" abzuwarten. Stamp hatte sich schon in den Koalitionsverhandlungen für bessere Bleibeperspektiven eingesetzt und moniert, die Union habe der Ampel "ein absolutes Chaos in der Migrationspolitik hinterlassen".
    Quellen: Katharina Hamberger, dpa, afp, fmay, og