Archiv


Milchkühe und Glücksfaktor

Jens Nielsen ist der letzte Milchbauer auf Sylt. Er betreibt die kleinste Ein-Mann-Molkerei der Republik. Überleben kann der Betrieb nur, weil Nielsen mit viel Idealismus ein Nischenprodukt produziert und seine Kunden bereit sind. einen höheren Preis für die Milch zu bezahlen.

Von Klause Deuse | 15.10.2010
    Es ist das pure Nordsee-Idyll. Über dem Meer kreisen die Möwen, hinter dem Deich grasen die Kühe auf saftigen Weiden, die mit vollen Eutern darauf warten, gemolken zu werden.

    "Ich kenne jede Kuh mit Namen. Die werden hier praktisch auf dem Hof geboren, die ziehen wir dann drei Jahre auf, bis die kalben. Also, da hat man schon, sag ich mal, eine Identität drauf. Die laufen wie Familienmitglieder mit durch. Das ist einfach so."

    Auf dem Bauernhof von Jens Nielsen in Morsum auf Sylt. Nielsen ist der letzte Milchbauer auf Deutschlands beliebtester Nordseeinsel. Und: Er betreibt auch die kleinste Molkerei der Republik. Als Ein-Mann-Betrieb verarbeitet er zwei Mal am Tag die Milch seiner 35 Kühe und beliefert Lebensmittelmärkte und Kinderheime auf der Insel mit seiner "Sylter Vollmilch". Fettgehaltsstufe: mindestens 3,5 Prozent. Bis vor ein paar Jahren wurde die Milch noch von einer Großmolkerei abgenommen. Täglich kam ein Tankwagen auf dem einzig möglichen Weg zur Insel: mit dem teuren Autozug der Bahn. "Und dann haben die einfach gesagt irgendwann: So, wir können euch Insulaner nicht mehr finanzieren. Wenn ihr selber die Milch zum Festland bringt, dann nehmen wir euch die Milch ab, sonst müsst ihr euch um eine andere Lösung bemühen."

    Während alle anderen Landwirte aufgaben, suchte Jens Nielsen nach einer Lösung:

    "Für mich ist der Hof der Dreh- und Angelpunkt und habe versucht, auf Basis einer eigenen Milchverarbeitung alles miteinander zu verknüpfen und bin dann bis heute dieser Fährte gefolgt."

    Mehr als 100.000 Euro hat Jens Nielsen in diese Mini-Molkerei investiert. In eine große Heizanlage, um Keime in der Milch bei 62 Grad abzutöten, eine Kühlanlage, ein Kühlhaus und eine Verpackungsmaschine. Ursprünglich hatte er geplant, den Fettgehalt der Milch noch zu reduzieren.

    "Aber dann hat ein alter Meierist mir gesagt: Je mehr die Milch durch Maschinen läuft und gepumpt wird, verliert die Milch an Geschmack. Und wenn ich meine Milch verarbeite wie eine große Meierei, dann hebt sie sich nicht mehr ab."

    Doch der 53-Jährige setzte friesisch stur auf sein nicht homogenisiertes Nischenprodukt.

    "Was natürlich den Nachteil hat, dass die Milch jetzt teilweise aufrahmt. Viele Ältere sagen sich: Genau das ist die Milch, wie ich sie von früher kenne. Die jüngere Hausfrau sagt sich natürlich: Iiih, da sind ja Fettflocken drauf, die ist fast schon schlecht. Ist aber nicht schlecht, aber der Rahm hat sich eben abgesetzt."

    Also lässt er auf seine Milchkartons drucken: Vor Gebrauch kräftig schütteln. Der Liter Milch aus der kleinsten Molkerei Deutschlands kostet über einen Euro und damit deutlich mehr als Konkurrenzprodukte in den Kühlregalen. Aber ein kleiner Milchverarbeiter wie er kann eben nicht zu Konditionen wie die Großen produzieren. Das fängt schon bei der Bestellung der Milchkartons an.

    "Wenn ich die Tüten bestelle, bestell ich 100.000 Tüten auf ein Mal. Und da sagen die, ob ich mich nicht um eine Null vertan habe. Bei Meiereien fängt das unter einer Million überhaupt nicht an, in den Druck zu gehen."

    Große Molkereien kalkulieren mit drei Cent pro Karton, Kleinkunde Nielsen muss zwölf Cent zahlen. Seine Arbeit, sagt er, veranschlagt er mit fünf Cent pro Liter. Und damit kommt er mit seiner Familie hin:

    "Das genügt mir. Ich werde kein Millionär werden, das weiß ich genau. Ich würde reicher werden, wenn ich verkaufen würde und hier Bauplätze entstehen würden."

    Aber das, da auf Sylt sowieso zu viel gebaut wird und statt der Kühe Urlauber kräftig gemolken werden, will er nicht. Außerdem geht Bauer und Molkereibetreiber Nielsen gern seiner Arbeit nach. Dass er sich mit seiner Sylter Vollmilch auf dem Markt behaupten konnte, darauf ist auch Ehefrau Sabine stolz. Eigentlich auf den ganzen Landmann ab ihrer Seite:

    "Ja, ich glaube, es ist für ihn schon ein bisschen die Erfüllung. Wenn ich ihn so über seine Wiesen laufen sehe, das ist sein Leben: der berufene Landwirt eben."

    Nielsens Milcherzeuger grasen auf über 80 Hektar großen saftigen Deichwiesen. Morgens ab sechs holt er die Kühe zum Melken. Dann wird die Milch verarbeitet und abgepackt.

    "Jede Tüte wird einzeln eingelegt. Erst mal wird der Boden geschweißt, dann wird die Tüte von dem Ziehdorn abgenommen und dann stelle ich jede Tüte einzeln in diese Abfüllung, um einen Liter reinzumachen. Und dann tu´ ich sie wieder ab und stelle sie denn auf diesen Transportwagen, damit sie dann in der Kühlung wieder zur Ruhe kommt."

    Welche Menge er verarbeiten muss, das weiß Jens Nielsen erst dann, wenn Ehefrau Sabine in der Milchkammer auftaucht und ihm die tägliche Bestellmenge mitteilt.

    "199 Liter in Ein-Liter-Tüten und 300 in Kannen."

    Die 300 Liter in Kannen sind für Kinder- und Kurheime bestimmt. Die Köche in den Heimen schätzen vor allem, dass diese Vollmilch beim Kochen nicht anbrennt. Bei Molkerei-Chef Nielsen fließt übrigens kein Liter Milch in den Gully.

    "So, jetzt pump ich an, bis die Maschine auch richtig läuft. Das sind so drei, vier Liter. Das ist wie beim Bierzapfen. Man sagt ja auch: Die ersten drei Gläser macht der Gastwirt weg. So tue ich das auch mit meiner Milch. Aber die wird nicht weggeschüttet. Das kriegen heute Abend meine Kälber zum Saufen."

    Erst danach, nach dem zweiten Melken und der zweiten Milchverarbeitung am Tag ist Feierabend in der kleinsten Molkerei Deutschlands. Kurz vor Mitternacht.