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Migration
Italien streitet über afrikanische Religionsvielfalt

In der italienischen Kleinstadt Castel Volturno lassen sich viele Migranten aus Afrika nieder und bringen ihren Glauben mit. Viele gehören zu evangelikalen Kirchen, andere zelebrieren Voodoo-Riten. Die Fremdartigkeit vieler Kulte erschreckt Einheimische und dient Italiens rechten Parteien als Steilvorlage.

Von Thomas Migge |
    Anwohner und Einwanderer in Castel Volturno bei einer Demonstration gegen den Lega Nord Vorsitzenden Matteo Salvini im Oktober 2014.
    Anwohner und Einwanderer in Castel Volturno bei einer Demonstration gegen den Lega Nord Vorsitzenden Matteo Salvini (imago / ZUMA Press)
    "Das hier ist einer jener Orte Italiens, wo extrem viele Einwanderer leben, hier wohnen inzwischen mehr illegale Einwanderer als gebürtige Italiener, Einwanderer, die dank Drogenhandel, Prostitution und Schwarzarbeit überleben."
    Matteo Salvini, Chef der rechten und ausländerfeindlichen Partei Lega, fährt immer gern in die Kleinstadt Castel Volturno in der süditalienischen Region Kampanien, wenn er deutlich machen will, wie, so seine Worte, "Italien vor die Hunde geht, wenn man alle Einwanderer ins Land lässt".
    Rund 26.000 Italiener leben in Castel Volturno. Hinzukommen zirka 25.000 Einwanderer mit Aufenthaltsgenehmigung und weitere 10.000 bis 15.000 Einwanderer ohne Papiere. Sie kommen vor allem aus Schwarzafrika. Castel Volturno ist zum roten Tuch aller italienischen Ausländerhasser und Einwanderungsskeptiker geworden. Viele Menschen in der Stadt empfinden die zahlreichen dunkelhäutigen Einwanderer als Bedrohung. Auch als religiöse Bedrohung, wie Kaffeebarbesitzer Fabio Martini erklärt:
    "Wir haben hier in der Straße eine kleine Kapelle für den Heiligen Padre Pio und die Madonna. Die Einwanderer haben vor einigen Wochen das Glas der Kapelle zerstört."
    Verzweigtes religiöses Netzwerk
    Die bösen schwarzen Einwanderer von Castel Volturno: Sie haben an allem Schuld. So propagieren es Italiens Rechte und Ausländerhasser. Doch so simpel ist die Realität nicht. Sicherlich gibt es viele illegale Einwanderer und eine Menge Kleinkriminalität. Doch viele der legalen und illegalen Einwanderer wollen einfach nur in Frieden leben und sich ihren Lebensunterhalt verdienen - und auch ihren Glauben leben. In den zahllosen Barackensiedlungen von Castel Volturno ist eine in Italien einzigartige religiöse Subkultur entstanden, erklärt Religionssoziologe Donato Di Sanzo:
    "Diese religiöse Subkultur ist beispielhaft für die soziale Realität, die in Castel Volturno entstanden ist: Wir haben hier mindestens 45 evangelikale Kirchengemeinden und geschätzte 75 Moscheen und religiöse Versammlungsräume für Moslems. Das religiöse Netzwerk in Castel Volturno ist wesentlich weiter verzweigt als man bisher annahm."
    Di Sanzo hat dieses Netzwerk im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität La Sapienza in Rom erforscht. Dabei fiel ihm auf, dass katholische und protestantische Kirchengemeinden inzwischen in der Minderzahl sind. Es dominieren, so der Religionssoziologe, charismatische, pfingstlerische und evangelikale Kirchen:
    "Dieses religiöse Phänomen umfasst alle in der Stadt lebenden Schwarzafrikaner. Wie können also sagen, dass wir in Castel Volurno die größte Ansammlung solcher Kirchengemeinden in ganz Italien haben. Ich denke mir, dass diese Zahlen für sich sprechen, und die Behörden diese Kulte endlich voll anerkennen sollten, um die Integration der Einwanderer voranzutreiben."
    Der kirchliche Kontrolleur
    Genau das wollen aber ein guter Teil der - katholischen - Bevölkerung und auch der katholischen Kirche nicht. Sie sehen in den afrikanischer Herkunft eine Gefahr für ihre religiöse Identität. Dass auch heidnisch-animistische Kulte auf ihrem Stadtgebiet zelebriert werden, finden Umfragen zufolge viele Bürger unerhört.
    Voodoo-Riten, wie sie Einwanderer aus Westafrika regelmäßig in ihrer Barackensiedlung am östlichen Stadtrand von Castel Volturno durchführen.
    Die Fremdartigkeit dieser Riten erschreckt viele Einheimische - und auch einen guten Teil des katholischen Klerus. Auch wenn die Amtskirche sich offiziell zum Fall Castel Volturno nicht äußern will, hat sie doch im März einen Kontrolleur der Bischofskonferenz in die Stadt geschickt. Mit der Aufgabe, seinerseits die multireligiöse Realität in Augenschein zu nehmen und Bericht zu erstatten. Aus gut informierten Kreise der Bischofskonferenz in Rom wurde bekannt, dass man die Behörden der Region Kampanien gebeten habe, ihrerseits die diversen nichtkatholischen Kulte in Castel Volturno auf eine mögliche Gefahr für die zivile Ordnung hin zu überprüfen. Padre Antonio Guarino, für die Einwanderer zuständiger katholischer Geistlicher der Caritas Italiana, kann diese Furcht seiner Kirche nicht nachvollziehen.
    Er sagt: "Wir sollten ein bisschen nachdenken, bevor wir zu schnelle Urteile fällen. Diese Menschen kommen von weither, fühlen sich fremd und finden vor allem in ihrem Glauben Zuspruch und Halt. Doch was wir hier erleben ist eine sehr gespannte soziale Situation."
    "Man muss sich anstrengen, hier akzeptiert zu werden"
    Rechte Parteien wie die Lega hetzen die einheimische Bevölkerung gegen die Einwanderer und auch gegen ihre Religionen auf, gegen die evangelikalen Bewegungen, aber erst Recht gegen den Islam. Ibrahim Adore kommt aus dem Niger und ist gläubiger Moslem.
    "Man muss sich anstrengen, hier akzeptiert zu werden. Das will ich auch, ich will mich anstrengen, aber ich fühle mich zweifach ausgegrenzt: als schwarzer Einwanderer und als Moslem. Ich hoffe, dass ich als Fußballspieler in der Mannschaft 'Afronapoli' endlich mehr Offenheit bei den Einheimischen finde."
    Qua Fußball, dem italienischen Nationalsport, wollen Geistliche wie Padre Antonio Guarino und die Caritas Italiana gesellschaftliche und auch religiöse Barrieren zwischen Einheimischen und Einwanderern in Castel Volturno abbauen helfen. Erste Erfolge gibt es bereits: Die Mannschaft "Afronapoli", sie besteht ausschließlich aus afrikanischen Einwanderern, gewinnt fast jedes lokale Turnier. Fußball ist in Castel Volturno auch eine Religion.