Christoph Heinemann: Was das Forum in Davos für Wirtschaft und Politik bedeutet, ist München für die Außen- und Sicherheitspolitik – ein Stelldichein führender Diplomaten und Verteidigungsfachleute, die sich besprechen, ohne den Zwang, anschließend Schlagzeilen liefern zu müssen. Was nicht heißt, dass während der Münchner Sicherheitskonferenz stets nur Freundlichkeiten ausgetauscht würden. 2003 blaffte Bundesaußenminister Joschka Fischer den US-amerikanischen Verteidigungsminister an.
O-Ton Joschka Fischer: "Saddam Hussein ist ein furchtbarer Diktator, das wissen wir alle seit Langem. Er hat Massenvernichtungswaffen gegen den Iran eingesetzt im iranisch-irakischen Krieg, er hat den Iran überfallen. Und weil wir unsere Demokratie ohne Ihre Hilfe nicht aufgebaut hätten. Nur meine Generation hat dabei gelernt, you have to make the case, and to make the case ... (In einer Demokratie heißt eine Entscheidung treffen, man muss erst mal selbst davon überzeugt sein. Entschuldigung, aber ich bin nicht überzeugt und ich kann mich nicht vor die Öffentlichkeit stellen und sagen, lasst uns in den Krieg ziehen, wenn ich nicht daran glaube) ... and I don’t believe in that."
Heinemann: Der Gast, der aus der neuen Welt ins alte Europa gekommen war, hieß, wenn man den Namen mal sehr deutsch ausspricht, Rumsfeld, und irgendwie war das auch sein Programm. Gestritten wurde damals über einen Feldzug gegen den Irak. – Ersetzen wir das K durch ein N, sind wir bei einem Thema angelangt, das neun Jahre später ab heute in München vielleicht nicht groß auf der Tagesordnung steht, aber doch im Hintergrund eine nicht unwichtige Rolle spielen wird: der Iran, das Atomprogramm und die Ölversorgung. Israel könnte nach einem Bericht der "Washington Post" im Frühjahr einen Militärangriff auf iranische Atomanlagen starten. US-Verteidigungsminister Leon Panetta geht davon aus, dass es eine starke Wahrscheinlichkeit für eine solche Operation im April, Mai oder Juni gebe. Das berichtet das Blatt ohne konkrete Quellen in seiner Online-Ausgabe. - Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz ist der deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger. Guten Morgen.
Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Ischinger, Sie haben in einem Interview gesagt, 2012 werde das Jahr, in dem Kriege enden. Vielleicht auch das Jahr neuer Waffengänge?
Ischinger: Also hoffentlich nicht! Meine Äußerung hat sich natürlich bezogen auf die Entwicklungen in Afghanistan und in der Tat im Irak. Ich bin der Meinung, wir müssen in München mit allen Beteiligten und Verantwortlichen darüber sprechen, dass es nicht so sein darf, dass für den Fall des Scheiterns – noch ist ja nicht klar, ob es scheitert -, dass für den Fall des Scheiterns der gegenwärtigen Sanktionspolitik gegenüber dem Iran nur noch eine Option, nämlich die Option der militärischen Eskalation, sprich des Krieges übrig bleibt. Das wäre der Bankrott der Politik, der Bankrott der Diplomatie, und genau solche Zwänge wollen wir durch das Dialogforum in München hoffentlich verhindern.
Heinemann: Welche Alternative gäbe es denn noch?
Ischinger: Zunächst einmal ist wie gesagt ja keineswegs ausgemacht, dass die gegenwärtig weiter angezogene Sanktionsschraube nicht vielleicht doch ihre Wirkung erzielt – warten wir’s mal ab. Das steht ja jetzt in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten bevor.
Zweitens: Für den Fall des Scheiterns, denke ich, ist das Modell des Umgangs zwischen West und Ost im Kalten Krieg ein durchaus denkbarer Vergleich. damals hat der Westen, hat die NATO die hochgerüstete Sowjetunion abgeschreckt, Containment auf Neudeutsch, auf Englisch. Ich kann nicht erkennen, warum eine umfassend definierte und gemeinsam zwischen dem Westen, zwischen der NATO, zwischen der arabischen Welt und hoffentlich auch unter Einbeziehung Russlands und anderer, warum eine gemeinsam definierte Containment-Politik gegenüber einem denkbaren militärisch aufgerüsteten, nuklear aufgerüsteten Iran nicht möglich wäre und auch nicht ihr Ziel erfüllen könnte.
Heinemann: Zum Beispiel, weil Israel es eilig hat.
!Ischinger: Auch in Israel, auch unsere israelischen Freunde wissen, dass ein Militärschlag gegen den Iran eine ganz schlechte Option ist, und zwar nicht nur aus einem Grund, sondern aus mehreren Gründen. Erstens ist der Erfolg nicht sicher. Zweitens ist, mal abgesehen von der Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit – die will ich gar nicht aufwerfen. Und drittens ist doch eines klar: Ein Militärschlag gegen den Iran wird die Lage im Nahen und Mittleren Osten, wird die Feindseligkeit zwischen dem Westen, mit dem Israel ja eng verbunden ist, doch nur weiter erhöhen. Wir schaffen dann nur neue Brandherde, das wird die Terrorismusfrage wieder zum zentralen Punkt der internationalen Politik machen. Also eine schlechtere Option als den Einsatz militärischer Mittel gegenüber dem Iran kann ich mir nicht vorstellen.
Heinemann: Herr Ischinger, von den neuen zu den alten Brandherden. Die USA und Frankreich wollen die kämpfenden Truppen schon im kommenden Jahr aus Afghanistan abziehen. Das Tempo, mit dem jetzt alle das Land verlassen wollen, erinnert an den Abzug der Roten Armee. Sind wir jetzt bei der "rette sich wer kann"-Taktik?
Ischinger: Also ich hoffe nicht. Es ist ja erkennbar, dass die Äußerungen, die wir jetzt aus Washington zu hören bekommen, nicht nur etwas mit der Lage in Afghanistan und mit einer kühlen sicherheitspolitischen Analyse zu tun haben, sondern das ist nun mal so im politischen Leben, das hat auch etwas zu tun mit dem amerikanischen Wahlkampf. Und ich habe auch persönlich großes Verständnis dafür, dass nicht nur die Deutschen, sondern auch die Amerikaner, die ja einen viel größeren Teil der Last und viel, viel mehr schreckliche Todesfälle in Afghanistan erleiden mussten, dass die amerikanische Bevölkerung es leid ist.
Heinemann: Herr Ischinger, Sie haben den Wahlkampf angesprochen. Mitt Romney hat sich geäußert, der republikanische Präsidentschaftskandidat hat sinngemäß gesagt – ich sage es jetzt in meinen Worten -, wie kann man nur so blöde sein, den Taliban, also dem Feind, den Abzugstermin mitzuteilen. Wieso wird so brüllend laut über diesen Termin nachgedacht?
Ischinger: Es ist der innenpolitische Druck bei uns allen, in Washington, in Berlin, in Paris – Paris schreitet jetzt munter voran. Natürlich ist das nicht die beste Form des Vorgehens, aber wir leben nun mal in Demokratien. Die Politik fordert – das ist jedenfalls der Eindruck in fast allen Hauptstädten -, die Politik fordert symbolische und tatsächliche Schritte hin zur Beendigung dieses Krieges. Dass es militärisch sicherlich besser wäre, den "Feind" im Unklaren, völlig im Unklaren darüber zu lassen, was die eigenen Pläne sind, das ist auch klar, das steht in jedem militärischen Lehrbuch. Aber in einer offenen, transparenten Demokratie können sie solche Dinge nicht geheim halten. Das macht das Kriegführen für Demokratien leider auch schwer.
Heinemann: Man muss sich die Kriegsführung auch leisten können. Die USA und Europa benötigen dringend chinesisches Geld – die Europäer für den Euro-Rettungsschirm oder für die Euro-Stabilisierungsmaßnahmen. Gilt künftig auch sicherheitspolitisch, wer zahlt schafft an?
Ischinger: Also die Auswirkungen, die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf unsere Sicherheit, auf die globale und europäische Sicherheitspolitik, wird ein wichtiges Thema heute und morgen in der Münchner Konferenz sein. Ich will es mal ganz plakativ auf einen Satz zusammenraffen. Wenn unsere sicherheitspolitische Aufgabe darin besteht, mächtige Ressourcen dafür einzusetzen, dass wir Stabilitätsexport betreiben können, dann führt das dazu, in dem Fall, in dem wir solche Ressourcen nicht mehr haben, weil wir sparen müssen, dass Stabilitätsexport in Stabilitätsimport passiert. Das ist die Herausforderung der Sicherheitspolitik in der Welt des 21. Jahrhunderts. Das ist auch die Begründung dafür, dass es notwendig und richtig ist, dass wir uns mit sicherheitspolitischen Herausforderungen weit ab von Europa beschäftigen. Wenn wir nicht unseren Beitrag leisten, kommen die Probleme zu uns, einschließlich Migration.
Heinemann: Ist die Frage, welchen Ton man dabei trifft. Die Amerikaner, Präsident Obama hat ja jetzt von einem pazifischen Jahrhundert gesprochen; die USA wollen den Chinesen in Asien allerdings militärisch Paroli bieten, in Australien sollen jetzt US-Soldaten stationiert werden in einer Ortschaft, die ausgerechnet Darwin heißt. Von Peking aus gesehen kann man das doch nur als Bedrohung empfinden!
Ischinger: Also es ist zu hoffen – auch hier füge ich an, nach Ende des amerikanischen Wahlkampfs -, es ist zu hoffen, dass das amerikanisch-chinesische Verhältnis genauso wie das europäisch-chinesische Verhältnis bitte nicht primär durch den Gedanken militärischer Rivalität gekennzeichnet wird. Ich denke, die Chancen einer kooperativen Partnerschaft mit China und anderen aufsteigenden asiatischen Mächten sind sehr viel größer als die Gefahren der militärischen Rivalität. Jetzt muss man natürlich sehen, dass auch China etwas anspruchsvoller aufgetreten ist. Es hat Vorfälle im südchinesischen Meer gegeben, die einige der Anrainer beunruhigt haben. Das heißt, ganz ohne die militärische Balance im Pazifik und in Asien geht es nicht. Aber in der Tat: Ich teile die Meinung, das Verhältnis zu China müssen wir politisch und wirtschaftlich prioritär determinieren und nicht militärisch.
Heinemann: Ist der konsumabhängige Westen erpressbar?
Ischinger: Der konsumabhängige Westen braucht für seine Sicherheit die notwendigen Ressourcen. Wenn es ihm nicht gelingt, sich aufzuraffen, die Wirtschaftskrise zu überwinden, werden wir sicherheitspolitisch immer mehr und nicht weniger Herausforderungen zu bestehen haben, obwohl es in Europa Frieden gibt. Das ist die Erkenntnis, zu der wir uns durchringen müssen. Deswegen ist Sicherheitspolitik wichtig und es ist auch wichtig, dass die Bevölkerung mitdenkt und versteht, dass selbst wenn an unseren Grenzen kein Feind steht, wie zu Zeiten des Kalten Kriegs, wir große Gefahren haben, denen wir weit ab von unseren Grenzen gegenübertreten müssen.
Heinemann: Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Ischinger: Danke, Herr Heinemann. Auf Wiederhören.
Heinemann: Abermals zu hören und nachzulesen unter dradio.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
O-Ton Joschka Fischer: "Saddam Hussein ist ein furchtbarer Diktator, das wissen wir alle seit Langem. Er hat Massenvernichtungswaffen gegen den Iran eingesetzt im iranisch-irakischen Krieg, er hat den Iran überfallen. Und weil wir unsere Demokratie ohne Ihre Hilfe nicht aufgebaut hätten. Nur meine Generation hat dabei gelernt, you have to make the case, and to make the case ... (In einer Demokratie heißt eine Entscheidung treffen, man muss erst mal selbst davon überzeugt sein. Entschuldigung, aber ich bin nicht überzeugt und ich kann mich nicht vor die Öffentlichkeit stellen und sagen, lasst uns in den Krieg ziehen, wenn ich nicht daran glaube) ... and I don’t believe in that."
Heinemann: Der Gast, der aus der neuen Welt ins alte Europa gekommen war, hieß, wenn man den Namen mal sehr deutsch ausspricht, Rumsfeld, und irgendwie war das auch sein Programm. Gestritten wurde damals über einen Feldzug gegen den Irak. – Ersetzen wir das K durch ein N, sind wir bei einem Thema angelangt, das neun Jahre später ab heute in München vielleicht nicht groß auf der Tagesordnung steht, aber doch im Hintergrund eine nicht unwichtige Rolle spielen wird: der Iran, das Atomprogramm und die Ölversorgung. Israel könnte nach einem Bericht der "Washington Post" im Frühjahr einen Militärangriff auf iranische Atomanlagen starten. US-Verteidigungsminister Leon Panetta geht davon aus, dass es eine starke Wahrscheinlichkeit für eine solche Operation im April, Mai oder Juni gebe. Das berichtet das Blatt ohne konkrete Quellen in seiner Online-Ausgabe. - Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz ist der deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger. Guten Morgen.
Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Ischinger, Sie haben in einem Interview gesagt, 2012 werde das Jahr, in dem Kriege enden. Vielleicht auch das Jahr neuer Waffengänge?
Ischinger: Also hoffentlich nicht! Meine Äußerung hat sich natürlich bezogen auf die Entwicklungen in Afghanistan und in der Tat im Irak. Ich bin der Meinung, wir müssen in München mit allen Beteiligten und Verantwortlichen darüber sprechen, dass es nicht so sein darf, dass für den Fall des Scheiterns – noch ist ja nicht klar, ob es scheitert -, dass für den Fall des Scheiterns der gegenwärtigen Sanktionspolitik gegenüber dem Iran nur noch eine Option, nämlich die Option der militärischen Eskalation, sprich des Krieges übrig bleibt. Das wäre der Bankrott der Politik, der Bankrott der Diplomatie, und genau solche Zwänge wollen wir durch das Dialogforum in München hoffentlich verhindern.
Heinemann: Welche Alternative gäbe es denn noch?
Ischinger: Zunächst einmal ist wie gesagt ja keineswegs ausgemacht, dass die gegenwärtig weiter angezogene Sanktionsschraube nicht vielleicht doch ihre Wirkung erzielt – warten wir’s mal ab. Das steht ja jetzt in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten bevor.
Zweitens: Für den Fall des Scheiterns, denke ich, ist das Modell des Umgangs zwischen West und Ost im Kalten Krieg ein durchaus denkbarer Vergleich. damals hat der Westen, hat die NATO die hochgerüstete Sowjetunion abgeschreckt, Containment auf Neudeutsch, auf Englisch. Ich kann nicht erkennen, warum eine umfassend definierte und gemeinsam zwischen dem Westen, zwischen der NATO, zwischen der arabischen Welt und hoffentlich auch unter Einbeziehung Russlands und anderer, warum eine gemeinsam definierte Containment-Politik gegenüber einem denkbaren militärisch aufgerüsteten, nuklear aufgerüsteten Iran nicht möglich wäre und auch nicht ihr Ziel erfüllen könnte.
Heinemann: Zum Beispiel, weil Israel es eilig hat.
!Ischinger: Auch in Israel, auch unsere israelischen Freunde wissen, dass ein Militärschlag gegen den Iran eine ganz schlechte Option ist, und zwar nicht nur aus einem Grund, sondern aus mehreren Gründen. Erstens ist der Erfolg nicht sicher. Zweitens ist, mal abgesehen von der Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit – die will ich gar nicht aufwerfen. Und drittens ist doch eines klar: Ein Militärschlag gegen den Iran wird die Lage im Nahen und Mittleren Osten, wird die Feindseligkeit zwischen dem Westen, mit dem Israel ja eng verbunden ist, doch nur weiter erhöhen. Wir schaffen dann nur neue Brandherde, das wird die Terrorismusfrage wieder zum zentralen Punkt der internationalen Politik machen. Also eine schlechtere Option als den Einsatz militärischer Mittel gegenüber dem Iran kann ich mir nicht vorstellen.
Heinemann: Herr Ischinger, von den neuen zu den alten Brandherden. Die USA und Frankreich wollen die kämpfenden Truppen schon im kommenden Jahr aus Afghanistan abziehen. Das Tempo, mit dem jetzt alle das Land verlassen wollen, erinnert an den Abzug der Roten Armee. Sind wir jetzt bei der "rette sich wer kann"-Taktik?
Ischinger: Also ich hoffe nicht. Es ist ja erkennbar, dass die Äußerungen, die wir jetzt aus Washington zu hören bekommen, nicht nur etwas mit der Lage in Afghanistan und mit einer kühlen sicherheitspolitischen Analyse zu tun haben, sondern das ist nun mal so im politischen Leben, das hat auch etwas zu tun mit dem amerikanischen Wahlkampf. Und ich habe auch persönlich großes Verständnis dafür, dass nicht nur die Deutschen, sondern auch die Amerikaner, die ja einen viel größeren Teil der Last und viel, viel mehr schreckliche Todesfälle in Afghanistan erleiden mussten, dass die amerikanische Bevölkerung es leid ist.
Heinemann: Herr Ischinger, Sie haben den Wahlkampf angesprochen. Mitt Romney hat sich geäußert, der republikanische Präsidentschaftskandidat hat sinngemäß gesagt – ich sage es jetzt in meinen Worten -, wie kann man nur so blöde sein, den Taliban, also dem Feind, den Abzugstermin mitzuteilen. Wieso wird so brüllend laut über diesen Termin nachgedacht?
Ischinger: Es ist der innenpolitische Druck bei uns allen, in Washington, in Berlin, in Paris – Paris schreitet jetzt munter voran. Natürlich ist das nicht die beste Form des Vorgehens, aber wir leben nun mal in Demokratien. Die Politik fordert – das ist jedenfalls der Eindruck in fast allen Hauptstädten -, die Politik fordert symbolische und tatsächliche Schritte hin zur Beendigung dieses Krieges. Dass es militärisch sicherlich besser wäre, den "Feind" im Unklaren, völlig im Unklaren darüber zu lassen, was die eigenen Pläne sind, das ist auch klar, das steht in jedem militärischen Lehrbuch. Aber in einer offenen, transparenten Demokratie können sie solche Dinge nicht geheim halten. Das macht das Kriegführen für Demokratien leider auch schwer.
Heinemann: Man muss sich die Kriegsführung auch leisten können. Die USA und Europa benötigen dringend chinesisches Geld – die Europäer für den Euro-Rettungsschirm oder für die Euro-Stabilisierungsmaßnahmen. Gilt künftig auch sicherheitspolitisch, wer zahlt schafft an?
Ischinger: Also die Auswirkungen, die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf unsere Sicherheit, auf die globale und europäische Sicherheitspolitik, wird ein wichtiges Thema heute und morgen in der Münchner Konferenz sein. Ich will es mal ganz plakativ auf einen Satz zusammenraffen. Wenn unsere sicherheitspolitische Aufgabe darin besteht, mächtige Ressourcen dafür einzusetzen, dass wir Stabilitätsexport betreiben können, dann führt das dazu, in dem Fall, in dem wir solche Ressourcen nicht mehr haben, weil wir sparen müssen, dass Stabilitätsexport in Stabilitätsimport passiert. Das ist die Herausforderung der Sicherheitspolitik in der Welt des 21. Jahrhunderts. Das ist auch die Begründung dafür, dass es notwendig und richtig ist, dass wir uns mit sicherheitspolitischen Herausforderungen weit ab von Europa beschäftigen. Wenn wir nicht unseren Beitrag leisten, kommen die Probleme zu uns, einschließlich Migration.
Heinemann: Ist die Frage, welchen Ton man dabei trifft. Die Amerikaner, Präsident Obama hat ja jetzt von einem pazifischen Jahrhundert gesprochen; die USA wollen den Chinesen in Asien allerdings militärisch Paroli bieten, in Australien sollen jetzt US-Soldaten stationiert werden in einer Ortschaft, die ausgerechnet Darwin heißt. Von Peking aus gesehen kann man das doch nur als Bedrohung empfinden!
Ischinger: Also es ist zu hoffen – auch hier füge ich an, nach Ende des amerikanischen Wahlkampfs -, es ist zu hoffen, dass das amerikanisch-chinesische Verhältnis genauso wie das europäisch-chinesische Verhältnis bitte nicht primär durch den Gedanken militärischer Rivalität gekennzeichnet wird. Ich denke, die Chancen einer kooperativen Partnerschaft mit China und anderen aufsteigenden asiatischen Mächten sind sehr viel größer als die Gefahren der militärischen Rivalität. Jetzt muss man natürlich sehen, dass auch China etwas anspruchsvoller aufgetreten ist. Es hat Vorfälle im südchinesischen Meer gegeben, die einige der Anrainer beunruhigt haben. Das heißt, ganz ohne die militärische Balance im Pazifik und in Asien geht es nicht. Aber in der Tat: Ich teile die Meinung, das Verhältnis zu China müssen wir politisch und wirtschaftlich prioritär determinieren und nicht militärisch.
Heinemann: Ist der konsumabhängige Westen erpressbar?
Ischinger: Der konsumabhängige Westen braucht für seine Sicherheit die notwendigen Ressourcen. Wenn es ihm nicht gelingt, sich aufzuraffen, die Wirtschaftskrise zu überwinden, werden wir sicherheitspolitisch immer mehr und nicht weniger Herausforderungen zu bestehen haben, obwohl es in Europa Frieden gibt. Das ist die Erkenntnis, zu der wir uns durchringen müssen. Deswegen ist Sicherheitspolitik wichtig und es ist auch wichtig, dass die Bevölkerung mitdenkt und versteht, dass selbst wenn an unseren Grenzen kein Feind steht, wie zu Zeiten des Kalten Kriegs, wir große Gefahren haben, denen wir weit ab von unseren Grenzen gegenübertreten müssen.
Heinemann: Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Ischinger: Danke, Herr Heinemann. Auf Wiederhören.
Heinemann: Abermals zu hören und nachzulesen unter dradio.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.