Ganze drei Minuten läuten am Sonntagmorgen die Kirchenglocken. Am Rande der Stadt Gao, die im Norden des westafrikanischen Landes Mali liegt, sind dieser Einladung fast 40 Besucher gefolgt. Sie alle sitzen in einem Zelt in einem hellen Beige. Die Klimaanlage rauscht und über dem Eingang hängt ein Schild mit dem Namen Martinskirche.
"Es ist was Schönes, sonntags hier zu sein"
Pfarrer Johannes Waedt, der aus Niederbayern stammt, ist der einzige, der während des Gottesdienstes keine Waffe trägt. Alle übrigen Besucher sind Soldaten der Bundeswehr. Auch die 27-jährige Veronika gehört dazu. Sie ist seit Anfang Februar im Norden Malis stationiert und kommt regelmäßig in den Gottesdienst. Als Soldatin im Einsatz möchte sie nur bei ihren Vornamen genannt werden:
"Es ist was Schönes, sonntags hier zu sein. Man weiß, die Woche ist wieder um. Man verliert sonst so ein bisschen das Zeitgefühl. Und zum anderen festigt das auch. Ich bin ein bisschen heimatverbunden."
Knapp 4000 Kilometer von ihrer Heimat in Bayern entfernt, läuft in Mali aktuell der größte Bundeswehr-Einsatz, der im Rahmen der Blauhelm-Mission "Minusma" stattfindet.
"Wer überbringt die Todesnachricht?"
Nach dem Tuareg-Aufstand Ende 2011, einem Staatsstreich im März 2012 und der anschließenden Besetzung des Nordens durch islamistische Gruppierungen sollen bis zu 11 000 Soldaten aus 50 Nationen den schwierigen und langwierigen Friedensprozess begleiten. In Gao sind dafür aktuell knapp 730 Bundeswehrsoldaten stationiert. Obwohl es im Norden regelmäßig zu Anschlägen kommt, sind diese bisher aber noch nicht zum Ziel geworden. In Gesprächen spürt Pfarrer Waedt jedoch die Angst davor:
"Viele gehen hier davon aus, dass demnächst etwas passieren wird. Und dann fragt der eine oder andere Offizier: 'Ist das denn alles geregelt? Wer überbringt die Todesnachricht? Wie kann ich darauf vorbereitet werden? Wie kann ich damit umgehen, dass einer von den Kameraden dann hier aufgebahrt ist? Was machen wir dann in der Situation?'"
Genau für die Beantwortung solcher Fragen ist ein Militärseelsorger vor Ort. Für den 50-jährigen Waedt ist es der erste Einsatz überhaupt. Nachdem er 16 Jahre lang in zwei Kirchengemeinden in Oberfranken gearbeitet hatte, entschied er sich vor drei Jahren, für die evangelische Militärseelsorge zu arbeiten.
Sein Heimatstandort ist in Bogen in Niederbayern. Bis auf seinen Grundwehrdienst, den er in den 1980er Jahren noch in Rumänien geleistet hatte, gab es keinen Kontakt zum Militär. Johannes Waedt musste lernen, sich an neue Strukturen anzupassen.
"Ich kenne aus der protestantischen Tradition, dass man im Kirchenvorstand meinetwegen eine Meinung hat; und dann wird man unter Umständen mit dieser einen Meinung alleine dastehen. Hier ist es eine Hierarchie - und ein Befehl wird halt befolgt. Man kann diskutieren darüber, aber letztendlich ist es eine ganz straff organisierte Bundeswehr, die ich eigentlich schätze. Es funktioniert."
Glaubensfragen machen nur einen kleinen Teil von Waedts Arbeit aus. Soldatinnen und Soldaten sprechen mit ihm über Liebe, Familie und Freundschaft, oft sind es Probleme, die sie schon in Deutschland hatten. Die Angst vor Anschläge treibt die Soldaten um, Ruhe und Rückzugsmöglichkeiten gibt es kaum. Hier im Camp Castor müssen die Soldaten über viele Monate auf engem Raum zusammen leben. Die Mehrheit hat keine Möglichkeit, das Camp überhaupt zu verlassen. Über den Militärpfarrer als Ansprechpartner ist deshalb auch Soldatin Veronika sehr froh:
"Doch, das ist ganz angenehm. Ich finde es auch wichtig, dass man jemanden vor Ort hat, mit dem man reden kann, der keinen Dienstgrad hat, der einfach da ist; der einfach seine Meinung sagt, aber nicht urteilt."
"Ich wünsche mir von meinen Kollegen Verständnis"
So viel Akzeptanz erlebt Pfarrer Waedt selbst jedoch nicht immer; vor allem dann nicht, wenn er mit seinen Kollegen in Deutschland spricht. Viele von ihnen seien schließlich mit der 68er Bewegung groß geworden und würden militärische Einsätze ablehnen. An sie hat Johannes Waedt deshalb einen Wunsch:
"Also mir wäre wichtig, dass die Arbeit eines Militärpfarrers und der Einsatz für den Frieden gewürdigt wird, bei Kollegen in der zivilen Pfarrei, bei Pfarrern, die Frieden schaffen wollen ohne Waffen. Wir sollen aber nicht in diesen Trugschluss verfallen, dass überall auf der Welt dieser Friede ohne Waffen geschaffen werden kann. Und da wünschte ich mir von meinen Pfarrern, von den Kollegen aus der zivilen Welt, dass sie dafür ein bisschen Verständnis mitbringen."
In der Martinskirche in Gao muss er bei den Soldaten dafür allerdings nicht werben, im Gegenteil: Der Gottesdienst ist, trotz unterschiedlicher Freizeitangebote, gut besucht. Und Pläne für die kommenden Wochen - und ganz besonders die Osterfeiertage - gibt es auch schon.