Die kleinsten Teilchen sind das, was Richard Thompson am meisten Sorge bereitet. An der Universität von Plymouth in England erforscht der Meeresbiologe seit 20 Jahren, wie sich vom Menschen gemachte Materialien in die marinen Ökosystemen ausbreiten. Thompson hat Plastikpartikel nicht nur im Wasser nachgewiesen, sondern auch im Sand von Stränden rund um den Globus - und er war einer der ersten, der den Blick auf das Mikroplastik richtete: die ganz kleinen Teile.
"Eines der Rätsel für uns Forscher ist, dass die Menge an Plastikmüll, den wir an Stränden und auf der Meeresoberfläche finden, sich über die letzten Jahrzehnte kaum verändert hat. Dabei wissen wir, dass Kunststoffe sehr langlebig sind und dass sie im Ozean möglicherweise hunderte von Jahren überleben können. Wir wissen auch, dass die Produktion von Plastik exponentiell gestiegen ist, und deshalb müssten wir eigentlich auch einen dramatischen Anstieg an marinem Müll sehen. Wir müssen also die Frage beantworten: Wo landet dieser ganze Kunststoff tatsächlich?"
Ein Teil sinkt auf den Meeresgrund
Dass ein Teil davon auf den Grund der Ozeane sinkt, vermuten Forscher wie Thompson schon lange. Doch Proben in tausenden Metern Tiefe zu nehmen, ist technisch kompliziert und äußerst kostspielig. Für so eine teure Studie konnte auch Richard Thompson keine Geldgeber gewinnen. Dann aber kontaktierten ihn Wissenschaftler der Universität von Barcelona und des Museums für Naturgeschichte in London. Auf der Suche nach Lebewesen im Boden der Tiefsee waren die Forscher in ihren Proben auf merkwürdige Fasern gestoßen. Das Ergebnis der Analyse überraschte auch Thompson:
"Tatsächlich fanden wir wirklich erhebliche Mengen an Mikroplastik im Tiefseeboden. Es ist deutlich mehr, als wir im selben Volumen im Wasser an der Oberfläche finden, sogar im Vergleich mit den am stärksten verschmutzten Meereswirbeln. Der Boden der Tiefsee ist also ganz eindeutig zu einem Ort geworden, wo sich das Plastik sammelt."
Plastik auch in Korallen
Die Konzentration von Mikroplastik könnte im Sediment um das Zehntausendfache höher sein als in den großen Meereswirbeln, folgern die Forscher im Fachblatt "Open Science". Auch in Korallen, die in der Tiefe wachsen, wurden die Forscher fündig: Einige von ihnen waren geradezu mit den künstlichen Fasern zusammen gewachsen und hatten das Material in ihre Skelette integriert. An der Wasseroberfläche wiederum bietet der Müll vielen Lebewesen eine willkommene Heimat. Das könnte auch die Frage beantworten, wie das leichte Plastik - das ja eigentlich schwimmt - überhaupt in Tiefen bis zu 3.500 Metern gelangen konnte.
"Die meisten Polymere treiben auf dem Wasser, weil sie eine relativ geringe Dichte haben. Aber jeder Gegenstand, der ins Meer gelangt, wird in Windeseile von Meeresbewohnern in Beschlag genommen. Mikroorganismen und andere Lebewesen bilden darauf Kolonien. Das kann bewirken, dass die schwimmenden Plastikteile schwerer werden und absinken."
Müll am Meeresboden
Ob in Proben aus dem Mittelmeer, dem Nordatlantik oder dem Indischen Ozean, überall fanden die Forscher mikroskopisch kleine Fasern. Über die Hälfte bestanden nicht aus Kunststoff, sondern der halbsynthetischen Viskosefaser Reyon, die etwa in Babywindeln oder Zigarettenfiltern verwendet wird. Das zweithäufigste Material war der Kunststoff Polyester.
Nach diesen ersten Zufallsfunden möchte Richard Thompson nun noch gezielter untersuchen, wo sich der Müll am Meeresboden genau findet - und ob er sich an bestimmten Orten konzentriert, wie in den Müllwirbeln auf der Wasseroberfläche.
"Was wir machen wollen ist eine Art Massenbilanz aufzustellen, wo der Müll landet. Nur wenn wir die Hotspots kennen, wo sich besonders hohe Mengen sammeln, können wir sagen, was der Müll für eine Bedrohung darstellt. Je höher die Konzentration, desto wahrscheinlicher schädigt das Plastik marines Leben.
Der Meeresboden ist dabei nur einer der Orte, an dem noch erhebliche Mengen an Plastik gefunden werden könnten. Denn es gibt noch ein weiteres Zwischenlager, das große Mengen an Müll dem Blick der Forscher entziehen könnte: Und zwar die Mägen von Walen, Fischen und vielen anderen Meerestieren, die den Müll mit Nahrung verwechseln und ihn durch die Meere und in die Nahrungskette tragen.