Das Jahr 2001 war das Jahr des Pisa-Schocks, Deutschlands Schülerleistungen lagen unter dem OECD-Durchschnitt – dies galt vor allem für Schüler mit Migrationshintergrund. Seitdem hat sich enorm viel verbessert, lobte Andreas Schleicher, OECD-Bildungsexperte, bei einem Fachgespräch zum Thema Bildung und Migration der Grünen im Bundestag. Deutschland liege heute im oberen Mittelfeld, der Leistungsnachteil von Schülern mit Migrationshintergrund habe sich seitdem halbiert.
"Und diese Veränderungen sind im Wesentlichen zwischen 2003 und 2009 passiert, enorme positive Veränderungsdynamik. Aber von einer Einwanderungsgesellschaft ist man noch weit entfernt. Deutschland hat im Bereich Chancengerechtigkeit doch noch einiges zu tun."
Was machbar ist, was Bildungssysteme erreichen können, das zeigt die jüngste Studie der OECD, die die Pisa-Daten von 2012 im Hinblick auf das Thema Bildungserfolge von Migranten aufschlüsselt. Daran wird deutlich: Von den klassischen Einwanderungsländern wie Kanada, USA, Hongkong, aber auch der Schweiz kann Deutschland noch einiges lernen. Unter gleichen sozialen Verhältnissen sind die Leistungsergebnisse von Migranten in den Ländern höchst unterschiedlich.
"Eindrucksvoll sind hier die zehn Prozent der Leistungsschwächsten in Schanghai. Das sind wirklich Kinder, die kommen aus extrem bildungsfernen Schichten, wo die meisten Eltern gar keine Schulbildung haben. Das sind meistens Migrantenkinder aus den umliegenden ärmlichen Gebieten, die arbeiten in Schanghai, um Geld zu verdienen. Und man sieht: Diese Kinder können sich durchaus mit dem oberen Drittel der gebildeten Schichten in Deutschland vergleichen."
Integration sollte bereits in der ersten Einwanderergeneration funktionieren
Ernüchternd sind auch die Zahlen, wenn man Bildungserfolge der ersten und zweiten Einwanderergeneration vergleicht. Hier wird deutlich, dass es wichtiger ist, wo man beschult wird, als woher man kommt. Türken der ersten Generation etwa erzielten in verschiedenen europäischen Ländern etwa gleich hohe Ergebnisse. Ihre Kinder dagegen, schon hier aufgewachsen, schneiden deutlich schlechter ab – und dieses Phänomen ist in Deutschland besonders stark ausgeprägt, viel stärker als etwa in der Schweiz.
Schleicher: "Was nämlich interessant ist, dass viele Schüler mit Migrationshintergrund deutlich ambitionierter sind als Schüler ohne Migrationshintergrund. Was ihre eigenen Leistungsvorstellungen anbelangt, Bildungskarrieren, da haben sehr viele Schüler der ersten Generation sehr hohe Ambitionen, leider verliert sich das in der zweiten Generation, das heißt im Grunde auch, wie wichtig Integrationsaufgaben in der ersten Generation sind."
Türkische Einwanderer der zweiten und dritten Generation erzielen also offenbar schlechtere Leistungen, weil sie sich in Deutschland an den Rand gedrängt fühlen, so das Fazit. Wie aber kann man aus den Fehlern der Vergangenheit lernen? Das wichtigste sei: Ghettobildung vermeiden. Wer als Migrant in einer Schule mit einem hohen Ausländeranteil lande, dessen Chancen auf gute Leistungen seien doppelt negativ, betonte Schleicher. Früher Kindergartenbesuch erhöhe die Bildungserfolge signifikant. Und: Länder, in denen Integration besonders gut gelinge, legten größten Wert auf den Spracherwerb. In Singapur etwa würden für Migranten zwei Stunden am Tag für den Sprachunterricht aufgewendet – in Deutschland im Schnitt nicht mal eine halbe Stunde. Ebenso wichtig sei die Unterrichtsqualität – Lehrer müssten gezielt und flächendeckend darin geschult werden, Migranten zu unterrichten, forderte Petra Stanat, Direktorin des Instituts für Qualitätsentwicklung im Hochschulwesen.
"Das sind nicht Oberflächenstrukturen, sondern wirklich die Frage, wie muss ich diese Schülerinnen und Schüler in Mathematikunterricht unterstützen, damit sie Mathematik lernen können, trotz der geringen sprachlichen Kompetenzen."
Bislang wird in Deutschland vor allem improvisiert. Laut einer "Bild"-Umfrage wollen die Bundesländer im kommenden Jahr zwar 7.800 neue Lehrer einstellen. Damit kämen im Schnitt 37,5 Kinder auf einen Pädagogen. Bei erwarteten 300.000 zusätzlichen Schülern werden mindestens 20.000 neue Stellen gebraucht. Man lebe davon, dass bislang erst ein Teil der Kinder im Schulsystem angekommen sei, kritisierte Philologenverbandschef Heinz-Peter Meidinger.
"Das heißt, wir haben eine Riesenlücke, die auftauchen wird im Frühjahr oder im Sommer, dann werden wir das merken, und wir fahren total auf Sicht, weil wir wissen ja, dass wir nächstes Jahr wieder, ich sag jetzt mal, nicht 300.000, aber 150.000 Flüchtlingskinder in Deutschland mehr haben werden."
Die Lehrergewerkschaft GEW forderte so bald wie möglich eine zweite Einstellungswelle – doch wo die Länder die benötigten Lehrer herbekommen sollen, das steht noch in den Sternen.