Der moderne Mensch verbringt einen Großteil seines Lebens in Innenräumen. Dort sind auch viele Bakterien zu finden, mit denen wir dann zwangsläufig in Kontakt kommen. Der größte Teil dieser Bakterien stammt dabei von uns Menschen selbst. Das hat Jack Gilbert herausgefunden.
"Unsere eigenen vier Wände sind eine Quelle und eine Senke für Bakterien von und für den Menschen. Doch hauptsächlich prägen wir selbst das mikrobielle Milieu unserer Wohnungen. Denn wir verbreiten ständig Bakterien, die auf unserer Haut und in unserem Körper leben. Wir sind so etwas wie große Bakterienschleudern, die jede Stunde bis zu 15 Millionen bakterielle Zellen absondern. Und es können auch zehn Mal so viele sein."
Bis zu 22.000 verschiedene Bakterienarten
Jack Gilbert ist Mikrobiologe am Argonne National Laboratory in Chicago. Dort leitet er das Home Microbiome Project. Es zielt darauf zu erkunden, welche Bakterien typischerweise in Wohnungen vorkommen, wie sie auf den Menschen einwirken und umgekehrt. Sechs Wochen lang haben Gilbert und Kollegen hierzu Daten erhoben. Sieben Familien, zu denen insgesamt 18 Personen gehören, nahmen an der Studie teil. Regelmäßige Wischproben aus den Wohnungen – etwa von Fußböden, Türklinken und Küchenarbeitsplatten – aber auch von Händen, Füßen und der Nasenschleimhaut der Teilnehmer wurden im Labor untersucht. Durch Genanalysen konnten die Forscher 22.000 unterschiedliche Bakterienarten nachweisen.
"In den meisten Fällen handelt es sich um menschliche Bakterien. Diese Bakterien, die wir ständig absondern, pflastern gewissermaßen die Umwelt, in der wir leben. Im Grunde hinterlässt jeder Mensch die Signatur seiner eigenen Mikrobenflora im Raum."
Anders gesagt: Der Mensch prägt mit seinen Mikroben sein Lebensumfeld. Mein Heim ist, wo meine Bakterien sind. Für Jack Gilbert war dabei überraschend, wie schnell das Mikrobiom eines Menschen eine neue Umwelt kolonisiert, zum Beispiel nach einem Umzug. Er erzählt von einem Ehepaar, das während der Studie zuerst in einem Hotelzimmer lebte und dann in ein neues Haus zog.
"Mikrobiologisch betrachtet war ihr Hotelzimmer identisch mit ihrem neuen Haus, nachdem sie eingezogen waren. Und das innerhalb von nur 24 Stunden nach dem Einzug. Ihre Mikroben haben den Raum in weniger als einem Tag kolonisiert. Das gleiche passierte schon zuvor in dem Hotel. Nun bedenken Sie mal, was das heißt: Viele Menschen sind ja etwas paranoid, was Hinterlassenschaften früherer Hotelgäste betrifft. Dabei sind schon nach wenigen Stunden in einem Hotelzimmer kaum noch mikrobielle Spuren der Vormieter nachzuweisen."
Die Wohnumfeldbakterien kommen und gehen also zusammen mit den Menschen. Somit verraten sie auch etwas über deren An- beziehungsweise Abwesenheit. Solche Erkenntnisse könnten eine besondere Anwendung finden – bei der Kriminalpolizei.
"Das forensische Potential dieser Daten gehört zu den interessantesten Aspekten unserer Forschung. Wir können nicht nur die mikrobielle Signatur jedes einzelnen Bewohners eines Raumes nachweisen, sondern wir können anhand der Analysen bestimmter Oberflächen auch erkennen, ob eine Person ihre Wohnung verlassen hat. Dabei könnten wir sogar mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zeitlich abschätzen, wann sie gegangen ist."
Kontakt zur vielfältigen Mikroflora der Natur fehlt
Noch mehr interessiert sich Jack Gilbert als Forscher aber für eine andere Feststellung: Einst verbrachten die Menschen viel mehr Zeit in der freien Natur, hatten Kontakt mit der Erde, vielen Pflanzen und Tieren und deren vielfältiger Mikroflora.
"Wenn unsere Kinder heute in den Städten in Wohnblöcken und Häusern aufwachsen, verbringen sie 90 Prozent ihres Lebens in Innenräumen. Dort sind sie fast nur noch menschlichen Bakterien ausgesetzt."
Was bedeutet das für die Entwicklung des Immunsystems und anderer von Bakterien beeinflusster Körperfunktionen des modernen Menschen? Diese Frage könnte die Wissenschaft sowohl aus medizinischer als auch evolutionsbiologischer Sicht noch lange beschäftigen.