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Millionenfache Unzufriedenheit in Frankreich

Französische Gewerkschaften haben wieder zu Demonstrationen und Streiks aufgerufen, vor drei Jahren gingen über eine Million Menschen auf die Strasse. Stein des öffentlichen Anstoßes sind erneut die Rentenreformpläne der Regierung.

Von Ursula Welter |
    "Verantwortungsbewusst, gerecht und ausgewogen",

    nennt der französische Premierminister die Rentenreform. Jean-Marc Ayrault hatte unmittelbar nach der Sommerpause das Papier auf den Tisch gelegt, zur Überraschung Vieler bereits wenige Stunden nach den Beratungen mit den Sozialpartnern. Dass Gegenwind wehen würde, war klar. Rentenreformen haben das öffentliche Leben in Frankreich, auch unter konservativer Führung, schön häufiger lahmgelegt.

    "Die Methode, die wir gewählt haben, ist Reform durch Dialog",

    betont Präsident Francois Hollande gerne, und die Sozialisten hoffen, dass sich damit der Protest in Grenzen hält.

    "Ich verstehe die Sorgen der Franzosen",

    beruhigt der Premierminister. Aber nur ein Teil der Gewerkschaftslandschaft hat sich beruhigen lassen. Im ganzen Land sind für heute Demonstrationszüge organisiert worden, einzelne Bahnverbindungen sind gestrichen, leichte Behinderungen werden auch an den Flughäfen erwartet. An der Spitze der Bewegung die streikfreudigen Organisationen, CGT und Force Ouvrière, aber auch die größte Lehrergewerkschaft FSU und vor allem die studentische Vertretung UNEF. Emmnauel Zemmour , 25 Jahre jung, erklärt im französischen Rundfunk, warum die Studenten auf die Straße gehen wollen:

    "Weil diese Reform ungerecht ist. Ein 24-Jähriger, der heute seine Wohnung kaum bezahlen kann, kaum Arbeit findet, müsste bis 67 arbeiten, wollte er eine volle Rente bekommen. Unsere Generation trifft es besonders hart: prekäres Leben am Anfang, am Ende keine Rente durch die längeren Beitragszeiten."

    Auf 43 Jahre sollen diese Beitragszeiten steigen, allerdings erst 2035, Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen vom kommenden Jahr an höhere Beiträge entrichten.

    "Das ist keine wirkliche Reform",

    schimpft der früher Finanzminister der Ära Sarkozy, Francois Baroin. Eher ein Reförmchen, denn es fehle der Regierung an Mut, außerdem würden die Unternehmen erneut belastet, ein Punkt, der nicht zuletzt die Arbeitgeberverbände aufbringt. Auch die Bevölkerung zeigt sich in Umfragen mehrheitlich unzufrieden mit der Reform, nach den vielen Steuererhöhungen durch die sozialistische Regierung nun höhere Rentenbeiträge – das kommt nicht gut an.

    So hoffen die Gewerkschaften auf breite Unterstützung bei ihren Protestmärschen, allerdings mussten sie in den vergangenen Monaten beobachten, dass es weniger Anhänger auf die Straße zog, als gehofft:

    "Es gibt viele Gründe zu demonstrieren",

    sagt der Chef der Gewerkschaft CGT, Thiery Lepaon.

    "Erstens ist diese Rentenreform auf derselben Linie wie die der konservativen Regierung. Außerdem hat jeder einen Grund zu protestieren: Leute, die noch arbeiten, Rentner, deren Kaufkraft sinkt, und die Jungen, die länger arbeiten sollen."

    Ob es aber zu dem "anhaltenden Kräftemessen" kommen wird, das die Gewerkschaften der Regierung angedroht haben, bleibt abzuwarten.
    Für Premier und Präsident ist die Sache in jedem Fall heikel. Denn, so schrieb eine Zeitung an diesem Wochenende: Da geht die arbeitende Linke gegen die regierende Linke auf die Straße.