"Muslimische Einwanderer haben viele Kinder. Muslime wollen unter sich bleiben. Und: Terrorismus ist ein natürliches Nebenprodukt des islamischen Glaubens." Solchen Behauptungen und ihren Wortführern will der kanadische Journalist Doug Saunders mit seinem Buch "Mythos Überfremdung" begegnen. Und der Untertitel beschreibt, um was es ihm dabei vor allem geht: "Eine Abrechnung". Im Blick hat Saunders - der für die kanadische Tageszeitung "The Globe and Mail" arbeitet - dabei die Diskussionen um die Einwanderung von Muslimen nach Nordamerika und Westeuropa – insbesondere in die USA, nach Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Saunders Standpunkt ist dabei eindeutig:
"Muslimische Einwanderer in Europa und Nordamerika sind keine Invasionsstreitmacht, keine politische Verschwörung und auch keine demografische Bedrohung, und sie unterscheiden sich nicht von früheren Wellen armer Neuankömmlinge mit auffälligen religiösen Gebräuchen."
Um dies zu belegen, geht Saunders schrittweise vor. Zunächst stellt er verschiedene Kommentatoren, Autoren und Politiker vor, die in muslimischen Einwanderern durchaus eine Bedrohung sehen. Um in einem zweiten Schritt, deren Vorurteile gegenüber muslimischen Migranten zu überprüfen. Hierfür setzt Saunders auf einen Faktencheck und nutzt Statistiken, Studien- und Forschungsergebnisse; ebenso bilanziert er historische Migrationswellen, um anti-muslimische Haltungen zu widerlegen. Doch wer sind die Wortführer solcher Ressentiments? Saunders nennt als Beispiel die britische Autorin Gisèle Littman, als, wie er schreibt, "großmütterliche Inspirationsquelle". In ihren Veröffentlichungen warnt die heute 80-Jährige immer wieder vor einer "Islamisierung" Europas - ohne dabei schlüssige Argumente zu liefern. Doch im Netz finden ihre Thesen gerade bei rechten Bloggern großen Anklang. Als Jüdin in Ägypten geboren und in den 1950er-Jahren nach London geflohen, prägte Littman unter ihrem hebräischen Pseudonym Bat Ye’or den Begriff "Eurabien" – analog zu einem Brüsseler Komitee, das sich Euro-Arab Dialogue nennt.
"In Gisèle Littmans Vorstellungswelt setzen dieses verschlafene Komitee und seine Nachfolgeeinrichtungen jedoch eine islamische Übernahme des gesamten europäischen Kontinents ins Werk."
Und weiter:
"Als Beleg für diese Behauptung hat sie nicht mehr zu bieten als eine dünne Suppe von Annahmen, die sie mit unauffälligen Zitaten aus Komiteeberichten verknüpft."
Zu den anti-muslimischen Stimmen zählt der Autor auch den US-Journalisten Christopher Caldwell, unter anderem Kolumnist bei der "Financial Times", den niederländischen Politiker und Rechtspopulisten Geert Wilders oder auch den Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin. Er zitiert aus ihren Veröffentlichungen, mit Geert Wilders hat er persönlich gesprochen, und entwirft dabei eine Bandbreite anti-muslimischer Argumente – wie etwa: Muslime seien illoyal gegenüber ihrer neuen Heimat, und dass sie terroristische Gewalt gutheißen. In ihnen sieht Saunders "gängige Meinungen". Doch liefert er keinen Nachweis, wie viel Einfluss etwa ein Thilo Sarrazin oder ein Geert Wilders auf Politik, Medien und Öffentlichkeit tatsächlich haben. Das gilt auch für Gisèle Littman: Sie mag anti-muslimische Fanatiker im Netz inspirieren – aber, wie Saunders schreibt, gleich eine ganze Generation von Autoren, Aktivisten und Politikern? Dennoch: Es gelingt Saunders den aufgebrachten Ressentiments gegen muslimische Migranten immer sachlich zu begegnen:
"Mein Ziel hierbei ist nicht, eine Religion oder ihre Gläubigen zu verteidigen, sondern einen Zugang zu finden, mit dem sich die ernsthaften Bedrohungen und Sorgen, die uns beschäftigen sollten von den unbegründeten Ängsten unterscheiden lassen",
schreibt Saunders. Für den Faktencheck selbst zitiert er die Universität Oxford, das US-amerikanische Meinungsforschungsinstitut Gallup – aber auch das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit. Systematisch überprüft der Kanadier die bestehenden Vorurteile. Zum Beispiel, dass muslimische Einwanderer aufgrund hoher Geburtenraten in den Ländern Nordamerikas und Westeuropas bald schon die Mehrheit stellen. Anhand verschiedener aktueller Statistiken zeigt Saunders, dass sich die Geburtenraten von Muslimen und Nicht-Muslimen nach und nach angleichen. In Deutschland, Spanien und Dänemark werden die Geburtenraten voraussichtlich 2030 identisch sein, so eine Studie des US-amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Pew in Washington. Auf dieser Grundlage kommt Saunders zu dem Schluss:
"Mit diesem grundlegenden demografischen Argument – dass es tatsächlich eine muslimische Flut gibt – hat sich die islamfeindliche Bewegung am weitesten von der Wahrheit entfernt."
Viele Erklärungen und Hintergründe, die Saunders liefert sind jedoch nicht neu. Er beschreibt wie wichtig Bildung und Arbeit sind, damit nicht Parallelgesellschaften entstehen – und dass Muslime nicht per se lieber unter sich bleiben. Neu ist jedoch, dass der Kanadier mit "Mythos Überfremdung" eine Art Handbuch im Umgang mit anti-muslimischen Vorurteilen entwickelt – angefüllt mit Fakten. Saunders geht dabei sehr akribisch vor, dennoch werfen die zahlreichen Statistiken und Studien den Leser nicht aus der Bahn. Ein zusätzlicher Bestandteil seiner Analyse - der Blick in die Geschichte: Saunders beschreibt die historischen Migrationswellen von Katholiken und Juden in den vergangenen beiden Jahrhunderten innerhalb Europas - beziehungsweise nach Nordamerika. Und er zeichnet dabei Parallelen der Fremdenfeindlichkeit gegenüber Einwanderern heute. Und er macht klar: Migration ist stets ein Prozess, Migrationswellen wechseln einander ab – und die Menschen, die neu hinzukommen müssen keine Bedrohung sein. Ein gutes Beispiel: Die USA in den 1950er-Jahren, in der die Loyalität neuer katholischer Einwanderer sogar öffentlich diskutiert wurde. Das sollte sich erst 1961 mit der Präsidentschaftswahl von John F. Kennedy, einem Katholiken, ändern:
"Katholische Amerikaner waren, wie sich herausstellte, einfach nur Amerikaner. Die Hysterie um die katholische Flut verschwand nahezu über Nacht aus der gesamten englischsprachigen Welt. Protestanten, Juden und Katholiken konnten sich nach den 1960er-Jahren die Hände reichen und anschließend den Moment abwarten, in dem sie sich in der Furcht vor der nächsten Welle bedrohlicher Außenseiter zusammentun konnten."
Diese Welle von Außenseitern erkennt Saunders auch in den muslimischen Einwanderern von heute:
"Die Angst vor der muslimischen Flut ist die Angst, fortgeschwemmt zu werden, die Angst davor, dass die mächtig, konsequent und unveränderlich sind, während wir zerbrechlich, von Zeitströmungen abhängig und gefügig sind. Doch die Fluten kommen und gehen."
Zu Recht fordert der Autor mehr Gelassenheit im Umgang mit Migranten aus anderen Kulturen, und plädiert dabei für das Vertrauen in demokratische Institutionen. Doug Saunders liefert mit seinem Buch eine wichtige und differenzierte Arbeit: Er entlarvt den Mythos Überfremdung, der den rechten, anti-muslimischen Meinungsmachern dient. Bei seiner Abrechnung mit jenen Wortführern bleibt Saunders an den Fakten und liefert dabei eine sachliche Perspektive innerhalb der Diskussion um muslimische Einwanderung.
Doug Saunders: "Mythos Überfremdung. Eine Abrechnung", Blessing Verlag, 256 Seiten, 18,99 Euro.
"Muslimische Einwanderer in Europa und Nordamerika sind keine Invasionsstreitmacht, keine politische Verschwörung und auch keine demografische Bedrohung, und sie unterscheiden sich nicht von früheren Wellen armer Neuankömmlinge mit auffälligen religiösen Gebräuchen."
Um dies zu belegen, geht Saunders schrittweise vor. Zunächst stellt er verschiedene Kommentatoren, Autoren und Politiker vor, die in muslimischen Einwanderern durchaus eine Bedrohung sehen. Um in einem zweiten Schritt, deren Vorurteile gegenüber muslimischen Migranten zu überprüfen. Hierfür setzt Saunders auf einen Faktencheck und nutzt Statistiken, Studien- und Forschungsergebnisse; ebenso bilanziert er historische Migrationswellen, um anti-muslimische Haltungen zu widerlegen. Doch wer sind die Wortführer solcher Ressentiments? Saunders nennt als Beispiel die britische Autorin Gisèle Littman, als, wie er schreibt, "großmütterliche Inspirationsquelle". In ihren Veröffentlichungen warnt die heute 80-Jährige immer wieder vor einer "Islamisierung" Europas - ohne dabei schlüssige Argumente zu liefern. Doch im Netz finden ihre Thesen gerade bei rechten Bloggern großen Anklang. Als Jüdin in Ägypten geboren und in den 1950er-Jahren nach London geflohen, prägte Littman unter ihrem hebräischen Pseudonym Bat Ye’or den Begriff "Eurabien" – analog zu einem Brüsseler Komitee, das sich Euro-Arab Dialogue nennt.
"In Gisèle Littmans Vorstellungswelt setzen dieses verschlafene Komitee und seine Nachfolgeeinrichtungen jedoch eine islamische Übernahme des gesamten europäischen Kontinents ins Werk."
Und weiter:
"Als Beleg für diese Behauptung hat sie nicht mehr zu bieten als eine dünne Suppe von Annahmen, die sie mit unauffälligen Zitaten aus Komiteeberichten verknüpft."
Zu den anti-muslimischen Stimmen zählt der Autor auch den US-Journalisten Christopher Caldwell, unter anderem Kolumnist bei der "Financial Times", den niederländischen Politiker und Rechtspopulisten Geert Wilders oder auch den Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin. Er zitiert aus ihren Veröffentlichungen, mit Geert Wilders hat er persönlich gesprochen, und entwirft dabei eine Bandbreite anti-muslimischer Argumente – wie etwa: Muslime seien illoyal gegenüber ihrer neuen Heimat, und dass sie terroristische Gewalt gutheißen. In ihnen sieht Saunders "gängige Meinungen". Doch liefert er keinen Nachweis, wie viel Einfluss etwa ein Thilo Sarrazin oder ein Geert Wilders auf Politik, Medien und Öffentlichkeit tatsächlich haben. Das gilt auch für Gisèle Littman: Sie mag anti-muslimische Fanatiker im Netz inspirieren – aber, wie Saunders schreibt, gleich eine ganze Generation von Autoren, Aktivisten und Politikern? Dennoch: Es gelingt Saunders den aufgebrachten Ressentiments gegen muslimische Migranten immer sachlich zu begegnen:
"Mein Ziel hierbei ist nicht, eine Religion oder ihre Gläubigen zu verteidigen, sondern einen Zugang zu finden, mit dem sich die ernsthaften Bedrohungen und Sorgen, die uns beschäftigen sollten von den unbegründeten Ängsten unterscheiden lassen",
schreibt Saunders. Für den Faktencheck selbst zitiert er die Universität Oxford, das US-amerikanische Meinungsforschungsinstitut Gallup – aber auch das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit. Systematisch überprüft der Kanadier die bestehenden Vorurteile. Zum Beispiel, dass muslimische Einwanderer aufgrund hoher Geburtenraten in den Ländern Nordamerikas und Westeuropas bald schon die Mehrheit stellen. Anhand verschiedener aktueller Statistiken zeigt Saunders, dass sich die Geburtenraten von Muslimen und Nicht-Muslimen nach und nach angleichen. In Deutschland, Spanien und Dänemark werden die Geburtenraten voraussichtlich 2030 identisch sein, so eine Studie des US-amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Pew in Washington. Auf dieser Grundlage kommt Saunders zu dem Schluss:
"Mit diesem grundlegenden demografischen Argument – dass es tatsächlich eine muslimische Flut gibt – hat sich die islamfeindliche Bewegung am weitesten von der Wahrheit entfernt."
Viele Erklärungen und Hintergründe, die Saunders liefert sind jedoch nicht neu. Er beschreibt wie wichtig Bildung und Arbeit sind, damit nicht Parallelgesellschaften entstehen – und dass Muslime nicht per se lieber unter sich bleiben. Neu ist jedoch, dass der Kanadier mit "Mythos Überfremdung" eine Art Handbuch im Umgang mit anti-muslimischen Vorurteilen entwickelt – angefüllt mit Fakten. Saunders geht dabei sehr akribisch vor, dennoch werfen die zahlreichen Statistiken und Studien den Leser nicht aus der Bahn. Ein zusätzlicher Bestandteil seiner Analyse - der Blick in die Geschichte: Saunders beschreibt die historischen Migrationswellen von Katholiken und Juden in den vergangenen beiden Jahrhunderten innerhalb Europas - beziehungsweise nach Nordamerika. Und er zeichnet dabei Parallelen der Fremdenfeindlichkeit gegenüber Einwanderern heute. Und er macht klar: Migration ist stets ein Prozess, Migrationswellen wechseln einander ab – und die Menschen, die neu hinzukommen müssen keine Bedrohung sein. Ein gutes Beispiel: Die USA in den 1950er-Jahren, in der die Loyalität neuer katholischer Einwanderer sogar öffentlich diskutiert wurde. Das sollte sich erst 1961 mit der Präsidentschaftswahl von John F. Kennedy, einem Katholiken, ändern:
"Katholische Amerikaner waren, wie sich herausstellte, einfach nur Amerikaner. Die Hysterie um die katholische Flut verschwand nahezu über Nacht aus der gesamten englischsprachigen Welt. Protestanten, Juden und Katholiken konnten sich nach den 1960er-Jahren die Hände reichen und anschließend den Moment abwarten, in dem sie sich in der Furcht vor der nächsten Welle bedrohlicher Außenseiter zusammentun konnten."
Diese Welle von Außenseitern erkennt Saunders auch in den muslimischen Einwanderern von heute:
"Die Angst vor der muslimischen Flut ist die Angst, fortgeschwemmt zu werden, die Angst davor, dass die mächtig, konsequent und unveränderlich sind, während wir zerbrechlich, von Zeitströmungen abhängig und gefügig sind. Doch die Fluten kommen und gehen."
Zu Recht fordert der Autor mehr Gelassenheit im Umgang mit Migranten aus anderen Kulturen, und plädiert dabei für das Vertrauen in demokratische Institutionen. Doug Saunders liefert mit seinem Buch eine wichtige und differenzierte Arbeit: Er entlarvt den Mythos Überfremdung, der den rechten, anti-muslimischen Meinungsmachern dient. Bei seiner Abrechnung mit jenen Wortführern bleibt Saunders an den Fakten und liefert dabei eine sachliche Perspektive innerhalb der Diskussion um muslimische Einwanderung.
Doug Saunders: "Mythos Überfremdung. Eine Abrechnung", Blessing Verlag, 256 Seiten, 18,99 Euro.