"Diese Dinge sind beschämend für den deutschen Fußball", sagte Mutlu, der für seine Partei im Sportausschuss des Bundestags sitzt. "Sie schaden dem deutschen Sport". Mutlu nannte die 5,5 Millionen Euro, die an Franz Beckenbauer als Organisationschef der Fußball-WM 2006 geflossen sind, eine stattliche Summe. Beckenbauers Anwälte sprachen gestern davon, dass ihm das Geld nicht für seine Arbeit gezahlt worden sei, sondern als Werbepartner für das Lotterieunternehmen Oddset, das wiederum Sponsor der Fußball-WM war.
DFB-Präsident Reinhard Grindel hatte die Zahlung gestern kritisiert. Mutlu sagte im Deutschlandfunk, er finde es gut, dass Grindel so eine klare Sprache gefunden habe, er dürfe es aber nicht bei Worten belassen. Die Versuche des DFB, sich in eine Nebenrolle zu versetzen, seien nicht hinzunehmen. Eine Aufklärungs- und Transparenzoffensive schaue anders aus. Mutlu sagte, er wünsche sich, dass Grindel bei sich im Laden die Fenster aufmache und alles mal durchlüfte.
Mario Dobovisek: Deutschland ein Sommermärchen, die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land, und der Kaiser hat sie nach Deutschland geholt: Franz Beckenbauer, die Lichtgestalt des deutschen Fußballs, damals Chef des Organisationskomitees. Auch wenn der Fluss von 6,7 Millionen Euro rund um die WM-Vergabe noch immer umstritten ist, so viel wissen wir inzwischen - oder anders gesagt, so legen es die vom Deutschen Fußballbund beauftragten Ermittler nahe: Das Geld gab es und Franz Beckenbauer ist darin verwickelt. Was wir und angeblich auch der DFB bisher nicht wussten, ist die Tatsache, dass Franz Beckenbauer für sein sogenanntes Ehrenamt im Organisationskomitee auch persönlich Geld bekommen hat, 5,5 Millionen Euro nämlich aus Sponsorengeldern für Werbung, die Beckenbauer machte für den Wettbetreiber Oddset. Das ist fast die Hälfte dessen, was der Sponsor insgesamt an den DFB überwiesen hat. Das sorgt für großen Unmut dieser Tage.
Am Telefon begrüße ich Özcan Mutlu, sportpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Mutlu.
Özcan Mutlu: Schönen guten Morgen!
Dobovisek: Schlammschlacht nennt das unser Sportkollege. Ich habe mich gestern Abend in der Vorbereitung ehrlich gesagt ziemlich schwer getan, auch nur ansatzweise zu verstehen, wer da wem wieviel Geld gezahlt haben soll. Können Sie als Sportpolitiker das noch besser nachvollziehen?
Mutlu: Nein. Ich kann nach zehn Jahren zusammenfassen, das ist eine "Neverending Story", die mit "Lügen, Vertuschung und Verschleierung" zusammengefasst werden kann. Wir haben diesen Themenkomplex dreimal schon im Sportausschuss des Bundestages behandelt. Wir haben auch viele, viele Anzuhörende gehabt, unter anderem auch den damaligen OK-Chef beziehungsweise Aufsichtsratschef Otto Schily. Und wenn ich jetzt diese neuen Enthüllungen lese, habe ich das Gefühl, man hat uns auch in diesen Sitzungen immer belogen. Man hat Dinge gewusst, aber uns das nicht mitgeteilt, und wenn Journalisten nicht investigativ an der Sache dran geblieben wären, hätten wir vielleicht diese Geschichte jetzt auch nicht erfahren. Bisher hieß es, das ist alles ein Ehrenamt gewesen. 5,5 Millionen für ein Ehrenamt, das ist eine stattliche Summe, neben den 6,7 Millionen, die über Umwege nach Katar geflossen sind, an Bin Hammam, wofür wissen wir immer noch nicht. All das sind einfach Dinge, die beschämend sind für den deutschen Fußball. Sie schaden dem deutschen Sport, weil unsere Sportfunktionäre diesen Schrecken nicht beenden. Das ist inzwischen ein Schrecken ohne Ende und jetzt die letzten Versuche vom DFB, das alles auf den Beckenbauer abzuschieben, finde ich auch nicht gerade cool.
"Ich finde es gut, dass Herr Grindel so eine klare Sprache gefunden hat"
Dobovisek: Da möchte ich mal kurz einhaken, Herr Mutlu, weil das möchte ich mir noch mal gemeinsam mit Ihnen anhören, was Reinhard Grindel, der DFB-Präsident, gestern dazu gesagt hat.
O-Ton Reinhard Grindel: "Das zeigt, dass dieses WM-OK völlig abgeschottet gearbeitet hat, intransparent, und die Öffentlichkeit teilweise auch getäuscht hat. Das verurteile ich."
Dobovisek: Das ist eine sehr scharfe Reaktion, die schärfste, die unserer Sportredaktion zum Beispiel auch in den letzten Jahren vom DFB bekannt war. Warum reicht Ihnen das nicht?
Mutlu: Nun, das ist die eine Seite der Medaille. Ich finde es gut, dass Herr Grindel so eine klare Sprache gefunden hat als neuer Präsident, und als ehemaliger Politiker weiß er sicherlich, was das noch für Kreise ziehen kann.
Dobovisek: Er saß ja in der Tat jahrelang neben Ihnen im Sportausschuss.
Mutlu: Richtig und hat mich immer wieder beschimpft, dass ich den deutschen Sport schlecht mache. Wer den deutschen Sport schlecht macht, das wissen wir heute, weil alles, was im Sommermärchen zusammen passiert ist im Hintergrund, ist einfach nur eine schreckliche Geschichte. Und Herr Grindel darf es nicht nur bei Worten belassen. Die Versuche vom DFB, dem jetzigen DFB-Präsidium, sich irgendwie in die Nebenrolle zu versetzen, ist ja einfach auch nicht hinzunehmen. Freshfields hat bestimmte Unterlagen nicht bekommen …
Dobovisek: Das muss ich noch mal erklären. Freshfields ist die Kanzlei, die vom DFB beauftragt wurde, die Affäre um die 6,7 Millionen Euro aufzuklären. Ein Report ist dabei herausgekommen, über 300 Seiten stark. Das ist ja schon mal was!
Mutlu: Ja und dieser Bericht hat fast fünf Millionen Euro gekostet und am Ende der Geschichte dachten wir, ist ja schön, ist eine gute Zusammenfassung. Aber eine Aufklärung und Transparenzoffensive schaut anders aus.
Dobovisek: Wie denn?
Mutlu: Grindel soll mal alles durchlüften
Mutlu: Auch damals hat die DFB-Führung so getan, als sei mit diesem Bericht alles abgeschlossen. Ist es aber nicht! Wir wissen inzwischen, weil auch vom Lotto- oder Oddset-Verband aus Bayern sich welche gemeldet haben, die diese Erklärung des DFB durchaus hinterfragen, dass der Herr Beckenbauer wegen diesen Oddset-Verbindungen diese Summe bekommen hat. Das sind Dinge, die immer noch ungeklärt sind, und ich wünsche mir, dass Herr Grindel jetzt nach diesen klaren Worten wirklich bei sich in dem Laden mal die Fenster aufmacht und alles mal durchlüftet. Es gibt eine Frage, die immer noch offen ist: Die ganzen DFB-Eigentumsordner, die bei Mayer-Vorfelder zuhause sind, dem ehemaligen DFB-Präsidenten.
Dobovisek: Aber offensichtlich hört ja Ihnen aus der Sportpolitik niemand im Sport oder, sagen wir, im DFB zu. Wenn Sie ja schon das Thema dreimal im Sportausschuss ausführlich behandelt haben, jetzt heute Morgen sich wieder aufregen, wird sich ja trotzdem nichts ändern.
Mutlu: Doch, es wird sich was ändern. Gott sei Dank sind Journalisten an der Sache dran geblieben und haben das alles aufgedeckt. Die Große Koalition im Deutschen Bundestag, die auch die Mehrheit im Sportausschuss bildet, hat anscheinend nicht so das große Interesse, das aufzuklären, weil auch die Kollegen mit dem Bericht von der Kanzlei Freshfields der Meinung waren, das sei jetzt erledigt alles. Wir wissen, dass es nicht der Fall ist. Ich wünsche mir, dass endlich mal diese ganze Geschichte mit einem Schrecken endet, als dass es ein Schrecken ohne Ende ist. Hätten uns Herr Beckenbauer, Herr Niersbach und auch der DFB damals im Oktober letzten Jahres, als der "Spiegel" zum ersten Mal darüber geschrieben hat, aufgeklärt und sich beim deutschen Volk entschuldigt, die immer noch ausgeblieben ist - Herr Grindel könnte sich auch als DFB-Präsident beim deutschen Fußballvolk entschuldigen für diese ganzen Lügen -, hätten wir damals die Wahrheit erfahren, dann wäre diese ganze Geschichte abgeschlossen.
"Diese Glaubwürdigkeitsdefizite können wir nur bekämpfen mit Transparenz"
Dobovisek: Haben wir aber nicht, und jetzt sind wir genau in der Situation, in der wir sind. Da möchte ich ganz kurz zum Schluss noch mal die Lupe ein bisschen weiter aufziehen, denn auf europäischer Ebene, bei der UEFA gibt es einen neuen Präsidenten seit gestern, den Slowenen Alexander Ceferin. Eine gute Wahl?
Mutlu: Das werden wir sehen. Wir haben auch bei Platini gesagt, das ist der Versuch eines Neuanfangs, und wir haben später gesehen, er ist Teil des Kartells, Teil der Sportfunktionäre, die anscheinend kein Interesse haben, dieses globale Geflecht von Korruption, Intransparenz und, wie soll man sagen, Vetternwirtschaft aufzuklären. Auch die UEFA ist in diesem Kartell. Ich erhoffe mir, dass Ceferin jetzt einen Neuanfang wagt, eine Ethik-Kommission für die UEFA einführt, mehr Frauen in das Gremium holt und tatsächlich auch Intransparenz bekämpft, weil das ist das größte Problem, womit der internationale Sport zu kämpfen hat. Diese Glaubwürdigkeitsdefizite können wir nur bekämpfen mit Transparenz.
Dobovisek: Viele Wünsche, die Sie haben, Herr Mutlu. - Özcan Mutlu, sportpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Interview.
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