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"Mir geht es um die hochgefährlichen Leute"

Die Karlsruher Richter hätten akzeptiert, dass hochgefährliche Straftäter auch in Zukunft hinter Gittern gehalten werden könnten. Das ist für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die entscheidende Botschaft aus dem Urteil zur Sicherungsverwahrung. Entsprechende Gesetze auf Bundesebene müssten dies nun umsetzen.

Joachim Herrmann im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Sicherungsverwahrung für Schwerkriminelle in Deutschland, sie ist grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar. So urteilte das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2004. Aber sie verstößt gegen die Menschenwürde, zumindest dann, wenn sie nachträglich verhängt oder verlängert worden ist. Zu diesem Schluss jedenfalls kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg im Jahr 2009. Vom Krieg der Gerichte war bereits die Rede und davon, wer sich am Ende durchsetzen würde. Und so war gestern mit Spannung erwartet worden, wie die obersten deutschen Richter in Karlsruhe urteilen würden, nachdem dort erneut Klagen anhängig wurden. Das Ergebnis - zumindest aus Sicht der Opposition - eine Klatsche für die Politik.

    Am Telefon begrüße ich jetzt Joachim Herrmann von der CSU, den Innenminister Bayerns. Guten Morgen, Herr Herrmann!

    Joachim Herrmann: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Herrmann, Sie haben sich noch im vergangenen Jahr für den Erhalt auch der nachträglichen Sicherungsverwahrung ausgesprochen. Nun haben Sie es schriftlich: die geltenden Regeln zur Sicherungsverwahrung sind allesamt grundgesetzwidrig, nicht nur die der nachträglich verlängerten. Und dennoch begrüßen Sie das Urteil. Wie das geht, das müssen Sie uns erklären.

    Herrmann: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schafft Klarheit und entscheidend ist für mich, dass auch Karlsruhe akzeptiert hat und ausdrücklich bestätigt, dass die Leute, die hochgefährlich sind, die psychisch gestört sind und von denen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten haben, zu befürchten haben, dass sie wieder einen Mord begehen, oder ein Kind missbrauchen, eine Frau vergewaltigen, dass solche Leute auch in Zukunft hinter Gittern gehalten werden können. Das ist das, worauf es mir ankommt, und auf der Grundlage können wir jetzt auch ein vernünftiges neues Gesetz basteln.

    Heckmann: Die Deutsche Polizeigewerkschaft, die ist der Meinung, dass mit diesem Urteil die Freiheitsrechte der Betroffenen über die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung gestellt worden seien. Wie sehen Sie das?

    Herrmann: Das darf im Ergebnis nicht sein. Wir werden jetzt das Urteil – die ausführlichen Gründe liegen uns ja noch nicht vor – natürlich dann zu analysieren haben. Wir müssen sehr sorgfältig abwägen, wie das in ein künftiges Gesetz übernommen wird. Aber ich sage noch einmal: Mir geht es nicht darum, was in der Vergangenheit vielleicht auch mal war, dass einer, der fünfmal schon einen Betrug begangen hat, hier weggesperrt wird, sondern mir geht es um die hochgefährlichen Leute, um die, die schon einen Mord begangen haben, um die, die Kinder missbraucht haben, und wenn hier eine psychische Störung diagnostiziert wird und gesagt wird, der wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut tun, dann besteht eine hohe Gefahr für die Bevölkerung. Dann hat das Bundesverfassungsgericht klar gesagt, nicht nur, den brauchen wir jetzt nicht freilassen, sondern den können wir auch mit den künftigen Regelungen eindeutig hinter Gittern halten. Das ist das Entscheidende.

    Heckmann: Wenn Sie sagen, Herr Herrmann, dass im Ergebnis das nicht sein darf, dass nämlich die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung unter die Freiheitsrechte der Betroffenen gestellt werden, dann höre ich da doch eine gewisse Urteilsschelte heraus, oder?

    Herrmann: Nein! Wir werden das Urteil sorgfältig analysieren und dann muss es umgesetzt werden in die entsprechenden Gesetze auf Bundesebene. Aber klar ist: Wir haben eine Verantwortung für die Sicherheit der Menschen in unserem Land. Ich glaube, dass das das Bundesverfassungsgericht auch so sieht. Aber es muss natürlich konkret belegt werden, wie diese hohe Gefahr jeweils aussieht. Und das andere ist, was ich durchaus akzeptiere, dass das Bundesverfassungsgericht erwartet, dass entsprechend man sich bemüht, Menschen, die eine psychische Störung haben, zu therapieren. Das gelingt ja auch immer wieder bei dem einen oder anderen. Wir müssen allerdings auch sehen, dass es sich in der Vergangenheit herausgestellt hat, dass es auch Leute gibt, die einfach nicht therapierbar sind, die auch noch nach zehn Jahren, auch noch nach 15 Jahren solche Störungen haben und nach wie vor hochgefährlich sind, und bei solchen Leuten muss es auch in Zukunft dabei bleiben, dass sie weggesperrt werden.

    Heckmann: Die Gewerkschaft der Polizei und die Deutsche Polizeigewerkschaft sehen die Gefahr, dass nun viele gefährliche Straftäter freigelassen werden müssen. Teilen Sie diese Befürchtung, oder können Sie garantieren, dass wirklich sämtliche Personen, die sich jetzt in Sicherungsverwahrung befinden – da gab es gerade einen kurzen Rauscher in der Leitung; ich hoffe, Sie sind noch da?

    Herrmann: Ja, ich bin da.

    Heckmann: Können Sie garantieren, dass sämtliche Personen, die jetzt in Sicherungsverwahrung sind und gefährlich sind, wirklich dort auch bleiben?

    Herrmann: Ich persönlich kann das natürlich nicht garantieren, weil das in der Hand der Gerichte liegt. Es werden jetzt sicherlich viele Fälle noch einmal neu überprüft werden müssen. Die Gerichte müssen dann sehen, wie sehen die psychiatrischen Gutachten aus. Die Gerichte müssen eine Entscheidung treffen, ist das jemand, der hochgefährlich ist, von dem die Gefahr besteht, dass er erneut einen Mord begeht, eine Frau vergewaltigt, und dann müssen die Gerichte die angemessene Entscheidung treffen.

    Ich hoffe sehr, dass die Gerichte dafür sorgen, dass diejenigen, die hochgefährlich sind, hinter Gittern bleiben. Es wäre jedenfalls für die Polizei kaum zumutbar, dass wir jetzt für eine größere Zahl von Leuten, die eigentlich gefährlich sind, die trotzdem freigelassen würden, wir jede Menge Polizisten abstellen müssten, um die dann zu überwachen. Da kann ich die Sorge der Polizeigewerkschaften verstehen, das wollen wir unter allen Umständen vermeiden, aber das liegt nun natürlich in der Hand der Richter, die jetzt über all diese Fälle in den nächsten Monaten noch einmal zu entscheiden haben werden.

    Heckmann: Es ist ja oft so, Herr Herrmann, nach den Urteilssprüchen aus Karlsruhe fühlen sich alle Seiten irgendwie bestätigt. Das gilt auch für die Justizministerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP, die sich darin bestärkt sieht, dass zum 1.1. diesen Jahres eine Reform der Sicherungsverwahrung in Kraft getreten ist. Sie sieht jetzt die Länder in der Pflicht, nämlich diese Sicherungsverwahrung entsprechend umzugestalten. Sehen Sie das auch so, oder sehen Sie auch den Bund im Zug?

    Herrmann: Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht eine Reihe von Paragrafen von Bundesrecht außer Kraft gesetzt oder erklärt, dass hier bis 2013 eine Neuregelung stattfinden muss. Da ist zweifellos der Bund gefordert. Zum Zweiten hat das Bundesverfassungsgericht das Gesetz, das wir im vergangenen Jahr beschlossen haben, das neue Therapie-Unterbringungsgesetz ausdrücklich bestätigt, indem es nämlich sogar ausdrücklich Bezug genommen hat und gesagt hat, ...

    Heckmann: Und an dieser Stelle glaube ich, ist die Leitung doch wieder da.

    Herrmann: Also das Therapie-Unterbringungsgesetz des Bundes, das am 1. Januar in Kraft getreten war, das ist ausdrücklich bestätigt worden. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht Bezug genommen. Insofern kann sich Bundestag und Bundesrat, können sich der Bund und die Länder hier auch bestätigt fühlen, dass wir mit diesem neuen Gesetz auf dem richtigen Weg sind.

    Und dann muss sich zweifellos im Vollzug etwas ändern. Darüber haben wir im vergangenen Jahr schon intensiv diskutiert, das ist jetzt auch bereits auf den Weg gebracht, nämlich dass natürlich der Vollzug der Sicherungsverwahrung anders aussehen muss als der reine Strafvollzug, weil jemand, der entsprechend eingesperrt wird, nur um die Bevölkerung zu schützen vor weiteren Straftaten, natürlich schon etwas anders behandelt werden muss als jemand, der wirklich noch bestraft werden soll. Da muss eine stärkere Unterscheidung vorgenommen werden, das hat jetzt auch das Bundesverfassungsgericht noch mal angemahnt. Darauf haben wir uns aber im vergangenen Jahr bereits eingestellt. Insofern kann ich – ich streite mich sonst sehr gerne mit der Bundesjustizministerin, auch wo es notwendig ist, aber in dem Punkt haben wir, glaube ich, weitgehende Übereinstimmung.

    Heckmann: In anderen Ländern, Herr Herrmann, steht auf Mord beispielsweise 40 Jahre Freiheitsentzug, dort gibt es kein Problem mit der Sicherungsverwahrung oder der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Müssten wir in Deutschland also im Prinzip härtere Strafen haben für solche Delikte?

    Herrmann: Ich glaube, dass das allein das Problem natürlich nicht löst. Das Entscheidende ist ja auch, dass wir auch Straftaten haben, die natürlich nicht von vornherein mit so hohen, langen Strafen behängt sind. Man muss ja eben auch unterscheiden: Es gibt Leute, die einmal einen Totschlag oder Mord begangen haben in einer ganz bestimmten Situation, was ich natürlich nicht in irgendeiner Weise beschönigen will, aber wo klar ist, da hat jemand einmalig so etwas getan und es ist nach den ganzen Umständen der Tat überhaupt nicht anzunehmen, dass er so was jemals wieder tun wird. Und es gibt eben andere Leute, wo man dann feststellt, da hat jemand den Hang zu einer besonderen Brutalität, da hat einer womöglich schon zweimal eine ganz schlimme Tat begangen, da gibt es sexuelle Abnormitäten, da gibt es jemanden, der immer wieder sich über Kinder hermacht, und da geht es nicht darum, wie hoch das Strafmaß im Einzelfall ist, sondern da geht es darum, wenn das erkannt wird, der wird das immer wieder tun, dann die Bevölkerung vor potenziellen weiteren Opfern, vor so jemanden zu schützen. Das ist das Entscheidende und deshalb brauchen wir unabhängig von der Frage, wie hoch die Strafe für eine einzelne Tat ist, die Möglichkeit, jemand, der hochgefährlich ist, hier wirklich hinter Gittern zu halten. Da geht es eben nicht darum, ihn für seine frühere Tat zu bestrafen, sondern heute die Bevölkerung davor zu schützen, dass sie erneut Opfer einer solchen Bestie wird.

    Heckmann: Über die Konsequenzen aus dem gestrigen Karlsruher Urteil haben wir gesprochen mit Joachim Herrmann, dem Innenminister Bayerns von der CSU. Herr Herrmann, danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.

    Herrmann: Ich danke Ihnen auch! Einen schönen Tag!

    Heckmann: Ihnen auch.