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Minderjährige Flüchtlinge
"Die Jugendhilfe kann versuchen, sie zu erreichen"

Wenn minderjährige Flüchtlinge oder andere Jugendliche straffällig werden, müssten sich darum nicht die Kommunen kümmern, sondern die Strafverfolgungsbehörden, sagte Thomas Meysen vom Institut für Jugendhilfe im Dlf. Kommunen könnten wenig ausrichten. Erfolgsversprechend seien Streetwork oder Pflegefamilien.

Thomas Meysen im Gespräch mit Sina Fröhndrich |
    Ein afghanischer Flüchtling sitzt am 13.07.2016 im Garten eines Heims für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge in Döberkitz bei Bautzen (Sachsen).
    Ein afghanischer Flüchtling im Garten eines Heims für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge in Döberkitz bei Bautzen (Sachsen) (picture alliance / dpa / Oliver Killig)
    Sina Fröhndrich: Die Stadt Mannheim setzt einen Hilferuf ab. In der Stadt falle eine kleine Gruppe minderjähriger Flüchtlinge auf, diese verübten Straftaten und die Stadt könne sie nicht zur Rechenschaft ziehen. Es sind Einzelfälle – das nimmt auch der Städte und Gemeindetag wahr, aber diese Einzelfälle stellten die Kommunen vor eine große Herausforderung, sagte Gerd Landsberg heute Morgen in diesem Programm – darüber habe ich mit Thomas Meysen vom Deutschen Institut für Jugendhilfe gesprochen, Herr Meysen, 15 Jugendliche Flüchtlinge in Mannheim sorgen für Ärger und zugleich ist von Staatsversagen die Rede – ist das übertrieben?
    Thomas Meysen: Auch 15 Jugendliche können natürlich schon in einer Stadt für viel Aufsehen sorgen. Und wenn dann eine Kommune Hilferufe aussendet, das kann ich nachvollziehen. Aber Staatsversagen ist natürlich schon ein sehr großes Wort.
    Fröhndrich: Was ist denn das Problem? Die Städte sagen, ihnen seien die Hände gebunden. Worin liegt denn das Problem genau, dass sie gegen solche Unruhestifter keine Reaktionsmöglichkeit haben?
    Meysen: Das ist keine Aufgabe der Kommunen. Wenn Jugendliche Unruhe stiften, häufig mit Delinquenz, mit Straftaten, dann ist das eine Sache der Strafverfolgungsbehörden, und da ranzukommen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe für die Strafverfolgungsbehörden. Und die Kommunen können nur begrenzt was machen. Die Jugendhilfe kann versuchen, die Jugendlichen zu erreichen.
    "Es ist schwierig, Sozialarbeiter zu finden"
    Fröhndrich: Passiert das denn? Sind die Kommunen denn da personell gut ausgestattet, auch um dort einen Vormund für Flüchtlinge zu bestellen?
    Meysen: Die Kommunen werben aktiv und manche Kommunen sind gut ausgestattet. Andere Kommunen knapsen. Vormünder sind manchmal diejenigen, wenn man nicht mehr weiter weiß. Der Vormund soll es richten. Aber der Vormund ist ja derjenige, der bestimmen soll, und oftmals sind diese Jugendlichen genau diejenigen, die auf niemanden mehr hören. Da sind eher Hilfezugänge, Streetwork und solche Dinge Erfolg versprechender mitunter, oder aber auch Einzelmaßnahmen, dass sie dann irgendwo in eine Pflegefamilie kommen, die das aushalten.
    Fröhndrich: Jetzt sagt der Städte- und Gemeindebund, dass es zum Teil immer schwieriger sei, Sozialarbeiter zu finden, die bereit seien, kriminell gewordene jugendliche Flüchtlinge zu betreuen. Wie sehen Sie das denn? Ist das schwierig?
    Meysen: Es ist schwierig, Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen zu finden. Es gibt einen Fachkräftemangel. Das ist nicht leicht und es betrifft alle Felder. Das betrifft auch die Vormundschaft. Die Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe, da kämpfen wir. Das kennen wir auch aus der Pflege und allen anderen Sozialberufen. Das ist ein Problem, das wird bundesweit rauf und runter diskutiert.
    Fröhndrich: Welche Rolle spielt denn da die Bezahlung von Sozialarbeitern?
    Meysen: Die Bezahlung von Sozialarbeitern ist kein Anreiz, in dieses Berufsfeld zu gehen. Da sind andere Anreize.
    "Wir haben aber noch ein Stück Weg vor uns"
    Fröhndrich: Was glauben Sie denn, wie groß ist denn das Problem eigentlich überhaupt, dass minderjährige Flüchtlinge hier auf die schiefe Bahn geraten, oder aber vielleicht sogar auch als Unruhestifter hier nach Deutschland gebracht werden?
    Meysen: Das gibt es, ist aber kein großes Problem. Wir haben sehr viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Diese Jugendlichen kommen hier ganz überwiegend hoch motiviert an. Dann gibt es Probleme bei manchen, wenn sie ausgebremst werden, wenn sie erst mal irgendwo geparkt sind und sich nicht betätigen können, ihren Elan nicht ausleben können. Das ist ein häufiges Phänomen. Da waren wir gerade in der Anfangszeit, als es so viele waren und wir noch nicht vorbereitet waren. Da haben wir Schwierigkeiten gehabt. Da werden wir gerade besser in Deutschland, direkt Angebote zu machen. Und das andere ist, dass manche tatsächlich hier herkommen, schnelles Geld verdienen wollen, nach Hause schicken wollen, weil sie es versprochen haben, und da empfänglich sind für Menschenhandel, für Ausbeutung. Das ist ein Phänomen und ein Problem, da sind die Strafverfolgungsbehörden gefragt, an die Hintermänner zu kommen.
    Fröhndrich: Inwieweit sind da die Behörden hier auch gefragt in Bezug auf die Flüchtlinge, auf die minderjährigen Flüchtlinge, dass man ihnen sehr schnell auch Angebote macht, dass sie sehr schnell Sprachkurse bekommen, vielleicht noch mal in die Schule gehen oder dann einen Zugang zur Ausbildung bekommen? Was müssen wir da noch tun, um die Flüchtlinge schneller hier zu integrieren, vor allem die minderjährigen Flüchtlinge?
    Meysen: Ja, da ist die Kinder- und Jugendhilfe gefragt. Was wir sicherlich noch besser machen können ist zu akzeptieren, dass sie mit konkreten Vorstellungen hier ankommen und zu versuchen, ihre Vorstellungen zu verwirklichen. Wenn wir sagen, Du solltest aber noch in die Schule gehen, Du solltest eine Ausbildung machen, da verdienst Du noch nicht viel, und die sagen, ich möchte Geld verdienen, weil ich habe versprochen, meiner Familie das zu schicken, das zu akzeptieren und überlegen, wie kann man die Bildung und den Wunsch, Geld zu verdienen, miteinander verbinden. Da sind wir manchmal noch nicht beieinander. Aber wir machen Fortschritte; wir haben aber noch ein Stück Weg vor uns.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.