Dirk Müller: Für die Große Koalition war seit Beginn an klar: In Deutschland wird ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt, flächendeckend. Das war schließlich die Bedingung der SPD schlechthin für das ganze Regierungsbündnis. Jetzt geht es darum, das Ganze umzusetzen. Fest steht lediglich der Mindesttarif: 8,50 Euro pro Stunde soll es geben. Aber welche Beschäftigten werden von dieser Untergrenze ausgenommen? Andrea Nahles, als Ministerin dafür zuständig, schlägt nun vor, dass die Beschäftigten zumindest 18 Jahre alt sein müssen, eben mit der Schule fertig sein müssen, bevor sie sich den Mindestlohn verdienen können. Viel zu wenig an Ausnahmen, beschweren sich die Unternehmer. Ihr Widerstand wird immer größer gegen die Pläne der Arbeitsministerin, ebenso der Widerstand innerhalb der Unions-Fraktion.
Von der Energiepolitik zum Mindestlohn – unser Thema jetzt mit Carsten Sieling, der neue Sprecher der parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
Carsten Sieling: Guten Morgen!
Müller: Herr Sieling, sind beim Mindestlohn alle gleich?
Sieling: Am Ende müssen alle gleich sein. Natürlich! Wir brauchen einen einheitlichen Arbeitsmarkt und wir brauchen diesen Mindeststandard in Deutschland.
Müller: Egal wie alt, egal wie ausgebildet?
Sieling: Der Vorschlag von Andrea Nahles, zu sagen, wir machen eine Grenze mit 18, der ist ja ganz vernünftig, weil er darauf abzielt, diesen Aspekt der Berufsausbildung weiter zu stärken. Und im übrigen ist es so, dass natürlich das Alter, wann man richtig in den Arbeitsmarkt geht, na das geht doch nach 18 erst los.
Müller: Das heißt, der 16jährige, der dieselbe Arbeit verrichtet, ist nicht gleich?
"18 ist im deutschen Recht verankert"
Sieling: Doch, er ist gleich. Aber er kann hier in der Tat anders behandelt werden, weil er natürlich auch übrigens unter das Jugendarbeitsschutzgesetz fällt, was auch die Grenze 18 hat. Also 18 ist nicht willkürlich, sondern 18 ist im deutschen Recht verankert und ist auch deshalb eine vernünftige Grenze. Unter 18 hat man weitere Ausnahmen, man hat mehr Urlaub, man darf nur eine bestimmte Stundenzahl arbeiten und so weiter und so fort.
Müller: Also würde er auch weniger verdienen?
Sieling: Er muss nicht zwangsläufig weniger verdienen. Wir setzen natürlich darauf, dass der Mindestlohn am Ende auch Standards setzt. Das wird übrigens auch so sein, das zeigt sich ja in den anderen Ländern auch. Und die Zahl derer, die unter 18 sind, ist nicht so berauschend groß.
Müller: Das wäre eine Ausnahme. Da sagen Sie jetzt auch in Ihrer neuen Funktion als Sprecher der parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, das geht in Ordnung, das hat Andrea Nahles richtig gemacht. Ist das die letzte Ausnahme, der Sie zustimmen?
Sieling: Ja das hat sie deshalb übrigens richtig gemacht, weil man natürlich sagen muss, wir sind in einer Koalition, wir brauchen auch eine gesellschaftliche Mehrheit und wir sehen ja den Gegenwind. Das Entscheidende ist, dass der Mindestlohn jetzt auf den Weg gebracht wird, und dieses ist in der Sache begründbar und wird keine Verletzung des Grundprinzips auf den Weg bringen. Ich hoffe darauf, dass es keine weiteren Ausnahmen gibt.
Müller: Da würden Sie auch nicht mitmachen?
Sieling: Das wird man sehen, was genau vorgeschlagen wird. So was Definitives jetzt hier zu sagen, ist schwierig. Aber jedenfalls würden wir sicherlich seitens der SPD-Bundestagsfraktion sehr, sehr darauf dringen, dass man vor allem nicht für einzelne Berufsgruppen oder ähnliche Dinge jetzt was auf den Weg bringt.
Müller: Oder Statusgruppen, Praktikanten. Sollen Praktikanten 8,50 Euro verdienen?
Generation Praktikum muss 8,50 Euro bekommen
Sieling: Da ist an der Stelle der Koalitionsvertrag klar. Das ist auch vorher beredet worden. Wer ein Praktikum macht, was in seinen Ausbildungsgang gehört – heute verlangen das viele Studien -, der unterfällt natürlich nicht der 8,50-Euro-Regelung. Wer allerdings in die Generation Praktikum nach dem Studium, nach einer Berufsausbildung, nach wer weiß was geschickt wird, der ist normaler Arbeitnehmer und wird ja auch von den Unternehmen deshalb eingesetzt und muss deshalb 8,50 Euro bekommen.
Müller: Jetzt bewerben sich ja beispielsweise viele Politik- oder auch Wirtschaftsstudenten im Bundestag für ein Praktikum, bei Ihnen in der Fraktion, in der SPD-Fraktion. Wenn der jetzt zu Ihnen kommt, 6. Semester, kurz vor dem Bachelor, Praktikant, dann bekommt er keine 8,50 Euro?
Sieling: Ich habe selber auch Praktikanten und da gibt es ein ganz klares Vorgehen und wird es dann noch stärker geben. Wer da sein Praktikum macht, bekommt im Bundestag übrigens in der Regel deutlich mehr Geld als in anderen Bereichen. 400, 600 Euro im Monat ist dort sehr üblich. Da gibt es nichts mit 100 Euro oder gar umsonst. Wer nach dem Studium kommt mit Abschluss, wird bei uns, muss bei uns dann einsortiert werden und wird übrigens auch jetzt schon so behandelt wie jemand, der quasi eine befristete Tätigkeit ausübt.
Müller: Mit den Praktikanten, Herr Sieling, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist im Grunde schon die nächste Ausnahme fast druckfrisch.
Sieling: Nein, nein, nein, nein!
Müller: Sie haben das ja jetzt definiert für diejenigen, die das zu einem frühen Zeitpunkt machen.
Keine vollwertigen Arbeitskräfte
Sieling: Das war immer so! Das war immer so, ist ein anderes Thema. Das war immer im Koalitionsvertrag schon so vereinbart und vorgesehen und ist an das Thema Ausbildung gebunden. Wir wollen doch nicht, dass diese Praktika, die für die Studienausbildung notwendig sind und die natürlich nicht voll in den Arbeitsprozess eingebunden werden, sondern die Leute sollen was lernen, wenn sie im Betrieb sind, auch im Bundestag sind, und daher sind sie keine vollwertigen Arbeitskräfte an der Stelle.
Müller: Aber auch mit Blick auf die Berufsbildung machen die Studenten das ja, nicht nur mit Blick auf ihren Abschluss?
Sieling: Sie machen es mit Blick auf die Berufsbildung, aber nicht mit Blick darauf, den Unterhalt verdienen zu wollen.
Müller: Was machen die Erntehelfer bei Ihnen? Bekommen die 8,50 Euro?
Sieling: Von solchen Ausnahmen halte ich wenig. Dass wir das machen, das wird sicherlich ein Thema, was heute Abend verhandelt wird und besprochen wird. Da bin ich sehr gespannt. Im Koalitionsvertrag ist das jedenfalls erst mal nicht vorgesehen. Ich kenne diese Diskussion, darum sage ich das vorsichtig.
Müller: Nicht vorgesehen als weitere Ausnahme?
Sieling: Nicht vorgesehen als weitere Ausnahme.
Müller: Die Union besteht jetzt darauf.
Sieling: Die besteht darauf, weil sie offensichtlich Einfalltore will, wo man mit den Ausnahmen beginnt, und deshalb finde ich, muss man da so vorsichtig sein, wenn es sich nicht vernünftig aus unserem Rechtssystem herleiten lässt.
Müller: Alle sind gleich. Was passiert mit den Rentnern?
Auch für Rentner keine Ausnahmen
Sieling: Das ist ein weiterer Punkt. Wenn wir solch einen Weg gehen, haben wir hinterher beim Discounter um die Ecke nur ältere Menschen, die noch die Regale einräumen und vielleicht an der Kasse sitzen, weil sie die günstigen sind, die lohnkostengünstigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. Das kann ja nun nicht der Fall sein. Deshalb darf es für solche Berufsgruppen auch keine Ausnahme geben.
Müller: Das gilt auch für die Minijobber?
Sieling: Für die Minijobber gilt dies ebenso, weil der Minijob ist ja schon bevorteilt durch unterschiedliche Dinge, und das soll ja noch nicht angegangen werden. Ich sage mal, aus sozialdemokratischer Sicht haben wir da schon durchaus Diskussionsbedarf, wird aber wohl diese Koalition nicht schaffen. Aber der Stundensatz muss vernünftig sein.
Müller: Vernünftig, das ist der Mindestlohn?
Sieling: Das ist fortan auch der Mindestlohn, der dort gelten muss aus meiner Sicht…
Müller: Trotz der steuerlichen Privilegien?
Sieling: Trotz der steuerlichen Privilegien, weil die sind ja schon geschaffen worden, um dieses Beschäftigungsmodell zu befördern, und dann braucht man doch keine weitere Beförderung, die die Benachteiligung der Beschäftigten beinhalten würde.
Müller: Jetzt haben Sozialdemokraten immer mehr auch und immer wieder einmal auch den Blick für die Sorgen der Unternehmen. Sie haben auf der einen Seite versprochen, kein Arbeitsplatz soll durch diesen Mindestlohn verloren gehen. Jetzt klagen die Firmen und sagen, das wird uns alles zu teuer, gerade für die kleineren Arbeiten, für die weniger qualifizierten Arbeiten. Altersgrenze 21, der Vorschlag der Unternehmen. Kann man da mit Ihnen reden?
"Die 18 sind begründbar"
Sieling: Ich halte das für Unsinn. Ich sage noch mal: Die 18 sind begründbar, weil auch das Jugendarbeitsschutzgesetz dort eine normale rechtliche Grenze bietet, die ganze Frage der Ausbildung eine Rolle spielt. Mit 21 sind die meisten und sehr, sehr viele, die jedenfalls keinen universitären Weg gehen, mit ihrer Berufsausbildung fertig. Das würde sozusagen ein Einstiegsheer schaffen, was zu niedrig und zum Discount beschäftigt wird, und das gerade muss verhindert werden.
Müller: Sie bleiben auf dem Boden der Tatsachen, die die Parteibasis geschaffen hat?
Sieling: Die der Koalitionsvertrag geschaffen hat und die eine Grundlage für diese Koalition sind. Ich würde uns allen sehr empfehlen, dass wir sehr eng daran bleiben und Weiterentwicklungen wirklich nur fassen, wenn es Weiterentwicklungen sind. Dies wäre ein Schritt rückwärts.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Carsten Sieling, der neue Sprecher der parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
Sieling: Schönen Dank! Tschüß!
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