Archiv


Mikrofon-Halter des Machthabers

Meinungsvielfalt und Pluralismus – für die Medienpolitik in Ungarn scheint das ein Fremdwort zu sein. Auch die OSZE hat dies stark kritisiert, den Zustand mit dem einer Diktatur verglichen.

Von Jan-Uwe Stah |
    "Az Este" - "Der Abend" – das alltägliche Politik-Magazin von M1, dem Ersten Programm des öffentlichen ungarischen Fernsehens. So kompetent und seriös, wie die Erkennungsmelodie vermuten lässt, ist das Programm keineswegs, klagt die Budapester Medienwissenschaftlerin Maria Vásárhelyi:

    "Es ist zu einem politischen Propagandaprogramm geworden, bei dem der Regierungssprecher von Viktor Orban jede Woche mehrmals zu Gast ist. Die Moderatoren fungieren dabei als "Mikrofon-Halter". Sie halten ihm das Mikrofon hin und die Regierungspropaganda strömt nur so aus seinem Mund."

    Die Medienforscherin von der ungarischen Akademie der Wissenschaften kann die politische Einseitigkeit der wichtigsten Politiksendung im öffentlichen Fernsehen mit Zahlen belegen. Sie stammen aus einer Untersuchung vom letzten Oktober:

    "Bei diesem Programm waren in 19 von 20 Sendungen nur Gäste eingeladen, die der Regierungspartei angehören. Nur ein einziges Mal kam auch ein Oppositionspolitiker zu Wort."

    Sogar die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kritisierte bereits scharf die mangelnde Unabhängigkeit und Gängelung der Medien in Ungarn. Derartige Zustände seien bisher nur aus Diktaturen bekannt, hieß es von der OSZE. Die politische Einflussnahme auf das öffentliche Radio und Fernsehen ist in Ungarn nicht neu. Allerdings hat es unter der rechtskonservativen Regierung von Viktor Orban stark zugenommen. Aber nicht nur im öffentlichen, auch im privaten Mediensystem, bei den Zeitungen, privaten Radio- und TV-Sendern mangele es an Unparteilichkeit und Unabhängigkeit, klagt die Medien-Kritikerin Vásárhelyi:

    "Sie sind pluralistischer. Aber auch sie sind mittlerweile überwiegend rechts – gar nicht so sehr die landesweiten Medien, sondern eher die regionalen. Die linksliberalen und die unabhängigen Medien kämpfen heute mit großen wirtschaftlichen Problemen, sodass die meisten in absehbarer Zeit aufgeben werden."

    Bedient werden die Leser, Zuschauer und Hörer der Privatmedien heute überwiegend aus einer Hand: von dem Unternehmer Gabor Széles. Schon in kommunistischer Zeit ist Széles zu unerklärlichem Reichtum gekommen, heute sieht er sich als ungarischen Patrioten.

    "Er unterhält ein Medienimperium, das nicht nur rechts, sondern ganz eindeutig rechtsextrem ist. Ich bin davon überzeugt, dass er von der jetzigen Regierung Gegenleistungen erwartet, denn Ziel dieses Imperiums ist es, im Namen der Regierungspartei Fidesz auch die Rechtsextremisten anzusprechen und ihnen entsprechende geistige Nahrung anzubieten."

    Diese tägliche geistige Nahrung hat in Ungarn inzwischen ein öffentliches Klima geschaffen, in dem rassistische Äußerungen gegen die Minderheit der Roma und Antisemitismus alltäglich geworden sind. Auch die privaten Medien, die ausländischen Unternehmen gehören, wie zum Beispiel der Fernsehsender RTL, setzen dem gefährlich einseitigen und rechtslastigen Informationsangebot kaum etwas entgegen.
    "Wegen der Eigenheiten des ungarischen Marktes gibt es zwei kommerzielle Fernsehsender, bei denen sehr schnell eine Entpolitisierung stattgefunden hat, denn ihnen wurde schon gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit klar, dass es das Beste ist, wenn sie sich nicht mit Politik beschäftigen, da es dann keine Probleme geben kann."

    Mit Problemen rechnet dagegen die Wissenschaftlerin Maria Vásárhelyi. An der ungarischen Akademie der Wissenschaften werden seit dem Amtsantritt der Regierung Orban immer mehr Regierungskritiker entlassen.