Vor ein paar Monaten hatte die österreichische Ratspräsidentschaft den Paradigmenwechsel in der europäischen Flüchtlingspolitik ausgerufen. Neue Priorität Nummer eins: Europa muss seine Außengrenzen dicht machen. Priorität Nummer zwei: Die Idee, dass alle Mitgliedstaaten Flüchtlinge aufnehmen müssen, sollte ein für alle Mal beerdigt werden. Jetzt, kurz vor dem Ende der Präsidentschaft, geht es für Österreich darum, den Nachweis zu erbringen, dass die Ankündigung des Paradigmenwechsels mehr war als bloß ein Auftritt mit aufgeblasenen Backen. Zum Beispiel beim Thema Außengrenzschutz. Seit Jahr und Tag hatten einige EU-Mitgliedstaaten, allen voran Ungarn, verlangt, dass sich die EU gegen jede Zuwanderung abschotten müsse. Auch Kommissionschef Juncker machte den besseren Schutz der EU-Außengrenzen zu seiner Priorität.
Geplante Grenzschutz-Aufstockung utopisch
Auf 10.000 Mann solle Frontex, die europäische Grenzschutzagentur, aufgestockt werden. Und zwar bis zum Jahr 2020. Jetzt fällt aber ausgerechnet dem österreichischen Innenminister Herbert Kickl die Aufgabe zu, die Frontexaufstockung ins Reich der Utopie zu verweisen.
"Wir haben in den Verhandlungen gesehen, dass die Vorgaben der Kommission mit diesen fixen Zahlen bis 2020 die Dimension des Machbaren sprengt. Deswegen sind wir dabei entsprechende Kompromisse auszuloten und werden versuchen, bis zum 31.12. noch zu Ergebnissen zu kommen."
Die Einwände gegen die Stärkung von Frontex sind vielfältig. So viele Grenzschützer seien in so kurzer Zeit gar nicht aufzutreiben, sagen die einen. Zu denen gehört auch Deutschland. Die anderen fürchten um ihre nationale Souveränität bei der Grenzkontrolle. Victor Orban, der ungarische Ministerpräsident, der massiv verlangt hat, dass Europa seine Außengrenzen dicht machen müsse, hat die Frontex-Grenzer schon als Söldnertruppe diffamiert.
Offene Punkte beim "Asylpaket"
Offen ist auch, ob der reklamierte Paradigmenwechsel einen Konsens beim sogenannten Asylpaket ermöglicht. Das ist ein Bündel von sieben Gesetzen. Fünf davon finden die Zustimmung aller Mitgliedstaaten. Sie definieren beispielsweise einheitliche Bedingungen für die Unterbringung von Flüchtlingen. Oder die Kompetenzen der europäischen Asylbehörde. Zwei Gesetzesvorschläge allerdings sind hoch umstritten. Darin geht es zum Beispiel um die Neuregelung der Dublin-Verordnung. Also um die Frage der Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten. Osteuropäische Länder, angeführt von Ungarn, verweigern sich jeder Aufnahme. Andere Länder aber fordern deren Solidarität ein. Die österreichische Ratspräsidentschaft hatte sich auf die Seite Ungarns geschlagen und verlangt, das Ziel der Flüchtlingsverteilung aufzugeben. Die westlichen und nördlichen EU-Länder, angeführt von Deutschland, wollen an der solidarischen Verteilung von Flüchtlingen aber festhalten. Und haben deshalb bislang immer die Aufspaltung des Asylpakets abgelehnt. Alles sieben Gesetzes oder keines, war ihre Devise.
Seehofers Premiere
Zumindest Deutschland scheint sich das anders überlegt zu haben. Das jedenfalls machte Innenminister Horst Seehofer klar, als er in Brüssel ankam:
"Ich sage nochmal: Am besten wäre ein Gesamtpaket. Wenn dies nicht möglich ist, dann muss man überlegen: Was kann man aus dem Gesamtpaket schon realisieren, ohne dass es eine Gesamteinigung gibt."
Für Seehofer ist das Brüsseler Treffen mit seinen EU-Amtskollegen im Übrigen so etwas wie eine Premiere. Er nimmt zum ersten Mal an einem regulären Innenrat teil. Bislang hatte er sich immer vertreten lassen.