Archiv


"Mir kommt das Verhalten von Schavan wie Guttenberg in Zeitlupe vor"

Ob vorsätzlich oder nicht - die Dissertation von Annette Schavan enthalte "schwere Plagiate", sagt Gerhard Dannemann, der die Arbeit für VroniPlag geprüft hat. Er fordert von der Bildungsministerin "ein klares Wort", dass ihre Arbeitsweise nicht guter wissenschaftlicher Praxis entspreche, so der Juraprofessor.

Gerhard Dannemann im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) gerät in Erklärungsnot
    Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) gerät in Erklärungsnot (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    O-Ton Gregor Gysi: "Es tut mir auch alles ein bisschen Leid, ehrlich gesagt, wie das alles läuft, aber: Man muss auch bei einer Dissertation ehrlich sein."

    Manfred Götzke: Gregor Gysi von den Linken hat ein bisschen Mitleid mit Annette Schavan. Durch eine Indiskretion ist ja in die Presse gelangt, was der Leiter des Promotionsausschusses der verantwortlichen Uni von Annette Schavans Dissertation hält, nämlich nicht so viel. Er attestiert ihr klare Täuschungsabsicht. Ist der Fall Schavan aber tatsächlich so eindeutig? Darüber möchte ich mit jemandem sprechen, der das Werk "Person und Gewissen" genau studiert und ebenfalls auf Plagiate hin untersucht hat, nämlich Gerhard Dannemann. Er ist Jura-Professor an der HU Berlin und arbeitet beim Plagiate-Portal VroniPlag mit. Herr Dannemann, Sie haben für VroniPlag geprüft, ob Schavan so stark gegen wissenschaftliche Regeln verstoßen hat, dass eine Veröffentlichung auf VroniPlag gerechtfertigt ist. Und Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, es liegt ein Grenzfall vor. Inwiefern?

    Gerhard Dannemann: Die Arbeit von Frau Schavan war ein Grenzfall zwischen denjenigen Arbeiten, die auf VroniPlag untersucht, aber nie öffentlich dokumentiert werden, und denjenigen, die auf die Homepage gelangen, die also der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Und da lag das so zwischendrin. Es war definitiv nicht so schwerwiegend wie die anderen, die dokumentiert worden sind, aber halt doch schon über eine Grenze hinweg. Und da gab es dann eine längere Diskussion, ob dieser Fall publik gemacht werden sollte.

    Manfred Götzke: Sie haben sich ja dann dafür ausgesprochen, die Arbeit zu veröffentlichen. Warum?

    Dannemann: Das hängt mit dem Verständnis dafür zusammen, wofür VroniPlag gut ist. Also manche der anderen, die da mitarbeiten, waren der Ansicht, da muss man nur so richtig eklatante Fälle dokumentieren, wo es eigentlich gar nicht anders sein kann, als dass massiv vorsätzlich, also in wirklich erheblichem Umfang plagiiert wurde. Wo die einzige mögliche Sanktion wahrscheinlich auch der Entzug des Doktortitels ist. Ich gehörte zu denjenigen, die der Ansicht waren, dass die Frage Vorsatz oder nicht etwas ist, was auf VroniPlag nicht untersucht werden kann oder sollte. Dass man eigentlich ja damit beschäftigt ist, Plagiate zu dokumentieren. Und auch da wollten wir den Fall nicht anders behandeln, als wenn es eben halt Anne Schmidt gewesen wäre.

    Manfred Götzke: Nun haben Sie ja schon gesagt, es gibt weitaus krassere Fälle. Aber reicht Ihr Befund aus, um das Werk insgesamt als Plagiat zu bezeichnen?

    Dannemann: Das kommt darauf an, was Sie unter Plagiat verstehen. Also den meisten in der internationalen Diskussion gilt das einfach als die Übernahme anderer Arbeiten ohne ausreichende Kennzeichnung. Und es ist nicht erforderlich für einen Plagiatsvorwurf, dass man einen Vorsatz nachgewiesen hat. Es ist unerheblich, ob das vorsätzlich war oder es nicht nachgewiesen werden kann oder nur Schlamperei war. Und in diesem Sinne ist es auf jeden Fall, sind da schwere Plagiate drin. Da zitiert sie an einer Stelle auf einer Seite hinweg eine Arbeit, die nirgendwo auftaucht im Literaturverzeichnis, nicht in der Fußnote, nirgendwo. Also sie hätte sie zitieren sollen, sie übernimmt sie aber einfach so. Das sind solche Sachen, die dürfen wirklich nicht passieren. Das sind also ganz grobe handwerkliche Fehler.

    Manfred Götzke: Welche Rolle spielt bei der Beurteilung der Umfang. Sie haben jetzt verschiedenen Formen des Plagiierens genannt.

    Dannemann: Es kursiert so eine Regel über VroniPlag, das ist die Zehnprozent-Hürde. Es ist noch nie ein Fall, soweit ich weiß, auf VroniPlag dokumentiert worden, wo nicht auf jeder zehnten Seite mindestens eine Stelle gefunden wurde, die als Plagiat bewertet wird. Und über diese Stelle kam zum Zeitpunkt der Diskussion die Arbeit von Frau Schavan ganz knapp rüber: 10,4 oder irgend so etwas.

    Manfred Götzke: Wo liegt man jetzt?

    Dannemann: Das VroniPlag-Wiki hat an dieser Stelle aufgehört. Aber es ist ja auf der Seite SchavanPlag ist das mehr aufbereitet worden, und da ist man eher so bei 30 Prozent, glaube ich, 25, 30 Prozent.

    Manfred Götzke: Nun haben Sie ja schon gesagt, es ist schwierig, einen Vorsatz wie bei verschiedenen anderen Rechtsfragen ja auch, nachzuweisen, gerade im Fall eines Plagiates. Ist es für die Frage, ob Annette Schavan die nötige Autorität als Wissenschaftsministerin hat, ist es dafür überhaupt erheblich, ob sie vorsätzlich getäuscht hat?

    Dannemann: Der Fall liegt 32 Jahre zurück. Und da würde ich tatsächlich auf das gucken, was Frau Schavan als Politikerin geleistet hat. Ich finde, sie genießt einen guten Ruf. Was ich für ganz wichtig halte aber, ist, dass Frau Schavan sich klar davon distanziert, wie sie da gearbeitet hat. Und das vermisse ich sehr. Also, mir kommt es vor, das Verhalten von Schavan wie Guttenberg in Zeitlupe. Also zuerst, ich habe alles richtig gemacht, verglichen mit Guttenberg absurd und mühevollste Kleinarbeit. Jetzt das letzte Statement war: ja, hätte man an einigen Stellen noch verbessern können. Und die nächste Stufe bei Guttenberg war: erhebliche handwerkliche Fehler. So weit wird es bei Schavan auch noch kommen. Da sind erhebliche handwerkliche Fehler drin.

    Manfred Götzke: Was würden Sie denn von ihr erwarten? Was wäre aus Ihrer Sicht ein gutes Krisenmanagement?

    Dannemann: Ich würde von ihr einfach ein klares Wort erwarten, dass das nicht den Maßstäben guter wissenschaftlicher Praxis entspricht. Ich meine, wie soll ich meinen Doktoranden sagen, dass sie sauber arbeiten müssen, wenn es heißt, aber die Wissenschaftsministerin darf so arbeiten. Und ich würde ansonsten wirklich trennen von einer 25-jährigen Annette Schavan im Jahre 1980 und der heutigen Ministerin.

    Manfred Götzke: Wie problematisch sehen Sie es, dass das Gutachten vorab an die Presse – oder dieses Paper, muss man ja sagen, es ist ja offiziell kein Gutachten – vorab an die Presse gelangt ist? Diskreditiert das das Verfahren an der Universität Düsseldorf?

    Dannemann: Es diskreditiert nicht das Verfahren. Es macht es schwieriger. Also erst mal ist es falsch. Das ist richtig ärgerlich. Das soll nicht passieren, das macht die Arbeit der Kommission nicht unmöglich, aber es erschwert sie natürlich. Der Druck ist größer.

    Manfred Götzke: Nun sagt der Wissenschaftsrechtler Wolfgang Löwer, früher sei man großzügiger gewesen bei der Beurteilung von Plagiaten. Stimmt das? Galten vor 30 Jahren tatsächlich andere Maßstäbe?

    Dannemann: Das glaube ich, ehrlich gesagt, nicht. Ich erzähle Ihnen mal eine kleine Anekdote, die passierte drei Jahre, nachdem Frau Schavan ihre Arbeit abgegeben hat. Da war ich im Seminar von dem Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde. Und da war eine Seminararbeit eines Sechst- oder Siebtsemesters vorgelegt, und da fand jemand heraus, dass da Plagiate drin waren. Der ist ausgeschlossen worden von dem Seminar damals. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das, was Frau Schavan da an einigen Stellen, also wirklich nicht durch die ganze Arbeit hindurch, gemacht hat, dass das in irgendeinem Fachbereich an irgendeiner deutschen Universität den Standards guter wissenschaftlicher Praxis genügt hätte. Also dass man eine Seite komplett aus einem Werk abschreibt mit ganz wenigen wörtlichen Änderungen, und nirgendwo diese Arbeit erwähnt. Das kann auch im Jahre 1980 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf nicht gute wissenschaftliche Praxis gewesen sein.

    Manfred Götzke: Wie würden Sie entscheiden, wenn Sie Vorsitzender des Fakultätsrates der Universität Düsseldorf wären?

    Dannemann: Wenn die Frage ist, hätte diese Dissertation damals so angenommen werden sollen, dann ist die Antwort ganz klar: nein, hätte sie nicht. Die Frage ist aber eine andere. Die Frage ist: Hat Frau Schavan damals getäuscht? Und das kann ich mit einem reinen Textvergleich so nicht herausfinden, dafür sind die Plagiate einfach nicht massiv genug. Es liegt auf der Grenze. Da muss eben halt die Kommission ein bisschen mehr ermitteln, und ich denke, das tut sie auch schon.

    Manfred Götzke: Sagt der Jura-Professor Gerhard Dannemann. Ermitteln wird jetzt übrigens auch die Staatsanwaltschaft, nicht gegen Annette Schavan, sondern gegen denjenigen, der den Bericht der Kommission vorab an die Presse gegeben hat.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.