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Milchbauern in der Krise
Hoffen auf Europa

Der niedrige Milchpreis hat viele Bauern in eine Existenzkrise gestürzt. Immer mehr Höfe machen dicht. Wenn die EU-Agrarminister heute in Brüssel zu einer Sondersitzung zusammenkommen, dann werden von ihnen konkrete Hilfen erwartet. Wie diese aussehen können, ist aber durchaus umstritten.

Von Jantje Hannover und Jörg Münchenberg |
    Mit einer Kuhfigur in den deutschen Nationalfarben, die auf einem Anhänger steht, protestieren Bauern in Niedersachsen gegen den Preissturz bei den Milchpreisen.
    Milchbauern protestieren in Neubörger in Niedersachsen gegen die fallenden Preise. (dpa / Picture Alliance / Carmen Jaspersen)
    "Na los hier!" Milchviehtreiben in Brandenburg. Arnold Blum kurvt mit seinem alten, verbeulten VW auf der Weide herum. In weit ausholenden Schlangenlinien lässt er den Wagen über Stock und Stein holpern, kreist die träge dahin trabenden Milchkühe von links und rechts und hinten ein. Die Stoßdämpfer sind Kummer gewohnt. Es ist fünf Uhr nachmittags, Zeit zum Melken.
    "Sehen Sie, wie genervt die langsam weiter gehen, die denken: Was will der von uns? Wir wollen hier fressen, wollen nicht laufen." Arnold Blums Kühe verbringen den größten Teil des Jahres auf der Weide. Zweimal am Tag müssen sie zum Melken in den Stall getrieben werden, jeweils eine Stunde hin und wieder zurück dauert das, eine Mühe, die die meisten Milchviehhalter heute scheuen. Aber Blum, der nur noch eine kleine Herde mit etwa 30 Milchkühen hat, spart so Geld für Kraftfutter und Antibiotika - Weidetiere sind einfach gesünder.
    Unter 30 Cent geht gar nichts mehr
    "Ja nun ein bisschen, ein Gang zu hier, sonst wird die Milch sauer!"Arnold Blum ist Milchbauer aus Leidenschaft. Nach der Wende hat der studierte Landwirt nicht lange gezögert und mit dem Land seines Vaters und Geld von der Bank einen eigenen Hof in Glövzin 150 Kilometer nördlich von Berlin gegründet. Anfangs ging das gut, aber seit zu viel Milch auf dem Markt ist und der Preis für einen Liter immer weiter in den Keller geht, steht der Landwirt mit dem Rücken zur Wand. Blum ist kein Biobauer, die hohe Qualität seiner Weidemilch bringt ihm keinen finanziellen Vorteil. Nicht einmal 30 Cent pro Liter zahlt die Molkerei: "Und wenn der Milchpreis unter 30 Cent liegt, dann dreht sich gar nichts mehr, das brauchen Sie allein für Futter und Energiekosten."
    Arnold Blum sitzt im Beirat des Bundesverbands deutscher Milchviehhalter, kurz BDM, er vertritt das Land Brandenburg. Jeder dritte Milchbauer in Deutschland ist im BDM organisiert. Seit Jahren müht sich der Verband, die Interessen der Bauern gegen die Macht der Molkereien und des Einzelhandels zu verteidigen. Bislang vergeblich. In Brandenburg haben nur 517 Betriebe bis heute überlebt. Zumeist von mutigen Bauern gegründet, die nach den DDR-Jahren in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hatten. Heute sind sie die Dummen. Blum deutet mit dem Finger in Richtung der Dörfer im Umkreis: "Wir haben hier einen in Schönfeld, der aufgehört hat, in Karstädt hat sich einer das Leben genommen, der hat aufgehört, zwei in Postlin. Alles private Bauern, tüchtige Bauern, keine Penner. Ein Dorf, Schmolde zum Beispiel, fünf tüchtige Bauern, alle neu gebaute Ställe - kein Kuhschwanz mehr drinne. Und die müssen alle ihre öffentlichen Darlehen noch 20 Jahre zahlen. Tja ja, diese Tragödie, die sich da abgespielt hat, da hat die Politik beide Augen zugemacht, hat gesagt: Och, solange die Milchmenge kommt, ist uns alles andere ziemlich schnurz."
    Insgesamt 100.000 Bauern haben in Deutschland in den letzten 20 Jahren die Milchviehhaltung eingestellt. Familien, die nicht nur Arbeitsplatz und Einkommen verloren haben, sondern auf hohen Schuldenlasten sitzen. Auch Blum hat nach der Wende 700.000 Mark investiert, abgezahlt ist sein Kredit noch lange nicht. Der 63-Jährige hat fünf Kinder: "Wir sind seit 2009 in diesem Prozess drinne. Erst werden Maschinen verkauft, dann werden die Tiere verkauft, und zuletzt ist nix mehr zum Verkaufen da. Doch, der Acker ist dann noch zu verkaufen. "
    Bauern sitzen in Wiefelstede, Niedersachsen, neben der Zufahrt zur Molkerei Ammerland vor einem Protestplakat.
    Krisen gab es schon früher: Bauern sitzen 2008 in Wiefelstede, Niedersachsen, neben der Zufahrt zur Molkerei Ammerland vor einem Protestplakat. (AP)
    Inzwischen ist die Herde auf Blums Hof in Glövzin angekommen, geduldig warten die Tiere im Stall, bis sie mit dem Melken an der Reihe sind. Vor der Tür lagert ein Misthaufen, auf dem die Kürbisse wuchern.
    Blums Frau Martina steht bereits im Melkstand, jeweils sechs Kühe können hier gleichzeitig gemolken werden. Die Bäuerin zieht ein Melkbesteck vom Euter einer Kuh ab. Das Tier läuft durch die vordere Tür in den Stall zurück, während von hinten bereits die nächste Kuh nachdrängt. Martina Blum schöpft Getreideschrot in einen Trog. "Das ist auch ne tolle Sache, weil die Tiere dann von alleine reinkommen, ich muss nicht hingehen und muss sie treiben. Die wissen genau: aha, es gibt Schokolade, rein mit mir hier!"
    Selbst kleinere Bauern wie das Ehepaar Blum haben mittlerweile einen Melkstand mit sensorgesteuerten Türen, die Kühe tragen Transponder um den Hals, die die Kraftfuttermenge entsprechend der Milchleistung zuteilen. Technik, die einmal viel Geld gekostet hat, inzwischen 30 Jahre alt ist und ständig kaputt geht: "Der Melkstand ist mittlerweile schon so marode, da muss man mit einigen Tricks arbeiten. Da muss ich hier einen Schlauch abziehen, da was raufstecken, hier wieder was runternehmen. Sonst krieg ich kein Vakuum drauf, und ohne Vakuum kann ich nicht melken."
    Proteste in ganz Europa
    Die anhaltende Not der Milchbauern ist längst nicht nur ein ostdeutsches Problem - und auch kein deutsches. Überall in Europa gehen die Landwirte seit Wochen auf die Straße. Denn da ist nicht nur der Preisverfall bei der Milch - viele Betriebe klagen nach der Dürre dieses zu Ende gehenden Sommers über gestiegene Futtermittelkosten, und bei Obst und Fleisch sind die Preise auch zuletzt in den Keller gefallen. Das hat die Lobbyverbände der gut organisierten Branche auf den Plan gerufen - der Generalsekretär des Europäischen Bauernverbandes, Pekka Pesonen: "Wir sehen einen klaren Trend hin zu fallenden Preisen und Margen. Das ist eine Krise für die europäische Landwirtschaft und die europäische Landwirtschaftspolitik."
    Pesonen spricht für die Bauern, die sich für das globale Geschäft mit den Milchprodukten stark gemacht und die EU-Landwirtschaftspolitik entsprechend mit geprägt haben. Aber auch die konkurrierenden Interessenverbände, die diese Politik ablehnen, haben längst ihre Mitglieder mobilisiert. Ein "Weiter so" sei nicht mehr möglich, sagt Erwin Schöpges, selbst Milchbauer in Ostbelgien und Mitglied im sogenannten European Milk Board, ein Zusammenschluss der europäischen Milchviehhalter: "Wir sehen wirklich überall in ganz Europa, dass Bauern ihre Rechnungen nicht mehr bezahlt kriegen. Dass Bauern ihren Tierarzt nicht mehr bezahlt bekommen. Dass Bauern ihre Reparaturen nicht mehr bezahlt bekommen. Das ist schon ein Riesenproblem. Die Bauern schaffen es einfach nicht, die nächsten sechs Monate so zu überleben."
    Krise? Welche Krise? EU sieht Herausforderungen
    Längst haben die Klagen der Bauern auch die Politik alarmiert. Für morgen, Montag, hat die amtierende luxemburgische Ratspräsidentschaft zu einem Sondertreffen der 28 Agrarminister nach Brüssel geladen, auf dem über die Lage, aber auch über notwendige Konsequenzen beraten werden soll. "Unsere Landwirte haben Sorgen, unsere Landwirte haben keine kostendeckenden Preise. Wir werden am 7. (September) auch nicht nur eine Diskussionsrunde haben, wir wollen Ergebnisse", versprach vollmundig im Vorfeld schon einmal Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt von der CSU. Auch Tausende von aufgebrachten Bauern haben sich bereits angekündigt, um vor dem Ratsgebäude in Brüssel zu demonstrieren. So oder so - es werden keine einfachen Verhandlungen. Denn zumindest der amtierende EU-Agrarkommissar, Phil Hogan aus Irland, will das Wort Krise nicht einmal in den Mund nehmen: "Ich würde derzeit von Herausforderungen reden - so wie sie es 2008/2009 schon einmal gegeben hat. Aber ich werde natürlich den Agrarministern genau zuhören, wie sich die Lage in den Mitgliedstaaten darstellt. Die größten Probleme haben derzeit sicherlich die baltischen und die neuen EU-Mitgliedstaaten", die wiederum einen Großteil ihrer Agrarprodukte nach Russland exportiert haben. Als Reaktion auf die westlichen Wirtschaftssanktionen wegen der Ukraine-Krise hat Moskau jedoch ein Importverbot für Landwirtschaftsprodukte aus der EU erlassen. Ein Grund, warum es derzeit ein Überangebot in Europa für Milch, Obst und Fleisch gibt. Darunter hätten inzwischen viele zu leiden, sagt der Finne Pesonen vom Europäischen Bauernverband: "Das Problem besteht nicht nur für die baltischen Staaten. Die Folgen des Embargos sind fast überall zu spüren. Und dagegen muss man schnell was tun. Es geht hier um die Zukunft der gesamten europäischen Landwirtschaft."
    China war ein Land, auf dem die Exporthoffnungen vieler Milchbauern ruhten. Doch das Reich der Mitte hat derzeit selbst mit Wirtschaftsproblemen zu kämpfen. Letztlich, so der Agrarökonom Martin Odening von der Berliner Humboldt-Universität, gebe es ein ganzes Bündel von Ursachen für die aktuellen Schwierigkeiten der Milchbranche. "Wir hatten in 2013 sehr hohe Milchpreise von über 40 Cent pro Kilogramm. Das haben viele Landwirte zum Anlass genommen, die Produktion auszudehnen. Dazu kommt auch noch ein starkes internationales Angebot von Ländern wie Neuseeland, Australien, das drängt natürlich auch auf den Markt. Es ist eben nicht nur die nationale Sicht, die man sehen muss, sondern wirklich global – wieviel wird produziert. Dieses Zusammentreffen von Faktoren führt jetzt eben zum Verfall der Milchpreise, den wir jetzt beobachten."
    Zahlreiche Traktoren stehen am 01.09.2015 in der Ludwigstraße in München (Bayern), während im Vordergrund ein Transparent mit der Aufschrift "Minister Schmidt, Kanzlerin Merkel & Co. machen die Milcherzeuger k.o.!!!". Hunderte Landwirte protestieren gegen sinkende Milchpreise. Foto: Marc Müller/dpa
    Landwirte protestieren in München mit einer Sternfahrt gegen sinkende Milchpreise. (picture alliance / dpa / Marc Müller)
    Die globale Ausrichtung der europäischen Landwirtschaft und gerade auch der Milchbauern ist politisch gewollt - und wurde auch von den Interessenverbänden selbst gefordert. Das führte aber auch dazu, dass die Preise jetzt viel stärker schwanken als vorher. Das nutzen Einzelhandel und Molkereien gegen die Bauern aus. Die Zeche für die Exportstrategie, so die Einschätzung der Agrarexpertin der Grünen im Europäischen Parlament, Maria Heubuch, müssten am Ende die Landwirte bezahlen. "Ich bin seit 36 Jahren Milchbäuerin, und seit 36 Jahren höre ich, wo uns Märkte versprochen worden sind. Ende 70er, Anfang 80er Jahre war es Afrika. Dann war es mal Russland, dann war es mal China. Und es ist nie so gekommen, dass wir sagen konnten – jetzt haben wir den großen Markt. Und das wird auch jetzt nicht kommen. Die Milchindustrie will sich in diesem Weltmarkt platzieren. Europa ist eher ein teurer Produktionsstandort. Das versucht man jetzt, mit einem billigen Rohstoff zu schaffen, sich auf diesem Weltmarkt zu platzieren. Ab er das ist nicht zum Wohle der bäuerlichen Landwirtschaft."
    Überproduktion soll verhindert werden
    Die Erschließung neuer Exportmärkte - das war ein zentraler Grund für den Wegfall der Milchquote zum 1. April dieses Jahres. War bis dahin für jedes EU-Mitgliedsland die Menge der Milchproduktion genau festgelegt - bei Überproduktion gab’s Strafzahlungen - dürfen die Bauern seit dem Frühjahr so viel produzieren wie sie wollen.
    Manche haben diese Chance genutzt, um über einen höheren Absatz die gesunkenen Preise wieder auszugleichen. Dadurch aber sind die Preise eben noch schneller gefallen. Das sagt auch der Agrarfachmann der CDU im Europäischen Parlament, Peter Jahr: "Monate April, Juni betrug die Mehrproduktion 2,3 Prozent. Das ist nicht so wahnsinnig viel, wenn man in Europa die ganze produzierte Menge sieht. Allerdings, bei schlechten Preisen und einem gesättigten Markt, ist jeder Liter zu viel. Andererseits ist es uns aber noch nicht gelungen, einen marktorientierten Mechanismus zu finden, wie reagieren Landwirte bei fallenden Preisen in Gänze."
    Die Frage lautet also: Wie kann eine Überproduktion künftig auch ohne Milchquote verhindert werden. Denn die, so Agrarwissenschaftler Odening, habe in der Vergangenheit mehr schlecht als recht funktioniert: "Wir hatten ja die Milchquote seit 1984. Und wir haben gesehen, das hat überhaupt keinen Zweck gehabt. Die Landwirte haben deshalb nicht mehr verdient. Das Problem ist, dass die Landwirte zu sehr unterschiedlichen Kosten produzieren. Es gibt sehr wohl welche, die können auch bei niedrigen Preisen auskömmlich wirtschaften. Andere können das nicht. Man kann die Preise nicht so hochhalten, dass wirklich jeder die Kosten decken kann. Es gab einen Strukturwandel, und es wird auch weiterhin einen solchen Strukturwandel in der Milchproduktion geben."
    Hilfen für Bauern sollen kommen
    Doch die Politik will jetzt zumindest ein Zeichen setzen – den leidenden Bauern soll geholfen werden. Wie genau, darüber gehen die Meinungen auch zwischen den Agrarministern auseinander. Die französische Regierung, seit jeher Anhängerin einer staatlichen Regulierung, will den Markt nicht sich selbst überlassen. Das machte erst vor wenigen Tagen Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll bei einem Treffen mit seinen deutschen und polnischen Amtskollegen in Berlin deutlich: "Natürlich gibt es einen Markt. Und die Mechanismen des Marktes spielen eine Rolle: Nachfrage, Bedarf - man muss das Angebot der Nachfrage anpassen. Wenn das Angebot gegenüber der Nachfrage verschoben ist, dann gibt es ein Risiko von Preissenkungen und große Schwierigkeiten. Aber gleichzeitig ist ein Markt niemals vollkommen unabhängig von den Bedingungen für diesen Markt. Es gibt immer Bestandteile, die mehr oder weniger auf den Markt Einfluss nehmen und ihn auch verändern."
    So gibt es etwa Überlegungen, den garantierten Mindestpreis für Butter und Magermilchpulver zu erhöhen. Bislang liegt dieser Interventionspreis bei rund 20 Cent pro Kilogramm. Doch steigt der Interventionspreis, könnte dies dazu führen, dass die Bauern ihre Produktion trotz der schwachen Nachfrage erhöhen.
    Deshalb ist das Instrument umstritten. Zumal es auch die Grundausrichtung der europäischen Landwirtschaftspolitik wieder infrage stellen könnte, warnt EU-Agrarkommissar Hogan: "Wir sind uns im Grundsatz alle einig, dass wir die Marktausrichtung der Europäischen Landwirtschaftspolitik erhalten wollen. Das haben wir 2013 bekräftigt, und das geht zurück auf das Jahr 1999. Also müssen wir bei unseren Beschlüssen am 7. September auch aufpassen, dass wir trotz der aktuellen Probleme die grundsätzliche Marktausrichtung der Landwirtschaftspolitik nicht infrage stellen."
    Landwirten neue Märkte erschließen
    Dennoch könnte es bald ein ganzes Bündel von Maßnahmen geben, um die europäischen Landwirte zumindest kurzfristig zu entlasten, meint der CDU-Agrarexperte im Europäischen Parlament, Peter Jahr: "Wir werden den Betrieben Liquiditätshilfen gestatten. Da gibt es nationale Programme. Wir werden dafür sorgen, dass die Landwirte auch im Dezember pünktlich ihre Direktzahlungen bekommen. Wir werden auch die Intervention verstärken müssen, Intervention heißt ja, erst einmal Menge vom Markt zu nehmen. Dass der Markt erst einmal stabilisiert ist. Und wir werden mithelfen, dass die Landwirte neue Märkte erschließen können, um auch Milchproduktion woanders abzusetzen."
    Doch überzeugt all dies nicht jeden. Denn damit werde das Kernproblem gerade für die Milchbauern, die extremen Preisschwankungen, nicht gelöst, heißt es bei der grünen Agrarexpertin Maria Heubuch. Die sich deshalb – wohl wissend, wie wenig Aussichten sie damit hat - auch für eine weitere Steuerung der Milchproduktion ausspricht, sozusagen die Wiedereinführung einer Milchquote light: "Wir bräuchten nicht einmal unsere Gesetze ändern. Die bestehende Marktordnung gibt das her. Das müsste man eigentlich ausgestalten. Aber wie gesagt, ich befürchte, dass man jetzt ein bisschen Geld hin und her schiebt. Das wird die Krise nicht lösen und das wird den Bauern auf Dauer nicht helfen."
    Kühe auf einem Bauernhof in Stuttgart-Möhringen, der nach dem Prinzip Solidarische Landwirtschaft arbeitet.
    Kühe auf einem Bauernhof in Stuttgart-Möhringen, der nach dem Prinzip Solidarische Landwirtschaft arbeitet. (Deutschlandradio / Jürgen Hille)
    Ökologische Leistungen honorieren
    Grundsätzlich skeptisch gegenüber den meisten der derzeit diskutierten Sofortmaßnahmen ist zwar auch der Berliner Agrarwissenschaftler Odening. Aber auch von einer neuerlichen Regulierung der Milchproduktion in Europa - in welcher Form auch immer - ist er nicht überzeugt. "Jeder Versuch, Preise und Mengen in einer globalisierten Wirtschaft zu steuern, hat Wohlfahrtsverluste. Und die Vergangenheit zeigt, dass es eigentlich nichts gebracht hat. Was die Politik tun kann, ist, dass die Verteilung auf den Märkten fair verläuft. Dass wir keine marktbeherrschende Position haben, beispielsweise im Einzelhandel. Dass sie ökologische Leistungen honoriert, dass sie artgerechte Tierhaltung honoriert. Das sind die Aufgaben, die ich für die Politik sehe, aber nicht die Mengen- und Preissteuerung.“
    Doch dieser konsequent marktwirtschaftliche Ansatz dürfte bei den meisten Bauern und ihren Interessenvertretern ebenfalls kaum auf Zustimmung stoßen. Weder bei denen, die weiter auf die Weltmärkte drängen - noch bei denen, die die globale Exportstrategie für grundsätzlich falsch halten.
    Der Sonderagrarrat dieser Woche wird also nicht das letzte Krisentreffen der Branche sein. Das werden schon die aufs Äußerste gereizten Milchbauern nicht zulassen, warnt Erwin Schöpges vom European Milk Board: "Unser Herz hängt an diesen Höfen. Und wenn dann die europäischen Politiker, vor allem der deutsche Landwirtschaftsminister, sagen, wir wollen den freien Markt haben, dann werden sie erleben, was eigentlich noch kaum vorstellbar ist. Es wird eine Bauernrevolte geben. Wir sehen es jetzt, wie es in Belgien passiert. Die jungen Leute haben eine dermaßen große Wut im Bauch, die wir eigentlich nicht mehr kontrollieren können auf unseren Kundgebungen."
    Anreize zur Verringerung der Milchmenge
    Auch der Brandenburger Bauer Arnold Blum vom Bundesverband deutscher Milchviehhalter will in Brüssel demonstrieren: "Wir fordern eine Rückbesinnung auf eine Produktion, die den Bauern am Leben lässt, dem Verbraucher Qualität liefert und zukunftsorientiert ist. Dass man mit dem Geld, das man erwirtschaftet, auch Investitionen tätigen kann und nicht nur abhängig wird von den Banken."
    Blum verlangt, Anreize zu schaffen, um die Milchmenge zu verringern. Bauern, die ihre Produktion um zehn Prozent gegenüber dem Vormonat drosselten, sollten Ausgleichszahlungen erhalten: "Bisschen weniger Soja in den Trog, bisschen weniger Mischfutter, und die 10 Prozent bisschen früher trockenstellen, nicht sechs Wochen, sondern acht Wochen, das geht ohne Weiteres, der Bauer hat viele Möglichkeiten, um die Produktion zu reduzieren."
    Auf dem Hof in Glövzin in Brandenburg ist es Abend geworden. Milchbäuerin Martina Blum treibt die Kühe nach dem Melken zurück aufs Feld. Damit sie und ihr Mann nachts wieder gut schlafen können, hoffen sie, dass die Politik in Brüssel und Berlin Wege findet, ihrer Art der Milchwirtschaft das Überleben zu sichern.