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Milliardstel Meter verändern die Menschheit

Die Nanotechnologie hat längst in unseren Alltag Einzug gehalten - ob in der Sonnencreme oder im Tomatenketchup. Umso dringender erscheint es, über die Risiken und ethischen Grenzen dieses Forschungsgebiets nachzudenken: An der Universität des Saarlands hat sich dafür die nanotechnologische Forscherelite versammelt.

Von Tonia Koch |
    Es ist Sommer, Grillzeit und die meisten Menschen kommen dabei mit den winzigen Teilchen in Berührung. Denn sie sorgen dafür, dass der bei Kindern so beliebte Ketchup inzwischen in beherrschbarer Menge auf den Teller fließt; die Flasche nicht länger verstopft. An dieser Stelle, sagt der Wiener Forscher Andre Gazso vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Akademie der Wissenschaften in Österreich, an dieser Stelle erkennt der Verbraucher einen individuellen Nutzen für sich selbst und vertraut daher auf die positive Wirkung der Nanoteilchen. Auch deshalb, weil diese sozusagen zur ersten Generation der natürlich vorkommenden Nanopartikel zählten. Andre Gazso:

    "Bei Nanotechnologie reden wir nicht über diese Dinge, sondern wir reden im Grunde genommen über sogenannte 'Engineered Nanoparticles', also wirklich neue Entwicklungen, die in der Medizin oder anderswo momentan erforscht werden."

    Skepsis macht sich breit gegenüber Nanoteilchen, die Forscher auch Nanomaschinen nennen. Darunter fallen selbstständig agierende Partikel, die dem Menschen helfen können, zum Beispiel seine Leistungsfähigkeit zu verbessern. Das ist zwar Zukunftsmusik, allerdings arbeiten Forscher mit Hochdruck daran, sich Nanoteilchen medizinisch nutzbar zu machen, ohne die Risiken auch nur im Entferntesten abschätzen zu können. Professor Dieter Sturma, Direktor des Instituts für Wissenschaft und Ethik der Universität Bonn.

    "Ich denke schon, dass wir mit diesem hohen Grad der sogenannten epistemischen Unsicherheit - also der wenigen Sicherheit, die wir haben in Bezug auf die wirklichen Effekte und Funktionen, mit denen man es zu tun hat - doch neue ethische Fragestellungen aufwerfen. Wir müssen eben diese Erweiterung unserer Wirklichkeit betrachten. Also, wir erschaffen wirklich handfeste neue Prozesse, Ereignisse. Das hört sich lustig an, weil sie im allerkleinsten Bereich stattfinden. Aber unsere Zugriffsmöglichkeiten haben sich erhöht. Und ich denke schon, dass wir mit neuen ethischen Problemen umgehen müssen."

    Noch steht die Bevölkerung in Deutschland Umfragen zufolge der Nanotechnologie überwiegend positiv gegenüber, aber die Angst vor Nebenwirkungen steigt. Die meisten Forscher sind sich einig, dass die Furcht vor den Risiken nicht soweit steigen darf, dass im biomedizinischen Bereich bereits die Erprobung neuer medizinischer Möglichkeiten untersagt werden sollte.

    In Deutschland seien die Sicherheitsvorkehrungen hoch und auf die Ethikkommission sei Verlass. Sie werde dafür sorgen, dass der Forscherdrang gebremst werde, sollte er ethische Grundsätze überschreiten. Einer wie auch immer gearteten Sonderbehandlung für die biomedizinische Nanoforschung bedürfe es daher nicht. Professor Urban Wiesing, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Tübingen:

    "Ich glaube, dass viele der Risiken, die mit der Nanotechnologie verbunden sind, auch mit anderen Techniken verbunden sind. Und dass es eben Regularien gibt, die dieses Risiko soweit minimieren können, dass es noch akzeptabel ist."

    Eindringlich warnten die Forscher auf ihrem Kongress in Saarbrücken davor, Strategien zu entwickeln, die Bevölkerung von den positiven Wirkungen der Nanotechnologie unbedingt überzeugen zu wollen. Prof. Dieter Sturma:

    "Das halte ich für die falsche Fragestellung. Man sollte das völlig transparent machen. Man sollte nicht schon vom Ergebnis her irgendwelche Überzeugungsstrategien vorplanen, sondern schauen, was zugemutet werden kann - und das dann auch offen legen und das im Übrigen auch gesellschaftlich austragen."

    Nicht Überzeugung, sondern Transparenz heißt das Gebot bei der Nanotechnologie.