Lange: Die Zunft der Völkerrechtler jubelt über die Auslieferung von Slobodan Milosevic. Das sei der große Durchbruch und man ist versucht zu fragen, geht es nicht auch eine Nummer kleiner. Frau Däubler-Gmelin, halten Sie diese Euphorie für berechtigt?
Däubler-Gmelin: Ach was heißt Euphorie. Übrigens halten es nicht nur Völkerrechtler, sondern eigentlich alle, die ein bisschen mitbekommen haben, was für ein schreckliches Unrecht und welche Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien gemacht wurden und wer sie angeordnet hat, für richtig, dass Herr Milosevic sich vor diesem rechtstaatlichen Gericht in Den Haag verantworten muss. Aber wie gesagt bin ich der Meinung, wir werden noch einen weiten Schritt zu machen oder noch viele Schritte, damit insgesamt der internationale Gerichtshof zum laufen kommt und dann auch völlig klar ist, dass das Recht des Stärkeren nicht mehr gilt, sondern die Stärke des Rechts. Das heißt, dass jeder Folterer und Menschenrechtsverletzer sich nicht mehr hinter den nationalen Schranken verstecken kann.
Lange: Ist Milosevic aber im Grunde nicht ein Sonderfall? Jemand hat politisch abgewirtschaftet und schadet allein durch seine Gegenwart seinen Nachfolgern. Die sind auf massive Finanzspritzen angewiesen. Diese Konstellation die gibt es doch nicht so oft?
Däubler-Gmelin: Das ist die politische Seite. Über die politische Seite ist ja auch viel geredet worden. Das finde ich juristisch auch ganz vernünftig. Sie haben ja darauf hingewiesen, Milosevic ist auch ein Jurist und er hat die Gründung des internationalen Jugoslawien-Strafgerichtshof mit unterschrieben. Die juristische Seite ist eine andere. Der Haftbefehl gegen ihn besteht seit langem. Er hat natürlich gemeint, dadurch, dass er jetzt die politische, und zwar die innenpolitisch schwierige Situation in dem Land, das er so grauenvoll zu Grunde gerichtet hat, ausnutzt, und zwar für sich ausnutzt, käme er ohne strafrechtliches Verfahren davon. Na ja, bei seinen von ihm selbst eingerichteten oder eingesetzten Richtern hätte er vielleicht noch eine Chance gehabt. Vor dem internationalen Strafgerichtshof wird er behandelt wie jeder andere Beschuldigte: fair, aber nach dem, was man dort an Statuten vereinbart hat. Selbstverständlich muss er sich für das, was er getan hat, verantworten und das ist ja nicht wenig.
Lange: Inwieweit beschädigen eventuell die Umstände seiner Auslieferung dieses Verfahren? Er ist an der Justiz vorbei ausgeliefert worden, ohne Berufungsinstanz, ohne rechtliches Gehör. Kann das unter Umständen einen Rückschlag für dieses Verfahren geben?
Däubler-Gmelin: Da bin ich gar nicht so ganz sicher. Schauen Sie, da wird jetzt viel gerätselt. Ich bin der Meinung, dass man sicher auch auf diese politische Seite schauen sollte. Nur interessant ist – und das wird ja der gesamten Öffentlichkeit aufgefallen sein –, dass Milosevic sich gestern darauf gar nicht berufen hat. Sie haben selber in Ihrer Eingangsmoderation gesagt, dass er nicht etwa bestritten hat, dass er zurecht dort festgenommen wurde, sondern er hat gesagt, das Gericht sei nicht rechtmäßig. Damit liegt er natürlich völlig falsch. Ob jetzt innerserbisch oder jugoslawisch diese Verfassungsbestimmung, auf die sich die Handelnden in Serbien berufen haben, besteht oder nicht, das will ich gar nicht beurteilen. Aber interessant für mich war, dass Herrn Milosevic selbst, der ja nun auch diese Verfassungsbestimmung damals geschaffen hat, auf die sich jetzt seine Nachfolger, und zwar demokratisch gewählten Nachfolger berufen haben, das nicht mehr bestritten hat.
Lange: Das Völkerrecht ist ja immer noch eine etwas zweifelhafte Angelegenheit, weil es nicht für alle in gleicher Weise gilt. Weder der indonesische Exdiktator Suharto und nicht mal Idi Amin aus Uganda sind jemals vor einem internationalen Tribunal gelandet, weil der politische Wille einfach nicht da war. Das kann doch langfristig auch nicht so bleiben?
Däubler-Gmelin: Nein, Herr Lange, nicht das Völkerrecht ist zweifelhaft. Das ist Gott sei Dank nicht der Fall, sondern die Durchsetzung durch die nationalen Staaten die ist bisweilen noch zweifelhaft. Das heißt es ist völlig klar, dass mit der Errichtung des internationalen Strafgerichtshofs hier gilt, dass Folterer, Menschenrechtsverletzer, Massenvergewaltiger und zum Beispiel auch Leute, die wie Herr Milosevic sich groß getan haben, hundert Tausenden von Leuten vorzuschreiben, dass sie das Land zu verlassen haben und ihr Eigentum kaputt zu machen – ethnische Säuberung hat man das damals netterweise genannt –, dass diese Leute nicht mehr darauf zählen können, sie würden ein Regime finden, nämlich im Zweifel ihres, das sie schützt, sondern dass sie sich vor einem internationalen Gericht verantworten müssen. Das Problem ist, dass wir, weil es eben heute eine Durchsetzungsbehörde auf globaler Ebene nicht gibt – vielleicht wird es sie in Zukunft geben –, damit rechnen müssen, dass nicht alle und nicht alle sofort ausgeliefert werden. Es wäre ja auch nicht verständlich, warum solche Schlächter wie Karadzic und Mladic, obwohl sie schon lange per Haftbefehl gesucht sind, noch nicht in Den Haag sind. Sie haben völlig Recht: Es gibt eine ganze Reihe von außerordentlich problematischen Menschenrechtsverletzungen auf der Welt, die in der Tat verfolgt werden müssen. Gerade deshalb setzt die Bundesrepublik so enormen Nachdruck darauf, dass der internationale Strafgerichtshof, und zwar der permanente, der dann ständig besteht, sehr schnell zum arbeiten kommen kann.
Lange: Bislang haben sich ja vor allem die USA gesperrt, das Abkommen über diesen Gerichtshof zu ratifizieren. Wird durch den Fall Milosevic der Druck auf Washington größer, sich dort zu bewegen?
Däubler-Gmelin: Aber ja, und zwar einfach deswegen, weil zu der politischen Seite, die Sie vorhin erwähnt haben, gehört natürlich auch der Einfluss der Amerikaner. Übrigens halte ich das in diesem Fall für völlig richtig. Nur selbstverständlich kann das nicht so funktionieren, dass man sagt, man ist zwar prinzipiell für internationale Gerichte, ist aber nicht der Meinung, dass es das eigene Land prinzipiell betreffen darf. Der Punkt ist vielmehr der: Jedes, auch jedes starke Land muss sich am römischen Statut nicht nur durch Zeichnung beteiligen, sondern auch dadurch, dass es sagt, im Zweifel gilt es auch gegen mich. Die Amerikaner haben – das haben wir im LaGrand-Fall gesehen, den wir jetzt gerade vorm internationalen Gerichtshof in Den Haag gewonnen haben – ja immer Probleme, hier über sich selber diese Autorität des globalen Rechts anzuerkennen. Da muss man mit ihnen, übrigens auch mit China, die diese Probleme haben, eben noch sehr klar und unter Freunden und sehr deutlich reden.
Lange: Könnte es sein, dass dieser Widerstand auch darin begründet liegt, dass dann eine ganze Reihe ehemaliger enger Verbündeter aus Lateinamerika am Haken des Gerichts wären?
Däubler-Gmelin: Da bin ich gar nicht so sicher, weil wenn Sie die Vereinigten Staaten und ihre offizielle Menschenrechtspolitik sehen, dann kann man sie dessen nicht bezichtigen, sondern in den USA selber ist das Menschenrechtsbewusstsein sehr stark, jedenfalls wenn man die Politik anschaut. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass man dort – das zeigt ja jetzt auch die Forderung oder die Anregung der Vereinigten Staaten für einen Strafgerichtshof für Sierra Leone, wo es auch erhebliche schreckliche Verbrechen gibt – dieses zwar durchaus will, aber nicht für sich selbst. Der Schritt des Rechtes bedeutet eben, dass es für und gegen alle gilt, deswegen auch für die Vereinigten Staaten. Auf dieser Grundlage hat ja nun auch die Europäische Gemeinschaft nochmals die Verhandlungen mit den USA aufgenommen. Wir machen das auch weiter und wir werden jetzt im September, wenn in New York wieder darüber geredet wird, sehr deutlich mit den USA darüber sprechen.
Lange: Wenn dieser Fall Milosevic, wie er jetzt behandelt wird, tatsächlich der Beginn einer neuen Ära ist, was bedeutet das dann für die künftige Außenpolitik? Muss eine demokratische Regierung im Grunde dann doch mal die Finger von all diesen zweifelhaften Gestalten der internationalen Politik lassen? Die könnten ja alle mal vor Gericht landen.
Däubler-Gmelin: Zunächst einmal müssen diese zweifelhaften Gestalten das Verletzen der Menschenrechte sowie das Foltern und ethnische Säubern sein lassen. Das heißt dann ist der Zustand erreicht, wo auf globaler Ebene gilt: es kann sich kein Folterknecht mehr hinter nationalen Grenzen verstecken. Übrigens demokratische Rechtsstaaten – und das muss man in Bezug auf die Bundesrepublik sagen, aber auch auf die USA, die selbstverständlich dieses Recht für und gegen sich anrechnen – brauchen überhaupt keine Sorge zu haben, weil bei uns sind diese Menschenrechtsverletzungen genauso verboten wie sie nach dem nationalen Strafrecht der USA verboten sind. Bei uns funktionieren die Gerichte auch. Das heißt wir hätten gar kein Problem damit. Um so unverständlicher ist es, was im Augenblick die Vereinigten Staaten möglicherweise deshalb, weil sie sich halt in einer Sonderrolle sehen, hier noch für sich in Anspruch nehmen.
Lange: Frau Däubler-Gmelin, das was man bisher bei uns immer als kritischen Dialog beschrieben hat, im Verhältnis zu China oder im Verhältnis zum Iran, was ja manchmal auch so eine Art von Apeacement war, das könnte dann auch als Beihilfe ausgelegt werden?
Däubler-Gmelin: Ja, ist aber nicht so, sondern lassen Sie mich einfach sagen, 139 Staaten haben bisher das Statut, also für den internationalen Gerichtshof gezeichnet, zuletzt Schweden am 28. Juni, wir natürlich auch. Es sind 36, die ratifiziert haben. 60 Ratifikationen sind nötig, damit der Gerichtshof zu arbeiten beginnen kann. Bis dahin sollte wie ich meine jedes demokratisch-rechtstaatliche Land mit einer klaren rechtstaatlichen Tradition der Meinung sein, es hat jetzt seine inneren Diskussionen überwunden und tritt bei.
Lange: Noch einmal die Frage nach der Außenpolitik. Das Verhältnis zu menschenrechtsverletzenden Regimen, die man auf der internationalen Ebene immer noch von gleich zu gleich behandelt, kann das dann so bleiben?
Däubler-Gmelin: Nein, natürlich nicht, aber Menschenrechtsverletzungen oder Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen sind heute schon – lassen Sie uns das nicht vergessen – gerade auch im politischen Bereich immer auf der Tagesordnung. Da gibt es die Menschenrechtskommission, die die Berichte schreibt. Da achten übrigens gerade Staaten wie die Vereinigten Staaten darauf, dass andere keine Menschenrechtsverletzungen begehen. Gerade deswegen kann und darf man ihnen auch nicht unterstellen, sie seien in dieser Frage lax. Das heißt die Menschenrechte sind politisch ein immer stärkeres Argument geworden, weil halt jeder sieht, ohne Menschenrechtsverletzungen kann Frieden und Miteinander einfach leichter hergestellt werden. Außerdem ist es auch eine Frage der Gerechtigkeit, dass man Unrecht verfolgt.
Lange: Was ist Ihre zeitliche Vorstellung? Wann wird dieser Strafgerichtshof arbeitsfähig sein?
Däubler-Gmelin: Wenn es sehr schnell und sehr gut geht in eineinhalb bis zwei Jahren. Wenn es etwas länger dauert täte mir das leid, aber dann würde es etwa drei oder dreieinhalb Jahre in Anspruch nehmen. Wichtig ist, dass man dann einen ständigen Gerichtshof hat mit Regeln, auf die man sich verfahrensmäßig global geeinigt hat. Das ist ja nun der wirkliche Erfolg der Arbeit der vergangenen Jahrzehnte, dass alle dabei waren bei der Aufstellung dieser fairen Strafverfolgungsregeln und natürlich auch bei der Vereinbarung der Tatbestände, wie wir Juristen sagen, also dessen, was eine verfolgungswürdige Tat, ein Verbrechen zum Beispiel der ethnischen Säuberung, der Folterung oder auch von Menschenrechtsverletzungen oder Kriegsverbrechen ist.
Lange: In den „Informationen am Morgen“ war das Herta Däubler-Gmelin, die Bundesjustizministerin. – Herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio