Rund eine Autostunde von der Hauptstadt Vilnius entfernt. Statt Orgelmusik ertönt ein MP3-Player. Gespielt wird ein Cover des John-Denver-Songs "Leaving on a Jet Plane", ein Liebeslied übers Abschiednehmen. Viele der Gottesdienstbesucher fühlen sich davon angesprochen, glaubt Gert-Jan van Dierendonck, der den Gottesdienst leitet.
"Ich verbinde die Musik mit unserer Mission hier. Leaving on a Jet Plane. Jeder von uns hier hat sich von seiner Familie verabschiedet, ihnen aus dem Flugzeug zugewinkt; und sie haben uns hinterhergeschaut, wie wir abfliegen. Es gibt also eine Verbindung zu jedem einzelnen von uns."
"Alle Soldaten haben Anspruch auf Seelsorge"
Es ist kein normaler Gottesdienst, den der 42-jährige Holländer hier im litauischen Rukla hält. Denn: Van Dierendonck ist katholischer Militärkaplan und vor ihm stehen Soldaten einer multinationalen "Battle Group" der NATO in Litauen.
Hier an der Ostflanke der NATO stationiert das Militärbündnis seit einem halben Jahr ein Bataillon mit 1000 Soldaten verschiedener Streitkräfte, darunter 450 der Bundeswehr. Für ihr Seelenheil sorgt van Dierendonck.
"Wenn etwas passiert, kommen sie als erstes zu mir, zum Militärkaplan. Wenn jemand im Einsatz stirbt, dann bin ich da für ihre Kameraden. Vor kurzem erst ist ein Bundeswehrsoldat in Mali ums Leben gekommen, da haben wir auch hier in Litauen ihrer Kameraden gedacht. Denn wir sind in einer ähnlichen Situation: Die einen sind in Mali, wir hier in Litauen. Beides ist sehr weit weg von Zuhause und wenn etwas passiert, schlagen die Emotionen hoch."
Während der MP3-Player Bach spielt, zünden Soldaten Kerzen an. Es sind aber nicht allein die Gottesdienste, wieso beim multinationalen Bataillon in Rukla ein holländischer Militärkaplan arbeitet, sagt Oberstleutnant Thorsten Gensler, der Befehlshaber der Battle Group.
"Jeder Soldat und vor allem die konfessionsgebundenen Soldaten haben einen Anspruch auf entsprechende Seelsorge. Unabhängig davon, ob sie einer Konfession angehören oder nicht, kann es immer wieder Situationen geben, die zu persönlichen Belastungen führen. Und hier haben die Soldaten einen neutralen Ansprechpartner, den sie nutzen können, um in geeigneter Weise über das Problem sprechen zu können."
Die Truppenmoral stärken
Die Tür von van Dierendonck hier im obersten Geschoss der ehemals sowjetischen Kaserne steht also nicht nur sonntags offen. Auch nimmt er an Gefechtsübungen teil, weil sich auch im Schützengraben Gespräche entwickeln können. Oft gehe es dabei um Konflikte mit den Vorgesetzten. Somit ist van Dierendonck auch ein Vermittler zwischen Soldaten und Kommandeuren und hat daher den Rang eines Majors. Und das obwohl ihm dafür die militärische Ausbildung fehlt.
Dafür hat Militärkaplan van Dierendonck zwei Töchter und eine Frau. Dass ein studierter Laien-Theologe Militärkaplan ist, ist Hollands Antwort auf den eklatanten Priestermangel. Und zugleich sinke so die Hemmschwelle bei den Soldaten, wenn sie über Heimweh oder Liebeskummer sprechen wollen, beobachtet van Dierendonck. Oft werde aber auch über die Angst vor dem Einsatz gesprochen - eine Angst, die im Osten Europas in der Nachbarschaft zu Russland anders ist als etwa in Afghanistan.
"In Afghanistan und Mali war es klar, wer der Feind ist. Es war gefährlich die Base zu verlassen. Es gab Minen und Fallen.
Die Gefahr hier ist anders. Der Cyberkrieg hat bereits begonnen. Dann gibt es auch Fake-News. Die Soldaten hier, wenn sie das Gelände verlassen, haben zum Beispiel Angst davor, in einen Streit zu geraten. Das wird dann gleich in den Nachrichten gemeldet. Die Soldaten wissen nicht so recht, wie sie damit umgehen sollen."
Fertige Antworten kann auch Militärkaplan van Dierendonck nicht liefern. Aber zur Reflexion anregen und letztlich – so seine Hoffnung – die Truppenmoral stärken.
Am Ende des Gottesdienstes spielt sein MP3-Player wieder ein Lied. Van Dierendonck blickt auf den Tisch voller Teelichter und sagt: Die Kerzen brennen gemeinsam, wie die NATO zusammensteht.