Die Straße Richtung Westen verläuft immer an der Küste entlang. Hierhin kommen nur wenig Touristen. Im "Wilden Westen" Nordzyperns wie die Insulaner diese Gegend auch nennen, leben die Bewohner hauptsächlich von der Landwirtschaft. Das Meer ist in Sichtweite, die Strände sind menschenleer. Mitten im "Wilden Westen" liegt Korrucam, das Dorf der Maroniten. Beliebter Treffpunkt ist das Gemeindehaus im Zentrum.
Auf der von Weinranken beschatteten Terrasse des Gemeindehauses vertreiben sich einige Männer die Zeit mit dem Brettspiel Tavla, der türkischen Variante von Backgammon. Sie sind mit einer Leidenschaft dabei, als ginge es um Leben und Tod. Völlig unbeeindruckt dösen Dorfköter im Schatten des Hauses. Zwei UNO-Laster parken um die Ecke und laden Versorgungsgüter aus. Antonis Haji Roussos ist auf einen türkischen Kaffee vorbeigekommen
"Früher hatte unsere maronitische Gemeinde 60 Dörfer. Nur noch vier sind übrig geblieben. Meine Familie lebt schon seit mehr als über 1.000 Jahren auf Zypern."
Maronitische Gemeinde von Korucam
Antonis leitet die maronitische Gemeinde - eine Minderheit auf Zypern. Die Maroniten sind katholische Christen, benannt nach ihrem Anführer, dem heiligen Maron. Von den orthodoxen Christen einst wegen ihres Glaubens verfolgt, flüchteten sie nach Syrien und in den Libanon. Dort ist noch heute der Hauptsitz der Gemeinde. Durch die Kreuzzüge gelangten die Maroniten auch nach Zypern. Mehr als 50.000 von ihnen kämpften als Bollwerk der Christenheit gegen die Osmanen - erfolglos.
Nach Verfolgung und Vertreibung zählt die maronitisch-zyprische Gemeinde heute nur noch wenige tausend Mitglieder. Ein herber Schlag für die Gemeinde war auch die Teilung der Insel. Seither liegen einige ihrer Dörfer in der sogenannten Pufferzone, der Grenzstreifen, der Zypern teilt.
"Dieses Dorf und Karpascha, ein anderes, kleines Dorf, sind bewohnt. Die restlichen beiden Ortschaften, Santa Marina und Somators, haben die Türken in Militärcamps verwandelt. Dort kommt man nicht hinein. In Santa Marina lebte zum Schluss nur noch eine alte Frau. Sie weigerte sich, wegzuziehen, weil sie jeden Tag in die Dorfkirche gehen wollte. Man ließ sie gewähren. Aber letztes Jahr ist sie gestorben."
Auf den ersten Blick unterscheidet sich Korucam nicht von anderen Dörfern Nordzyperns. Mit einer Besonderheit: hier leben ausschließlich Maroniten. Die Aufgabe des Gemeindevorstehers Antonis ist, die Gemeinde zusammen und am Leben zu halten. Dazu wurden eine maronitische Grundschule und ein Altersheim gebaut, Sportvereine für die Jugend gegründet und vieles mehr. Doch gegen eine Entwicklung ist auch Antonis Haji Roussos machtlos.
"Das Einzige, was wir nicht verhindern können, ist die Assimilation. 80 Prozent unserer jungen Leute leben in gemischten Ehen - mit Türken und Griechen. Gegen die Liebe bist du einfach machtlos."
Treffpunkt Gottesdienst
An den Wochenenden ist die Kirche in Korucam voll. Dann kommen die Kinder, Enkel und Verwandte zu Besuch. Man trifft sich zum Gottesdienst. Die Kirche ist so mächtig, als wollte das Gotteshaus das ganze Dorf beschützen.
Die Sprache der Liturgie ist aramäisch, die traditionelle Sprache der Maroniten. Würde Jesus nach Korucam kommen, könnte er sich ohne Probleme mit den Menschen unterhalten.
(O-Ton auf aramäisch)
Was auf Deutsch ungefähr heißt: Wir kommen aus dem Libanon und sind sehr stolz, Maroniten zu sein. Wir lieben unser Dorf und unsere Traditionen. Aramäisch ist vom Aussterben bedroht. Die junge Generation lernt sie nicht mehr. Doch Antonis hat Verbündete gefunden.
"Es ist keine geschriebene, sondern nur eine gesprochene Sprache. Zum Glück gibt es einen Professor von der Universität Jerusalem. Er kam in unser Dorf, wir haben ihm Aramäisch beigebracht, und er hat alles in ein Wörterbuch geschrieben. Nun können unsere Grundschüler die Sprache besser lernen. Auch die Regierung bietet nun Aramäisch-Kurse in neun öffentlichen Instituten an."
Unterstützung vom Vatikan
Um sich gegen die orthodoxen Christen und Muslime zu behaupten, müssen die Maroniten auf Zypern klug taktieren. Das war schon immer so. Antonis ist zwar für seine Volksgruppe als Abgeordneter im Parlament Nordzyperns vertreten, doch politisch mitbestimmen darf er bis heute nicht. Da sind andere Allianzen von Nutzen.
"Der Vatikan unterstützt uns wegen unserer Religion und der Libanon, weil er unser Heimatland ist. Die Botschafter von Frankreich und Italien sind oft zu Besuch. Wir haben ein besonderes Sonntagsprogramm für Botschafter ins Leben gerufen. Sie kommen in unsere Dörfer und besuchen den Gottesdienst. Wir sprechen über unsere Probleme, und darüber, was uns bewegt. Auch die UN ist ziemlich oft hier. Aber sie hat keine Entscheidungsgewalt."
Antonis Haji Roussos wird weiter für die maronitische Gemeinschaft und sein Dorf kämpfen – schlitzohrig und mit seinen Mitteln. Obwohl es im muslimisch geprägten Norden eigentlich verboten ist, die Kirchenglocken zu läuten, erklingen sie in Korucam, im Dorf der Maroniten, trotzig zweimal am Tag - wie seit Jahrhunderten.