Bildungsmonitor 2024
Sprachkompetenz und Eltern sind der Schlüssel

Welche Chancen haben Kinder mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Bildungsmonitor 2024. Fehlende Deutschkenntnisse und eine geringe Bildung der Eltern sind demnach mit die größten Herausforderungen.

    Illustration: Drei Kinder mit diversen kulturellen Hintergründen. In der Mitte ein Junge, der mit dem Kopf auf dem Tisch liegt.
    Mangelnde Deutschkenntnisse belasten die Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund nachhaltig, so das Ergebnis des Bildungsmonitors 2024. (Imago / fStop Images / Malte Müller )
    Die Leistung deutschstämmiger Schüler hat im vergangenen Jahrzehnt abgenommen. Zahlreiche PISA-Studien haben das in den vergangenen Jahren belegt. Noch mehr Lese-, Schreib- und Mathematik-Kompetenzen verloren aber die Kinder von Zuwanderern. Das sind mittlerweile mehr als 40 Prozent der unter 15-Jährigen, so der aktuelle Bildungsmonitor der Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Der Migrationshintergrund an sich ist dabei laut den Studienmachern nicht das Problem. Vielmehr bestimmten eine geringe Bildung der Eltern und fehlende Deutschkenntnisse über den Bildungserfolg von Kindern.

    Inhalt

    Was untersucht der Bildungsmonitor?
    Der Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) vergleicht seit 2004 jährlich die Bildungssysteme der 16 deutschen Bundesländer. Die Analyse wird vom Institut der deutschen Wirtschaft erarbeitet. Die Vergleichsstudie untersucht anhand von 98 Indikatoren 13 Handlungsfelder, beispielsweise die Verfügbarkeit von Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuungsmöglichkeiten, der Anteil der Schüler, die von Bildungsarmut betroffen sind, oder die Schulabbrecherquoten. Die Bewertung erfolgt nach Angaben der Autoren ausdrücklich aus bildungsökonomischer Sicht. Analysiert wird, inwiefern die Systeme der Länder Bildungsarmut reduzieren, einen Beitrag zur Sicherung des Wohlstands leisten, zur Fachkräftesicherung beitragen und Wachstum fördern. Die Zahlen dazu kommen von verschiedenen Einrichtungen wie beispielsweise den Statistischen Landesämtern.
    Zu welchem Ergebnis kommt der Bildungsmonitor 2024?
    Die aktuelle Ausgabe des Bildungsmonitors offenbart laut den Studienmachern „ernüchternde Ergebnisse“. Vor allem der Kompetenzverlust bei den Schülern, insbesondere denjenigen mit Migrationshintergrund, zeige die „Dringlichkeit, Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungsqualität zu ergreifen“. Zuwanderung an sich biete viele Potenziale, vor allem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der Tatsache, dass vor allem junge Menschen nach Deutschland migrierten, doch dafür sei eine erfolgreiche Integration unabdingbar. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen müssten frühzeitig Sprachbarrieren abgebaut werden.
    Aktuell ließen sich schon im Kindergartenalter im Durchschnitt Kompetenzunterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund feststellen, beispielsweise bei Wortschatztests. Die Kompetenzunterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund, die schon im Kindergarten feststellbar waren, setzten sich in der Grundschulzeit fort. Auch in den weiterführenden Schulen lassen sich diese Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund sowie ein Rückgang der Kompetenzen feststellen.
    Deutsch als Schlüsselkompetenz
    Gründe dafür sind der Studie zufolge die oft niedrigeren Bildungsabschlüsse der Eltern, eine geringe Qualifizierung, die Tatsache, dass es wenige Bücher im Haushalt gibt und zu Hause wenig bis kein Deutsch gesprochen wird. Kinder mit Zuwanderungsgeschichte besuchen auch immer noch seltener einen Kindergarten als Kinder ohne Migrationshintergrund. 2022 gingen 21 Prozent der unter Dreijährigen mit Migrationshintergrund in eine Kindertageseinrichtung, diejenigen ohne kamen auf 43 Prozent. Viele der Kinder sprechen dann bei Einschulung schlechter deutsch und kommen in der Schule nicht gut mit.

    Zusammenhang Migrationshintergrund und Bildungsstand

    Grafik zeigt den Zusammenhang zwischen Bildungsstand und Migrationshintergrund
    Das Elternhaus spielt bei der Bildung eine wichtige Rolle (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
    Der Anteil an Haushalten, in denen kein Deutsch gesprochen wird, hat sich dabei in den letzten Jahren weiter erhöht. In vielen Fällen handle es sich dabei um Geflüchtete, die in erster Generation in Deutschland, sagt der Soziologe Marcel Helbig. Außerdem seien unter den Kindern mit Migrationshintergrund überproportional viele Flüchtlingskinder dazugekommen, die noch nicht lange in Deutschland lebten. In ihren Familien müssten meist auch die Eltern erst noch Deutsch lernen. „Und das geschieht dann anscheinend nicht so, wie man sich das wünschen würde.“

    Keine Probleme in bildungsaffinen Familien

    In den Zuwandererfamilien, in denen Deutsch gesprochen wird und in denen die Eltern bildungsaffin sind, hätten die Kinder wiederum keine Probleme. Im Gegenteil, sagt Marcel Helbig, Forscher am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe. „Bei gleichen Kompetenzen gehen Migrantenkinder in Deutschland häufiger aufs Gymnasium über, weil sie höhere Aspirationen haben, eine höhere Bildung zu erlangen.“ Die Zahl der Kinder aus bildungsfernen Haushalten, in denen kein Deutsch gesprochen wird, ist vor allem durch Geflüchtete aus der Ukraine, Syrien und Afghanistan weiter gestiegen.
    Diese Probleme übertragen sich laut der INSM-Studie auch auf den Rest der Klasse. „Wenn Sie mehr als die Hälfte Kinder in der Klasse haben, die nicht deutsch sprechen, dann kriegen die nichts mit, aber es ist auch schlecht für alle anderen, die Deutsch sprechen. Das heißt: Das schlechte Niveau der einen zieht das Bildungsniveau der anderen mit runter und das ist auch über die Jahre messbar, dass das Bildungsniveau in Deutschland leider wieder sinkt“, sagt der Geschäftsführer der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, Thorsten Alsleben.

    Sachsen hat laut Studie das beste Bildungssystem

    Insgesamt schnitt Sachsen, wie auch im vergangenen Jahr, am besten ab, vor Bayern. Dahinter folgen Hamburg, Thüringen, Baden-Württemberg und das Saarland. Schlusslicht im Vergleich der Länder ist Bremen. Den größten Sprung nach vorne machte Berlin, das sich von Platz 15 auf Platz 12 verbesserte. In einzelnen Handlungsfeldern belegten viele der Länder Spitzenpositionen. Brandenburg etwa war am besten im Handlungsfeld Integration, Bremen dagegen erreichte bei der Ausbildungsleistung im IT-Bereich die besten Werte aller Bundesländer.
    Welche Lösungsansätze gibt es?
    Die Studienautoren sprechen sich vor allem dafür aus, die Sprachförderung bereits vor der Grundschule anzugehen. Gemeinsam fordern die Initiative und die Forscher, Kinder mit Sprachdefiziten bundesweit bereits im Alter von vier Jahren durch verpflichtende Tests festzustellen. Mit einem anschließenden verpflichtenden Besuch eines Kindergartens könnten Defizite bis zur Einschulung aufgeholt werden. Eine Kita-Pflicht ist allerdings umstritten, weil sie ein großer Eingriff in die Freiheit von Eltern wäre.
    Aber: Der aktuelle Trend ist laut Studie besorgniserregend: So sei der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund im Alter zwischen drei und sechs Jahren, die in einer Kita betreut werden, von 85 Prozent im Jahr 2013 auf nur noch 78 Prozent im Jahr 2022 gesunken. Bei Kindern ohne Migrationshintergrund sei der Anteil im selben Zeitraum hingegen von 98 auf 100 Prozent gestiegen.
    Worum geht es beim „Startchancen-Programm“?
    Oberstes Ziel des „Startchanchen-Programm“ von Bund und Ländern ist es, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln und für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen. Dafür werden seit diesem Jahr Schulen in schwierigen sozialen Lagen mit rund 20 Milliarden Euro gefördert. Das Extra-Geld soll in Lernorte gesteckt oder für zusätzliches Personal wie Sozialarbeiter benutzt werden. Bis zum Schuljahr 2026/27 soll es in ganz Deutschland etwa 4000 Startchancen-Schulen geben. Nach Einschätzung der Autoren des Bildungsmonitors wird das aber nicht reichen. Die bundesweite Förderung müsse von 10 auf 40 Prozent der Schulen ausgeweitet werden. Andernfalls erreiche man lediglich einen zu kleinen Anteil an Kindern und trage die Probleme immer weiter in die Zukunft. Auch Bildungsforscher Olaf Köller sagt, man brauche das Fünf- bis Zehnfache, um die Schüler effektiv zu fördern.

    "Startchancen-Programm" nur ein "Projektchen"?

    Auch der Soziologe Marcel Helbig ist skeptisch, ob das Programm die Probleme wirklich beheben kann. Mit einer besseren pädagogischen Ausstattung von Schulen oder multiprofessionellen Teams könne man Kindern nicht direkt einen höheren Kompetenzstand vermitteln. Zielführender seien hingegen mehr Lehrkräfte an sozial benachteiligten Schulen, doch die wollten oft nicht an sogenannten Brennpunktschulen arbeiten. Und so sei das Programm eines von vielen einzelnen „Projektchen“, die er oft im frühkindlichen Bereich oder im Schulsystem sehe, „die dann nicht in die Fläche getragen werden“, auch wenn sie gut funktionierten.
    nsh