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Militäroffensive im Irak
"Anfang vom Ende des Staatsprojekts des IS"

Volker Perthes sieht in der Offensive des irakischen Militärs auf Mossul den Anfang vom Ende der territorialen Ausdehnung des sogenannten Islamischen Staates. Der Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte im Deutschlandfunk allerdings auch: "Es ist sicherlich nicht das Ende des IS als ideologische und terroristische Bewegung."

Volker Perthes im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
    Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. (Imago / Stefan Zeitz)
    Das Staatsprojekt des IS im Irak stünde mit der Offensive vor seinem Ende. Die Operation sei lange angekündigt und vorbereitet worden. Und das aus gutem Grund. "Eine Großstadt zu erobern, ohne sie zu zerstören, ist keine leichte Aufgabe", sagte Perthes.
    Sollte die Offensive erfolgreich sein, gebe es aber neue politische Konkurrenzen und Schwierigkeiten bei der Machtverteilung. Neben der irakischen Armee seien schiitische Kräfte und kurdische Kämpfer beteiligt. Einige Menschen könnten diese "nicht als Befreier, sondern als Besatzer sehen". Es würde viel damit zu tun haben, wie diese sich verhalten. Grundsätzlich sei es ein wichtiger Schritt, wenn die zweitgrößte Stadt des Irak wieder unter die Autorität des Staates fallen würde.
    Trennung von Opposition und Terroristen
    Die Situation in Syrien sei derweil nicht nur mit den USA und Russland zu lösen, sagte Perthes. "Die Staaten, die tatsächlich Einfluss haben", müssten diesen auch geltend machen. Dazu zählte er Saudi-Arabien, die Türkei, den Iran und Katar. Perthes forderte eine Trennung der bewaffneten Opposition von den Terroristen wie der Nusra-Front.
    Zwischen den USA und Russland besteht seiner Ansicht nach weiter der Hauptstreitpunkt darin, ob Syrien eine Zukunft mit oder ohne die bestehende Regierung haben werde. Mögliche neue Sanktionen gegen Russland nannte er ein "falsches Signal".

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Immerhin könnte man sagen, sie sprechen wieder und kommen dabei offenbar ohne höhere Lautstärke aus, die Außenminister der USA und Russlands, Kerry und Lawrow. Das Treffen in Lausanne am Samstag, bei dem es um eine neue Waffenpause für Syrien ging, es ist allerdings ergebnislos verlaufen. Man hat sich darauf verständigt, im Gespräch zu bleiben. - Am Telefon begrüße ich dazu Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er fungiert im Auftrag des UNO-Sonderbeauftragten für Syrien auch als Vermittler zwischen dem syrischen Regime und den als gemäßigt geltenden Rebellengruppen. Guten Morgen, Herr Perthes!
    Volker Perthes: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Perthes, aus aktuellem Anlass blicken wir aber zunächst mal in den Irak. Hier hat die Großoffensive auf Mossul begonnen. Ist das der Anfang vom Ende des IS im Irak?
    Perthes: Es ist jedenfalls, wie es scheint, der Anfang vom Ende der territorialen Ausdehnung des IS im Irak und seines Staatsprojekts im Irak. Es ist sicherlich - da muss ich ein bisschen Wasser in den Wein gießen - nicht das Ende des sogenannten Islamischen Staats als ideologische und terroristische Bewegung.
    Heckmann: Seit zwei Jahren befindet sich die Stadt ja in der Hand der Islamisten. Weshalb kommt diese Großoffensive jetzt und wie erfolgversprechend ist sie?
    "Eine Großstadt zu erobern, ohne sie zu zerstören, ist keine leichte Aufgabe"
    Perthes: Nun, sie sagen "vorbereitet worden". Sie ist angekündigt worden schon vor einem Jahr. Insofern könnte man eher fragen, warum kommt sie erst jetzt, und das liegt an den konkreten Schwierigkeiten einer solchen Kampagne militärischer Art. Eine Großstadt zu erobern, ohne sie dabei zu zerstören, ist ja nun wirklich keine leichte Aufgabe. Das haben auch die Amerikaner selbst, als sie dort noch Besatzungsmacht waren, etwa in Falludscha erlebt. Und dann haben wir konkrete politische Konkurrenzen, politische Schwierigkeiten. Es geht darum, ob irakische Armee und schiitische Volksmobilisierungskräfte und kurdische Peschmerga, die alle beteiligt sein werden an diesem Sturm auf Mossul, ob die nicht von einem großen Teil der Bevölkerung vielleicht doch nicht als Befreier, sondern als Besatzer betrachtet werden. Das wird viel damit zu tun haben, wie sie sich verhalten, wenn sie Eindringen in die Stadt. Aber es ist auch eine Frage über die politische Zukunft des Irak, über die Verteilung von Verantwortung und Macht, die noch nicht ganz geklärt ist.
    Heckmann: Das heißt, ich verstehe Sie richtig, Herr Perthes, wenn der sogenannte Islamische Staat besiegt sein sollte, territorial jedenfalls, dann ist noch lange nicht Frieden und Stabilität für das Land gesichert?
    Perthes: Na ja. Erst mal wäre es ein wichtiger Schritt, wenn Mossul, wenn die zweitgrößte Stadt des Irak wieder unter die Autorität des Staates fallen würde. Aber dann beginnen die komplizierten politischen Fragen und dann kann man hoffen, dass auch mithilfe von externen Freunden des Irak, insbesondere der USA hier ein zivilisierter politischer Dialog im Rahmen der irakischen Verfassung, die eigentlich gut genug ist, stattfindet, wo man die Differenzen und die Frage, wer welchen Einfluss hat, politisch miteinander klärt und nicht auskämpft.
    Heckmann: Soweit erst mal der Blick zum Irak. Kommen wir zum Thema Syrien. In Lausanne, da haben sich ja die Außenminister von USA und Russland am Samstag darauf verständigt, im Gespräch zu bleiben. Das ist für die Menschen in Aleppo und anderswo allerdings weniger als nichts, oder?
    "Erst Terroristen bekämpfen, oder erst politische Gespräche führen?"
    Perthes: Ich würde sagen, es ist mehr als nichts. Es ist deutlich mehr als nichts, zumal es nicht nur die Amerikaner und die Russen sind, die gesagt haben, sie werden im Gespräch bleiben, sondern die Staaten, die tatsächlich Einfluss haben in Syrien. Dazu gehören neben den USA und Russland eben die Türkei, Saudi-Arabien, Katar und auch der Iran. Die waren ja alle vorhanden und hier werden Gespräche, ich nehme an, relativ intensive auf Expertenebene in den nächsten Tagen schon beginnen. Da geht es einfach darum, wie man diesen Mindestkonsens, den es immer noch gibt darüber, dass man den Krieg in Syrien beenden will, wie man diesen Mindestkonsens implementieren kann. Zurzeit scheitert er ja nicht daran, dass man sich auf der deklaratorischen Ebene uneinig sei - man hat eine gemeinsame Sicherheitsratsresolution etc. -, sondern dass man sich darüber streitet, wie man diesem Ziel näher kommt: Muss man erst Terroristen bekämpfen, oder muss man erst politische Gespräche führen? Das sind sozusagen, sehr grob gesagt, die unterschiedlichen Positionen, die wir hier haben.
    Heckmann: Herr Perthes, was ist denn der Grund dafür, dass Russland diese syrischen Luftangriffe unterstützt, so massiv beziehungsweise selber fliegt? Weshalb steht man so fest an der Seite eines Mannes, der als Kriegsverbrecher angesehen wird?
    Perthes: Neben den geopolitischen Zielen, dass Russland offensichtlich ein Interesse hat, wieder als Macht nicht nur in der Welt, sondern auch im Nahen Osten wahrgenommen zu werden, haben wir hier tatsächlich unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie man diesen Krieg zu Ende bringen kann. Russland sagt, das geht nur mit den existierenden Institutionen, und dazu gehört die existierende Regierung mit dem Präsidenten, der im Amt ist, und um eine wirksame politische Transition und auch ein Gespräch darüber auf den Weg zu bringen, müssen wir zuerst einmal die Terroristen bekämpfen und besiegen oder zumindest die bewaffneten Oppositionsgruppen von den Terroristen trennen. Die Amerikaner und viele andere sagen, das wesentliche Ziel ist ein Wechsel an der Regimespitze, jedenfalls früher oder später, und um da hinzukommen brauchen wir politische Gespräche. Und wenn man da einen ganzen Schritt weiter ist, dann kann man auch sehr viel besser die Terroristen bekämpfen. Das heißt, wir haben hier die gleichen Elemente in unterschiedlicher Anordnung, und ich glaube, der richtige Plan wäre einer zu sagen, parallel damit beginnen, in Aleppo zunächst, wo sich alles konzentriert, die bewaffneten Oppositionsgruppen von den terroristischen Gruppen zu trennen und gleichzeitig die Luftangriffe zu beenden. Da haben wir Aufgaben für die Türkei und für Saudi-Arabien und für die USA, die Einfluss auf die Oppositionsgruppen haben, und haben wir die Aufgabe für Russland, das selbst Angriffe fliegt und die syrische Armee dabei unterstützt.
    Sanktionen gegen Russland? Zurzeit das falsche Signal
    Heckmann: Aber wie geht das? Wie geht das, diese Terrororganisation - die Al-Nusra-Front wird da ja genannt - von der Zivilbevölkerung zu trennen? Wie soll das gehen?
    Perthes: Letztlich muss die Nusra-Front aus Aleppo raus und sie tut das nicht freiwillig, sie wird das nicht freiwillig tun. Sie kann das nur tun, wenn die anderen bewaffneten Oppositionsgruppen sehr, sehr deutlich machen, dass sie mit der Nusra-Front nicht weiter zusammenarbeiten wollen. Da braucht es Druck von innerhalb Ostaleppos, wenn Sie so wollen, und das wird nur gehen, wenn Staaten wie die Türkei und Saudi-Arabien und indirekt auch die USA entsprechenden Einfluss nehmen auf die bewaffneten Oppositionsgruppen. Leicht, irgendwelche Alliierten zu liefern für politische Ziele, die international beschlossen werden, fällt das keiner Partei.
    Heckmann: Es wird derzeit, Herr Perthes, intensiv diskutiert über neue Sanktionen gegen Russland, wegen der Unterstützung der Luftangriffe. Norbert Röttgen, der hatte das ins Spiel gebracht. Auch die Kanzlerin ist da offenbar aufgeschlossen. Das Thema wird Thema sein beim EU-Gipfel in dieser Woche. Und auch Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, der hat gestern gesagt, man dürfe das nicht ausschließen. Ist es richtig, den Druck zu erhöhen auf Moskau auf diese Weise?
    Perthes: Ich glaube, solange miteinander darüber gesprochen wird, dass man versucht, doch einen neuen Prozess der Deeskalation und dann des Friedens in Syrien auf den Weg zu bringen, ist das nicht das richtige Mittel. Es ist symbolisch in erster Linie ein Instrument, Sanktionen zu verhängen. Wir werden damit ja Russland nicht dazu bekommen, seine Politik zu ändern. Und wenn man solche symbolische Politik betreiben will, dann muss man das zum richtigen Zeitpunkt tun, und ich glaube nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist.
    Heckmann: Das heißt, neue Sanktionen wären aus Ihrer Sicht absolut kontraproduktiv?
    Perthes: Ich glaube, sie wären zurzeit das falsche Signal.
    Heckmann: Volker Perthes war das, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Wir haben gesprochen über die Lage im Irak und in Syrien. Herr Perthes, schönen Dank für das Gespräch.
    Perthes: Vielen Dank, Herr Heckmann. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.