Als Konsequenz aus dem Olympia-Skandal um die 15 Jahre alte Eiskunstläuferin Kamila Walijewa drängt das IOC die Weltverbände zur Prüfung eines generellen Mindestalters im Spitzensport. "Diese Fragen müssen angegangen werden", sagte IOC-Präsident Thomas Bach. Auch die Welt-Anti-Doping-Agentur müsse den Umgang mit Minderjährigen und ihrem Status der "geschützten Person" überprüfen.
Gibt es ein Mindestalter bei Olympischen Spielen?
Nein. Das IOC überlässt es den einzelnen internationalen Fachverbänden, darüber zu entscheiden, wie alt Athleten und Athletinnen sein müssen. In der Leichtathletik zum Beispiel dürfen nur Erwachsene starten. Im Turnen müssen die Teilnehmenden mindestens 16 Jahre alt sein. Allerdings gab es zum Beispiel bei den Olympischen Sommerspielen in Peking 2008 den Verdacht, dass die chinesischen Turnerinnen jünger waren.
Diskussionen um eine Altersgrenze gibt es immer wieder, auch im Eiskunstlauf. Bei den Spielen 2014 in Sotschi gewann die Russin Julia Lipnizkaja als damals 15-Jährige als jüngste Eiskunstläuferin Team-Gold. Drei Jahre später beendete sie ihre Karriere wegen Magersucht. Die heute 19-jährige Alina Sagitowa, die im Alter von 15 Jahren 2018 in Pyeongchang Einzel-Gold holte, tritt schon seit längerem nicht mehr bei Wettkämpfen an.
Worum es im Fall Kamila Walijewa geht
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Der Eislauf-Weltverband ISU will auf seinem Kongress im Juni über ein Mindestalter von 17 Jahren abstimmen, und auch das IOC gibt sich inzwischen offen für eine Diskussion. "Wir haben angefangen, in der Exekutive darüber nachzudenken", sagte Präsident Bach: "Es gibt Themen, die besprochen werden müssen, die betreffen Minderjährige in Wettbewerben von Erwachsenen."
Denn es gibt bereits einen Wettbewerb für Jugendliche: Die Youth Olympic Games, die Olympischen Jugendspiele, die ebenfalls alle vier Jahre stattfinden. Hier müssen die Teilnehmenden zwischen 14 und 18 Jahre alt sein.
Welche anderen Minderjährigen standen bisher bei Olympischen Spielen im Fokus?
Teenager und sogar Kinder bei Olympischen Spielen haben eine lange Geschichte. Zu Zeiten des Kalten Krieges wurden Kinder zu Höchstleistungen gedrillt, in Ländern wie China ist es heute noch so.
In Tokio 2021 gingen in mehreren Wettbewerben Jugendliche an den Start. Im Skateboard-Wettbewerb dominierten sie sogar: Gold ging an die zu diesem Zeitpunkt 13-Jährige Momiji Nishiya (Japan), die zusammen mit Silbermedaillengewinnerin Rayssa Leal (Brasilien) und Funa Nakayama (Japan) das jüngste Podest der Olympiageschichte bildete (insgesamt 42 Jahre). Auch die 14-jährige Skaterin Deutsche Lilly Stoephasius war in Tokio dabei.
Die Britin Cecilia Colledge gilt mit elf Jahren und 73 Tagen als jüngste Teilnehmerin der Olympischen Spiele. Die Eiskunstläuferin startete 1932 in Lake Placid und wurde Achte. Auch Deutschland hat mit Schwimmerin Franziska van Almsick ein prominentes Beispiel: Sie holte mit 14 Jahren mehrere Silber- und Bronzemedaillen bei ihren ersten Olympischen Spielen 1992 in Barcelona.
Fall Walijewa ist nur ein Beispiel für die Problematik im Eiskunstlauf
Kamila Walijewa, die im Alter von drei Jahren mit dem Eiskunstlauf begann, gilt in ihrer Heimat als "Wunderkind". In Sankt Petersburg und Moskau wurden nach dem Dopingverdacht während der Olympischen Spiele die Litfaßsäulen mit Botschaften wie "Wir stehen zu dir" und Bildern von Walijewa beklebt. Wie muss das auf eine 15-Jährige wirken?, fragt Jessica Sturmberg im Players-Podcast. "Da ist großer Stolz, aber auch großer Druck, liefern zu müssen. Gesund ist das sicher nicht".
Players-Podcast: Kinderdoping bei Olympia?
Bei älteren Sportlerinnen und Sportlern sei es Konsens, dass diese Entwicklung weder dem Eiskunstlauf noch den jugendlichen Mädchen gut tue, sagte der sportpolitische Experte der Tageszeitung FAZ, Christoph Becker, am 18.2. im Dlf.
Die Russen hätten es sich sozusagen zum "Geschäftsmodell" gemacht, mit sehr jungen Mädchen, die aufgrund ihrer Prä-Pubertät körperlich dafür prädestiniert sind, Vierfachsprünge zu machen und damit Medaillen abzuräumen. "Eiskunstlauf ist ein großer Sport in Russland, dort finden wesentliche Wettkämpfe statt." Russland habe einen großen Einfluss auf den Weltverband, die Internationale Eislaufunion ISU. Ob ein Weltverband ein Mindestalter einführe, hänge mit den Strukturen, dem Machtgefüge und natürlich auch der jeweiligen Sportart zusammen.
Olympia-Bilanz Christoph Becker, FAZ: "So schlimm, wie zu befürchten war"
Zudem habe das IOC ein gewisses Interesse an den jugendlichen Kinderstars, so Becker: "Das IOC hat erkannt, dass es mit linear ausgestrahlten TV-Übertragungen den Zug in die Zukunft verpasst." Für andere Plattformen brauche es bestimmte Sportarten und bestimmte junge Sportler. Dabei gebe es aber einen deutlichen Unterschied zwischen 13-jährigen Skatern und dem offensichtlich gesundheitsschädlichen Eiskunstlauf und den Trainings-Bedingungen, denen die jungen Mädchen in Russland ausgesetzt seien.
Sportanwalt Lehner: "Leistungssport unter 16 ist Kindesmissbrauch"
Auch Sportanwalt Michael Lehner betonte am 14. Februar im Dlf die Wichtigkeit der Diskussion einer Altersgrenze bei Olympia. "Was für einen Sport wollen wir? Ich persönlich mag so einen Sport nicht, der Kinder ausbeutet und ausnutzt zum Wohl anderer." Ihm täten die Sportlerinnen und Sportler leid, die ihre Kindheit für den Sport hergäben und als Erwachsene oft schwere Schicksale als Folge erleiden würden.
Sportanwalt Michael Lehner: Diskussion um Altersgrenze wichtig
Leistungssport unter 16 Jahren sei Kindesmissbrauch. "Denn wenn ich dem Kind die Kindheit nehme, es unmenschlichen Dingen aussetze - wir kennen da ja aus dem Kunstturnen und dem Eiskunstlauf eben auch - ist das für mich kein Sport, dem ich begeistert zuschauen und unterstützen kann." Michael Lehner ist auch Vorsitzender der Doping-Opfer-Hilfevereins DOH.
Quellen: WADA, IOC, RUSADA, dpa