Muss sterben schön sein! "Ich bin einer der Auserwählten: Ich hab’s nach Arlington geschafft" - singt Country-Musiker Trace Adkins in seiner rührseligen Hymne auf das Heldentum.
Es gibt wohl kaum einen Totenpark, der so verherrlichend besungen wird, wie der Nationalfriedhof vor den Toren Washingtons. Mit rund 250 Hektar Fläche ist Arlington so groß wie 353 Fußballfelder und gilt als "das" Wahrzeichen US-amerikanischen Soldatentums:
"Das Grab des unbekannten Soldaten wurde nach dem Ersten Weltkrieg errichtet. Vorbilder waren das französische und britische Grab des unbekannten Kriegers", sagt Christopher Warren. Er ist Historiker des Arlington National Cemetery. Der 56-jährige US-Air Force Veteran kennt die Geschichte des Friedhofes wie kein anderer:
"Das Grabmahl steht für alle Militärangehörigen, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind und deren sterbliche Überreste nicht identifiziert werden konnten. An diesem Ort können die Familien um ihre geliebten Angehörigen trauern – vor allem jene, die den Leichnam nicht beerdigen konnten und damit keinen Ort haben, um mit der Trauerarbeit zu beginnen."
Alle 30 Minuten findet der Wachwechsel vor dem Mahnmal des unbekannten Soldaten, ein tonnenschwerer Marmorblock, statt. Heute beobachten etwa hundert Besucher neugierig die Szene: Drei Soldaten in dunkelblau-schwarzen Ausgeh-Uniformen und mit strengem Gesichtsausdruck lösen einander ab. Der Wachwechsel ist "das" Highlight und der gefühlte Mittelpunkt des Friedhofs, sagt Historiker Warren:
"Insgesamt gibt es 135 Nationalfriedhöfe in den USA und in Übersee – zum Beispiel in Panama, in Mexiko City und auf den Philippinen. Jeder Bundesstaat hat einen eigenen Nationalfriedhof, dort liegen im Kampf Gefallene und Veteranen."
Bürokratisierung des Todes
Arlington, das ist nicht nur ein riesiger idyllischer Landschaftsfriedhof mit gepflegtem Rasen, altem Baumbestand, Hügeln und Bächen. Arlington steht auch für die Bürokratisierung des Todes – denn: Nicht jeder x-beliebige US-Amerikaner darf hier bestattet werden, wie Historiker Warren erklärt:
"Man muss gedient und das Recht auf eine Militär-Rente haben. Oder man muss im Kampf gestorben sein oder das Verwundetenabzeichen tragen. Man bekommt auch ein Begräbnis, wenn man die Tapferkeitsmedaille der US-Streitkräfte erhalten hat – einschließlich der Ehefrauen und Kinder. Für eine einfache Urnenbestattung muss man lediglich einen Tag gedient haben und ehrenhaft aus der Armee entlassen worden sein."
Bei seiner Gründung inmitten des Sezessionskrieges wurden in Extrasektionen die schwarzen Soldaten bestattet. Heute gibt es 70 verschiedene Bereiche in Arlington – einen für die Toten der Kriege im Irak und Afghanistan, einen für Frauen in der Armee, für Krankenschwestern – und einen für 3.800 ehemalige 420.000 Gräber von gefallenen Veteranen und ihren Familienangehörigen befinden sich auf dem Gelände. Aus Gründen der Platznot wurde 1948 durch US-Präsident Harry S. Truman festgelegt: Es dürfen nur noch ein Meter hohe rechteckige, weiße Marmorgrabsteine - am Kopf mit einem Rundbogen versehen - verwendet werden. Christopher Warren:
"Individuelle Grabsteine sind auf allen Nationalfriedhöfen nicht mehr erlaubt. Niemand kann sich ein Grab reservieren. In Arlington kommt hinzu, dass weder die politische Zugehörigkeit, der militärische Rang oder die Bekanntheit der Familie eine Rolle spielen. Hier liegen Generäle neben einfachen Soldaten, Präsidenten neben Zivilisten."
Im Tod alle gleich
Nur im Tod sind hier alle gleich: Alle Glaubensgemeinschaften sind auf dem Friedhof vertreten. 70 religiöse Symbole auf den Einheitsgrabsteinen erlaubt das US-Militär – darunter Embleme für Atheisten, Buddhisten, Christen, Muslime, Zoroastrier – sogar Thors Hammer für das Germanische Neuheidentum darf als Zierschmuck verwendet werden. Schnittblumen sind erlaubt. Topfpflanzen nicht. Ansonsten ist es verboten, die Grabsteine zu schmücken. Trotzdem werden immer wieder Fotos, kleine Sternenbanner und Luftballons angebracht. Christopher Warren:
"Alle werden gleich behandelt. Die Familien entscheiden, welches der erlaubten Symbole auf den Grabstein des Verstorbenen kommt. Das ist eine interessante Entwicklung: Während des Bürgerkriegs waren religiöse Symbole absolut verboten. Dann wurden christliches Kreuz und Davidstern genehmigt. Mit der Zeit kamen immer mehr dazu. Wir diskriminieren niemanden wegen seiner Religion – auch jene, die keiner Religion angehören."
Für Trauerfeiern sind unterschiedliche religiöse Riten zugelassen – ausgeführt von christlichen, jüdischen, muslimischen Geistlichen oder Vertretern anderer akzeptierter Religionen. Am häufigsten sind am Grab Verstorbener christliche Trauerreden durch einen Pastor oder einen Pfarrer. Muslimische Totengebete durch einen Imam sind – wie der Halbmond auf dem Grabstein - nach Absprache möglich. Eines gilt für alle Religionsvertreter: Es sind nur zehn Minuten erlaubt.
Kritische Stimmen
Ausgerechnet am Veterans Day, wenn jedes Grab in Arlington mit einem Sternenbanner versehen wird, melden sich Ärzte und Veteranenverbände zu Wort: Denn laut einer Studie von 2018 haben Suizide unter Soldatinnen und Soldaten um 32 Prozent zugenommen. Jeder Fünfte von einem Kriegseinsatz Zurückkehrende leide an posttraumatischen Belastungsstörungen. Höhepunkt der Arlington-Kritiker dürfte 1967 gewesen sein. Demonstranten protestierten zwischen den Gräberreihen gegen die monumentale Heldenverehrung und den Vernichtungskrieg in Vietnam.
Kürzlich erschütterte ein Skandal den Heldenfriedhof. Management-Fehler kamen dabei ans Tageslicht. Sterbliche Überreste waren verlorengegangen oder wurden in falschen Gräbern bestattet - wie der Leichnam der Frau von Colonel William Cook, deren Grabstein an der falschen, leeren Stelle aufgestellt wurde. Der Fehler ist mittlerweile behoben, aber Cook hatte damals im US-Fernsehen gefragt:
"Wie viele Menschen stehen jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr vor einem Grab, das in Wirklichkeit leer ist?"
Ein Albtraum für die Angehörigen – und die Verantwortlichen: Ein christlicher Leichnam, der unter einem zoroastrischen Grabstein ruht. Der Fehler ist mittlerweile behoben, so Pressesprecherin Kerry Meeker: "Wir hatten keine von Geodaten gestützte Kartierung der Gräber. Was es bis 2012 gab, waren einfache, handschriftlichen Karteikarten. Darauf war verzeichnet, wer wo begraben wurde. Da stand zum Beispiel: "Maria wurde in diesem Grab begraben" oder "Das ist der Grabstein von John". Mit der Zeit wurden einige dieser Karten unleserlich. Möglicherweise wurden sie über die Jahrzehnte auch falsch transkribiert. Wir hatten also ein sehr veraltetes System. Das war ein riesiges Problem. Jetzt mit der digitalen Kartierung können wir die 420.000 Gräber ganz genau zuordnen."
Arlington tue alles, um den Skandal hinter sich zu lassen, sagt die Pressesprecherin. Denn Arlington sei mehr als nur Geschichte und ein heiliger Schrein, Arlington sei nämich auch ein ganz normaler Friedhof: Täglich finden bis zu 30 Beerdigungen statt, 150 in der Woche, über 7.000 sind es jedes im Jahr – in den allermeisten Fällen Veteranen oder die Gefallenen der Kriege im Irak und in Afghanistan oder ihre Familienangehörigen."