Um 1950 gab eine Kuh rund 3.000 Kilogramm Milch pro Jahr, heute können es bis zu 10.000 Kilogramm sein. Das bedeutet eine extreme Belastung für die Tiere, sie sind anfällig für Krankheiten wie Euterentzündungen, Erkrankungen der Klauen, Fruchtbarkeitsstörungen. So beschreibt es Leif Koch, der bei der Welttierschutzgesellschaft für die politische Kommunikation zuständig ist. Die heutigen Hochleistungstiere müssten nach ein paar Jahren geschlachtet werden, obwohl sie rund 20 Jahre alt werden könnten. Was ihnen fehle, so Leif Koch, sei ein kuhgerechtes Leben.
"Das ist vor allem die Bewegungsfreiheit der Kühe. Auf der Weide wird sie am besten gewährleistet. Insofern setzt sich die Welttierschutzgesellschaft entschieden für eine Stärkung der Weidehaltung ein. Milchkühe legen auf der Weide Strecken von 10 km, von 11 km, sogar von 12 km zurück, während sie sich im Laufstall nur wenig hundert Meter bewegen. Ein weiterer Punkt ist die Interaktion dieser sehr sozialen Tiere untereinander: das Belecken, das Beschnuppern, das Berühren. Das sind wichtige Voraussetzungen für Tierwohl bei Kühen. Auch das ist auf der Weide ideal möglich."
Tatsächlich gehe der Trend aber zur ganzjährigen Haltung im Stall, mit wenig Bewegung, und jede vierte Kuh, so Leif Koch, sei angebunden. Einseitig auf hohe Leistung gezüchtete Milchkühe, seien der falsche Weg. "Deshalb plädieren wir für die Stärkung von robusten Rassen, von gesunden Tieren, die sich im Endeffekt viel besser rechnen für den Landwirt, weil sie länger leben. Tiere erreichen erst, wenn sie das 5. oder 6. Kalb bekommen, den Höhepunkt ihrer Milchleistung."
Haltungsverordnung könnte Lebensbedingungen der Milchkühe verbessern
Milchkühe sind die wichtigste deutsche Nutztierart, sagt Leif Koch. Aber für sie gelten nur die allgemeinen Vorgaben des Tierschutzgesetzes. Für Schweine und Hühner gebe es dagegen konkrete Vorgaben zur Haltung, festgeschrieben in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. Eine spezielle Haltungsverordnung auch für Milchkühe würde deren Lebensbedingungen entscheidend verbessern.
"Deshalb hat die Welttierschutzgesellschaft einen Vorschlag vorgelegt, der vorsieht, dass Kühe Bewegungsfreiheit haben, dass sie Gras und Heu als Hauptfutter bekommen, weil das Verdauungssystem der Kühe genau dafür gemacht ist. Und dass die Mitarbeiter auf dem Hof, die jeden Tag mit den Kühen umgehen, sie füttern und melken, dass die einen Sachkundenachweis erbringen müssen."
Die Welttierschutzgesellschaft steht im Dialog mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Auf die Anfrage des Deutschlandfunks reagierte das Haus von Minister Christian Schmidt bisher allerdings nicht.
Natürliches Futter für Milchkühe wäre Systemwechsel
Die Welttierschutzgesellschaft verlangt einen Systemwechsel. Die Milchkuh und ihre artgerechte Haltung solle im Mittelpunkt stehen. Das könne auch dazu beitragen, die aktuellen Probleme auf dem Milchsektor zu lösen, sagt Leif Koch.
"Ein wirklicher Systemwechsel kann darin bestehen, dass wir Kühen wieder ihr natürliches Futter geben und alles weglassen, was nicht grasbasiert ist. Dann würde die Milchleistung deutlich sinken, die Milchmenge ginge zurück, der Preis würde wieder steigen und den Kühen ginge es besser. Für den Verzicht auf das Zusatzfutter müssten die Betriebe einen Ausgleich erhalten. Da könnte das Bundesministerium sich hinsetzen und überlegen, wie man das umsetzen kann."
Auch die Position der Verbraucher sei wichtig. Sie könnten oft nicht erkennen, welche Tierhaltung hinter welcher Milchpackung stecke. Allgemein gelte: Milch mit Biosiegel unterliegt höheren Standards, auch bei der Tierhaltung. Aber es gibt auch gute konventionelle Landwirte, die Weidemilch produzieren. Auf den Internetseiten der Kampagne "Kuh plus Du" steht ein Milchratgeber zum Bestellen oder Herunterladen.
"Da haben wir die wichtigsten Informationen zur Milchkuhhaltung und zur Milch generell zusammengefasst. Ebenfalls haben wir dort eine Liste von Höfen erstellt, die auf die übliche Mutter-Kalb-Trennung verzichten. Das heißt, Kuh und Kalb werden nicht nach der Geburt sofort getrennt, sondern bleiben in der Regel mehrere Wochen zusammen. Das bieten wir auf unserer Webseite."