"Ich sehe mich ganz klar bestärkt. Bei dem Zustimmungswert, den meine Partei bekommen hat, ist der Regierungsauftrag ganz eindeutig bei meiner Partei. Und ich werde diesen Auftrag auch annehmen."
Bodo Ramelow war der Sieger des Abends. Er wusste, was auch alle anderen wussten: Die 31 Prozent haben die Thüringer Linken vor allem ihm zu verdanken. Dem es gelungen war, in seiner fünfjährigen Amtszeit nicht nur die Zustimmung seiner Anhänger, sondern sogar die deutliche Mehrheit der CDU-Wähler zu gewinnen, die nach Umfragen lieber ihn als den Christdemokraten Mike Mohring in der Staatskanzlei sehen würden.
31 Prozent hatte die Linke noch nie in freien Wahlen erreicht - ein Triumph für Ramelow. Und doch eine Niederlage für sein Wahlziel, das er zuvor eindeutig umrissen hatte: "Ich kämpfe für Rot-Rot-Grün. Ich kämpfe für Rot-Rot-Grün. Ich kämpfe für Rot-Rot-Grün."
Dafür aber hat es nicht gereicht. Die Zugewinne der Linken, vier Prozentpunkte, wurden durch die herben Verluste der SPD und der Grünen mehr als aufgefressen. Hatte es in der vorherigen Legislatur noch für eine knappe Ein-Sitz-Mehrheit von Rot-Rot-Grün gereicht, so fehlen den drei Parteien heute vier Sitze im Erfurter Landtag. Dennoch sieht Ramelow den Regierungsauftrag bei sich, bei der Linken – in welcher Konstellation auch immer:
"Die Demokratie in Thüringen hat gewonnen, und sie hat uns jetzt eine komplizierte Aufgabe gestellt. Aber Demokraten sollten miteinander in der Lage sein für eine ausreichende Kraft im Parlament zu sorgen."
Höcke auf der Erfolgswelle
Schon vor der Wahl hatte Ramelow durchblicken lassen, dass er sich auch eine Zusammenarbeit mit der CDU vorstellen könne. Und noch ein anderer behauptete am Wahlabend, Verantwortung für Thüringen übernehmen zu wollen: Björn Höcke, der Vorsitzende der Thüringer AfD. Er marschierte siegesgewiss mit seinen Parteifreunden durch den Landtag, Augen starr nach vorn gerichtet, Journalistenanfragen überhörend nachdem klar war, dass die AfD 23 Prozent errungen hat – fast ein Viertel der Thüringer Wähler. Nur bereits vorher vereinbarte Fernsehtermine nahm er am Wahlhabend wahr. Und natürlich die Wahlparty der AfD.
"Die Thüringer haben heute die Wende 2.0 gewählt!"
In der Tat: Björn Höcke steht der zweitgrößten Fraktion im Thüringer Landtag vor. Eine Regierung unter ihm als Ministerpräsident wäre möglich, wenn seine Wunschpartner CDU und FDP mitziehen würden. Die aber lehnten schon am Wahlabend ab: Keine Zusammenarbeit mit der AfD und den Linken. Da diese aber zusammen 54 Prozent erreicht haben, war schon am Wahlabend Ende Oktober klar: Die Koalitionsbildung in Thüringen würde nicht einfach werden.
"Die Thüringer haben heute die Wende 2.0 gewählt!"
In der Tat: Björn Höcke steht der zweitgrößten Fraktion im Thüringer Landtag vor. Eine Regierung unter ihm als Ministerpräsident wäre möglich, wenn seine Wunschpartner CDU und FDP mitziehen würden. Die aber lehnten schon am Wahlabend ab: Keine Zusammenarbeit mit der AfD und den Linken. Da diese aber zusammen 54 Prozent erreicht haben, war schon am Wahlabend Ende Oktober klar: Die Koalitionsbildung in Thüringen würde nicht einfach werden.
Große Enttäuschung bei Grün und Rot
Eine klassische Mehrheit ist nicht machbar. Dabei waren SPD und Grüne schon lange fest entschlossen, die Koalition mit den Linken fortzusetzen. Umfragen deuteten jedoch schon vorher darauf hin, dass das nicht sehr wahrscheinlich sein würde. Die in Thüringen ohnehin schwache SPD dümpelte in Umfragen unter zehn Prozent, die Grünen erhofften sich im besten Fall ein zweistelliges Ergebnis. Die Spitzenkandidatin Anja Siegesmund frohlockte noch kurz vor der Wahl: "Ja, ob das am Ende Rot-Grün-Rot heißt oder Rot-Rot-Grün – man wird sehen!"
Die Enttäuschung war groß: Über Stunden stand am Wahlabend nicht fest, ob die Grünen überhaupt die Fünfprozent-Hürde nehmen würden. 5,2 Prozent waren es am Ende - weniger als bei der letzten Wahl, und das nach dem bundesweiten Höhenflug der Grünen. Die SPD verlor ein Drittel ihrer ohnehin schon wenigen Wähler und sackte von zwölf auf acht Prozent ab. Mit finsterer Miene lief der Fraktionsvorsitzende Matthias Hey kurz nach 18 Uhr durch den Erfurter Landtag:
"Naja, das ist schon ein bisschen wie ein Schlag in die Magengrube. Wir haben zwar die Umfragewerte der letzten Wochen auch alle gesehen und haben sie auch für ernst befunden und wissen auch wie in Sachsen und in Brandenburg die SPD Federn lassen musste. Aber es ist tatsächlich so, dass die Menschen immer und immer wieder nach Berlin zeigen. Und das hat sich hundertprozentig, glaube ich, auch bei dieser Wahl mit ausgewirkt."
Mohrings Gedankenspiel mit der Linken
Bei allen drei Landtagswahlen im Osten im vergangenen Jahr gab es bei vielen die Sorge, ob die AfD stärkste Kraft werden könnte, ob ein Regieren ohne AfD unmöglich werden könnte. In Sachsen und Brandenburg rettete man sich in so genannte "Kenia"-Koalitionen von CDU, SPD und Grünen. In Thüringen sollte es nicht einmal für diese sperrige und unbeliebte Notlösung reichen. Und so fiel der Blick schon am Wahlabend auf die CDU. Deren Vorsitzender, Mike Mohring, wirkte desorientiert:
"Nein, das gab's noch nie bei Wahlen seit 1949 und erst recht nicht auch hier in diesem Teil des Landes seit 1990. Und da hat auch keiner ein Rezept in der Schublade liegen, weil es bisher unvorstellbar war. Und das ist eingetreten. Wir sind auf so eine Situation, niemand in diesem demokratischen Thüringen ist auf so eine Situation, vorbereitet."
Dabei war ziemlich genau das eingetreten, was die Umfragen seit Wochen prognostiziert hatten: Dass die CDU nicht mehr, wie seit 29 Jahren gewohnt, die stärkste Kraft im Land ist, dass die Stärke von Linken und AfD ein neues Nachdenken über Koalitionen nötig macht. Mike Mohring:
"Und da muss man erst mal klug nachdenken, was man jetzt macht, damit für das Land was Gutes herauskommt. Die Wähler wollten ja offensichtlich, dass die üblichen Modelle ohne Mehrheit sind und etwas Neues gefunden wird. Und das muss man jetzt gemeinsam abwägen. Aber Stabilität für das Land ist wichtig. Das habe ich schon vor der Wahl gesagt. Das gilt auch nach der Wahl. Erst recht, wenn man Brücken bauen will, damit die Spaltung der Gesellschaft nicht das ist, was Thüringen ausmacht."
Bundes-CDU pfeift Mohring zurück
Am darauffolgenden Morgen wurde Mohring im ARD-Morgenmagazin gefragt, ob die Thüringer CDU mit der Linken koalieren würde:
"Wir sind bereit für so eine Verantwortung. Mir sind stabile Verhältnisse wichtiger für das Land, als dass es nur um parteipolitische Interessen geht. Ich brauche nicht Berlin, um zu wissen, was für Thüringen wichtig ist. Wir haben ja auch bisher gesehen, dass Berlin, die es nicht sonderlich nützlich war für die ganzen Wahlwochen im Vorfeld. Und deswegen ist die Entscheidung, die wir für die Zukunft des Landes Thüringen treffen müssen, auch keine Frage, die in Berlin beantwortet wird, sondern die beantworten wir alleine in Thüringen."
Noch am gleichen Tag wurde Mohring in einer Sitzung des Bundesvorstands der CDU in Berlin zurückgepfiffen. Der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU mit AfD und Linken gelte unverändert fort, erklärten ihm unmissverständlich die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr Generalsekretär Paul Ziemiak: Keine Koalition, keine Zusammenarbeit mit Linken oder AfD. Mohring wirkte in den kommenden Wochen orientierungslos. Einige seiner Parteifreunde versuchten weitere Vorstöße Richtung Linke, andere erklärten öffentlich ihre Sympathie für eine Koalition mit der AfD. Einer von denen ist Michael Heym, Mohrings Stellvertreter in der Fraktion:
"Wenn man in der AfD sich von diesem rechtsextremen Gedankengut lösen würde, habe ich zuerst im Blick die Leute, die sie wählen. Und ich sage: Diese Wählerschicht kann man nicht ignorieren. Und dann muss es möglich sein, miteinander sprechen zu können. Das soll auch gesagt sein: Die CDU-Thüringen ist eben nicht die CDU-Präsentation, die wir als Bundespolitik erleben. Die Thüringer Union tickt in weiten Teilen anders."
"Werteunion" wirbt für Maaßen und die AfD
Die "Werteunion" wirbt für den geschassten Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen als Ministerpräsidenten einer Koalition aus AfD, CDU und FDP. Mohring ließ sie alle gewähren und versuchte selbst erfolglos, eine Minderheitskoalition mit SPD, FDP und Grünen anzustoßen. Von "Chaos-Tagen" war in der Thüringer CDU-Landtagsfraktion die Rede, davon, dass man die geringe verbliebene Glaubwürdigkeit nach dem 22-Prozent-Wahldesaster geradezu verbrenne, wenn täglich neue Varianten diskutiert würden mit wem die CDU koalieren könnte.
Einer derer, die sich für eine Zusammenarbeit mit der Linken einsetzt, die nicht mehr die SED sei, ist der CDU-Landrat Werner Henning, ein Schwergewicht und Freigeist in seiner Partei: "Ich kann die CDU in Thüringen als eine in sich geschlossene Struktur, die für etwas Profundes, Substantielles steht, im Moment kaum noch erkennen. Es ist für mich ein großes Sammelsurium." Der Vorsitzende Mike Mohring habe massiv dazu beigetragen, dass kaum noch jemand wisse, wofür die Thüringer CDU stehe:
"Mike Mohring erscheint mir als guter Kerl, als freundlicher Mensch jedermann gegenüber. Aber dass er ein Vertreter einer substanziellen grundliegenden Meinung sei, auch in Belange von Tugenden hinein, von Verhaltensnormen hinein, von Ehrlichkeit, von Korrektheit, von Gradheit, da kann ich im Moment nicht allzu viel Belastbares erkennen."
Entsprechend fiel die Wahl Mohrings zum Fraktionsvorsitzenden aus: Lediglich 66 Prozent der Stimmen erhielt er in geheimer Abstimmung. Mohring:
"Ich bin mit einem ehrlichen Ergebnis gewählt worden. Angesichts der Stimmungslage in der Partei auch ein ziemlich plausibles Ergebnis. Weil, wenn wir so unterschiedlich auch diskutieren und auch wahrnehmen, wie an der kommunalen Basis diskutiert wird, dann kann man gar nichts anderes erwarten. Es war ja auch ein historisch schlechtes Wahlergebnis. Das hat uns ganz schön ins Kontor gehauen. Dass wir jetzt mit 21 Abgeordneten dasitzen, schmerzt uns alle und mich ganz besonders."
Gauck versucht CDU und Linke an einen Tisch zu bringen
Inzwischen sind die Umfragewerte für die CDU noch weiter gesunken - auf 19 Prozent. Unterdessen verhandelten Linke, SPD und Grüne über eine Minderheitskoalition. Die Verhandlungen zogen sich über Wochen hin. Hin und wieder meldeten sich prominente Stimmen zu Wort, die eine Zusammenarbeit der CDU mit der Linken unterhalb der Koalitionsebene befürworteten. Der ehemalige Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus plädierte für eine rot-schwarze "Projektregierung"; der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck reiste extra aus Berlin nach Erfurt, um Bodo Ramelow und Mike Mohring an einen Tisch zu bringen. Im ZDF hatte er zuvor gesagt:
"Die Linke, wenn wir die anschauen, da haben auch die kommunistischen Kräfte an Bedeutung verloren und die pragmatischen Kräfte an Bedeutung gewonnen. Ohne seinen Pragmatismus wäre der Herr Ramelow ja niemals Ministerpräsident geworden."
Es müsse, so Gauck, eine Möglichkeit geben, eine stabile Landesregierung mit dem Wohlwollen der CDU auf die Beine zu stellen, ohne mit der Linken gleich zu koalieren:
"Dann muss eben eine Form gefunden werden, wie mit konkreten Absprachen Regierungsfähigkeit hergestellt wird. Denn ich glaube nicht, dass es gesamtgesellschaftlich gesehen nützlich wäre, wenn eine starke Partei wie die Union dasteht als diejenige, die das Regieren verhindert."
Es kam Bewegung in die CDU. Nach Gesprächen mit der FDP legten die beiden Vorsitzenden Mike Mohring und Thomas Kemmerich 22 Punkte vor, über die man mit der rot-rot-grünen Minderheitsregierung ins Geschäft kommen könnte: Mehr Lehrer, weniger Schulausfall, mehr Polizisten, eine bessere Infrastruktur. Es gab auch ein gemeinsames Gespräch der Parteispitzen, bei dem man sich nicht wirklich näher kam, wie die Partei- und Fraktionsvorsitzende der Linken, Susanne Hennig-Wellsow beklagte:
"Wir haben jetzt als Rot-Rot-Grün einen Fahrplan, den wir durchhalten, den wir fast final bestritten haben und auch den MP wählen können. Und natürlich wissen, dass wir ein Risiko eingehen, wenn wir keine Mehrheit haben. Jetzt mit der Idee Projekt-Regierung zu kommen, die ja noch nicht mal in der CDU-Thüringen geeint ist, kann ich nur sagen, solange sind es einfach Worte, die im Raum stehen."
CDU und FDP fremdeln weiter mit der Linken
Man blieb sich fremd. Das Äußerste wozu CDU und FDP sich bereit erklärten, war, keine Fundamentalopposition im Landtag betreiben zu wollen und bei wichtigen Themen nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Wie das konkret aussehen soll, darüber blieb Mike Mohring schwammig:
"Dieses Wahlergebnis hat ja eine Situation herbeigebracht, die für alle neu ist. Unsere Position hat sich verändert. Aber Rot-Rot-Grün hat eben auch keine Mehrheit mehr. Niemand darf jetzt denken, er kann einfach so weitermachen wie bisher in den alten Lagern, in den alten Rollen. Man setzt das fort und es wird schon jemand zustimmen. Und wenn alle sozusagen diese neue Rolle auch verstehen und aufnehmen, dann kann man in diesem Landtag trotz der schwierigen Mehrheitsverhältnisse was Gutes für dieses Land erreichen.
Wenn das transparenter passiert, wenn das nicht in Koalitionsausschüssen eingeebnet wird, sondern auch die Bürger beteiligt werden in diesen Fragen, dann kann für Thüringen auch was Gutes herauskommen. Und dann kann die Rolle, die wir haben in der Opposition, aber eben auch die anderen, die das Risiko einer Minderheitsregierung eingehen wollen, auch eine Chance sein für diesen Freistaat Thüringen."
Rot-Rot-Grüne Zukunftsagenda statt Koalitionsvertrag
Unterdessen hatte sich Rot-Rot-Grün auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, deutlich dünner als üblich, wie Matthias Hey, der SPD-Fraktionschef erläutert:
"Ich nenne das jetzt mal Zukunftsagenda, ein Papier-Thüringen 2025, in dem all das, was uns sehr, sehr wichtig ist, zunächst mal so offen formuliert wird, dass CDU und FDP eine Möglichkeit haben, dem auch beizutreten. Und das macht es natürlich schwierig, wenn du auf der einen Seite versuchen willst, spätere Regierungsfragen relativ genau festzuzurren, auf der anderen Seite aber die Tür immer wieder für jemanden auflassen musst, der eventuell da mitverhandeln möchte. Und das Schöne ist: Alle anderen Bundesländer haben ja immer nach Wahlen immer neunmalklug angerufen und gute Ratschläge gegeben, dass ist diesmal nicht so. Die schauen alle mit blankem Entsetzen: Was macht denn Thüringen jetzt?"
Als Rot-Rot-Grün das Papier präsentierte, taten dies alle drei Parteivertreter mit gefrorenem Lächeln, denn die Ressortverteilung war noch nicht endgültig geklärt. Linke und SPD wollten alles beim Alten belassen, die Grünen aber, die es gerade so in den Landtag zurück geschafft und schlechter abgeschnitten hatten als vor fünf Jahren, wollten weiterhin das Umweltministerium, nicht mehr aber das Justizressort, dafür aber das mächtigere Infrastrukturministerium. Zudem sollte die Landwirtschaft an das Umweltministerium übergehen. Der grüne Fraktionsvorsitzender Dirk Adams argumentierte:
"Richtig ist, dass wir Grüne ja immer gesagt haben: Wir brauchen auch den Teil Landwirtschaft, um Umweltpolitik richtig machen zu können. Und natürlich gibt es Häuser wie zum Beispiel die Abteilung Verkehr und Bauen im TMiL, wo man besonders viel Grüne Politik umsetzen kann. Und da braucht Thüringen dringend Impulse, die wir Grüne geben können."
Grün "verzockt" sich
Hinter verschlossenen Türen wurde es laut. Der Vorsitzende der Thüringer Sozialdemokraten, Wolfgang Tiefensee, wirkte zunehmend genervt von den Grünen und beklagte: "…dass es zum Teil maßlose Ansprüche gegeben hat, dass die uns viel Kraft, viel Zeit gekostet haben und – ich bekenne es freimütig – auch ein Stück Vertrauen."
Am Ende haben die Grünen nichts dazugewonnen, dafür noch eine Zuständigkeit verloren. Der noch amtierende Justizminister der Grünen, Dieter Lauinger, bekannte, dass man sich "verzockt" habe; der Grüne Landtagsabgeordnete Olaf Müller wurde auf dem Grünen-Parteitag deutlicher:
"Ich werde den Eindruck nicht los, dass wir als Scheinriese in diesen Verhandlungen gestartet sind. Und am Ende standen wir ja mit zwei Ressorts da, und mit einem verlorenem, extrem wichtigen Teilbereich, und das ist die Aufgabe der Migration. Wir haben hier einen Teil verschenkt, und ich bin nicht wütend darüber. Und da frage ich mich immer wieder: Mit welcher Realitätsferne werden manchmal Verhandlungen geführt vor dem Hintergrund dessen, was wir erreicht haben?"
AfD wirbt mit parteilosem Kandidaten
Der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag steht, die Wahl des Ministerpräsidenten steht an diesem Mittwoch bevor. Im ersten und zweiten Wahlgang benötigt der Kandidat die absolute Mehrheit. Vermutlich wird die nicht erreicht. Die Chance Bodo Ramelows im dritten Wahlgang mit einer dann ausreichenden einfachen Mehrheit gewählt zu werden, steht nicht schlecht. Aber als sicher kann die Wahl nicht gelten, denn wenige Minuten vor Ablauf der Meldefrist hat die AfD am Montagmorgen einen eigenen Ministerpräsident-Kandidaten präsentiert: Christoph Kindervater, ein parteiloser ehrenamtlicher Bürgermeister einer 350-Seelen Gemeinde, der nach eigenen Angaben der "Werteunion" nahesteht, die seit Wochen für einen gemeinsamen Kandidaten von CDU, AfD und FDP wirbt.
"Der Entschluss ist ganz plötzlich gekommen, und gereift ist das schon eine ganze Weile hinweg, weil ich halt zusehe, wie irgendwo die konservativen bürgerlichen Kräfte sich hier auseinanderdividieren lassen. Unabhängig davon, wie man zu den einzelnen Parteien steht, kann man doch nicht behaupten, dass in Thüringen die Bürger links gewählt hätten. Es ist einfach nicht die Wahrheit. Die Mehrheit ist bürgerlich in diesem Lande und jetzt der linken Seite so ein Durchmarsch zu gönnen, das kann ich als Bürger dieses Landes einfach nicht tolerieren. Mag sein, dass es Irrsinn ist. Ich hoffe, mein Arbeitgeber verzeiht mir das, was ich heute tue. Ja, nun stehe ich hier und kann nicht anders."
Kindervater hatte sich am vergangenen Wochenende AfD, CDU und FDP als möglichen Kandidaten selbst vorgeschlagen; die AfD hat spontan zugegriffen: "Die AfD hat mich eingeladen. Nun habe ich erfahren, sie hat mich nominiert, die AfD. Nun gucken wir mal, was am Mittwoch passiert."
Höckes Angebot an CDU und FDP
Kindervater ist in der Landespolitik so unbekannt, dass die AfD in ihrer Pressemitteilung über die Nominierung seinen Namen verwechselte. Im Internet findet sich nur ein Leserbrief von ihm, in dem er über das "Merkel-Regime und ihre Regime-Medien" schimpft und es mit Hitler und Honecker vergleicht. Außerdem kündigte Kindervater zunächst an, bei der Wahl nicht anwesend sein zu können, da er auf Dienstreise sei. Er ist Vertriebs-Ingenieur. Inzwischen hat er den Tag doch frei bekommen. Dieses Durcheinander bei der AfD verwundert, hatte doch Björn Höcke schon vor Wochen verkündet, aussichtsreiche Gespräche über einen vielversprechenden Kandidaten zu führen, der auch für CDU- und FDP-Abgeordnete wählbar sei. Im Landtag sagte er:
"Unter Bodo Ramelow ist Thüringen zu einem Feuchtbiotop für Linksextremismus geworden. Und diesen roten Gesellen wollen sie tatsächlich unser Land nochmal fünf Jahre ausliefern? Wir könnten so viel erreichen. Legen Sie mal die Wahlprogramme von CDU, AfD und FDP übereinander. Sehr geehrter Herr Mohring, ich mache Ihnen hier nochmal das Angebot: Wir ziehen uns mit Kollegen Kemmerich zurück. Ich bin bereit meine persönliche Karriere dem Staatsziel zu opfern, dass Thüringen gut regiert werden muss. Und wir werden gemeinsam einen bürgerlichen Ministerpräsidentenkandidaten finden, der dieses Land gut regiert. Mein Versprechen gilt, an mir soll es nicht scheitern. Vielen Dank!"
Höcke selbst will nicht kandidieren, da sein Bild in der Öffentlichkeit zu schlecht sei. Daran seien die Medien schuld. Immerhin ist Kindervater aber der erste Ministerpräsidenten-Kandidat, den die AfD in ihrer Geschichte aufstellt. Möglicherweise werden ein paar CDU-Abgeordnete in der geheimen Wahl für ihn stimmen, eine Mehrheit gilt unter Beobachtern jedoch als ausgeschlossen. Die CDU selbst wollte ursprünglich keinen Kandidaten aufstellen. Nun sagte der CDU-Generalsekretär Raimund Walk dem MDR:
"Wir werden nach dem zweiten Wahlgang uns in der Fraktion zusammensetzen, in enger Abstimmung mit den Freien Demokraten, und werden darüber entscheiden, wie es weitergeht."
Vielfalt der Kandidaten lässt Ramelows Chancen steigen
Ab dem zweiten Wahlgang steht es den Parteien frei, neue Kandidaten zu präsentieren. Auch ein CDU-Bundestagsabgeordneter aus Thüringen hat sich ins Gespräch gebracht. Er würde sich - anders als CDU-Chef Mike Mohring - auch von der AfD wählen lassen. Die FDP will ihren Partei- und Fraktionsvorsitzenden Thomas Kemmerich im dritten Wahlgang ins Rennen schicken.
Mit dieser Vielfalt von Kandidaten steigen jedoch die Chancen des Linken Bodo Ramelow gewählt zu werden. Denn es ist strittig, ob im dritten Wahlgang auch gewählt ist, wer mehr Nein- als Ja-Stimmen erringt, sollte kein weiterer Kandidat antreten. So würden die Gegenkandidaten Bodo Ramelow möglicherweise sicher und verfassungsjuristisch zweifelsfrei ins Amt verhelfen. Überraschungen sollte man jedoch keinesfalls ausschließen.