Ein großer Hit in Russland war dieser Pop-Song vor bald drei Jahren, noch während der ersten Amtszeit von Staatspräsident Wladimir Putin: Ein Mädchen ist sauer auf den Freund, der besoffenen irgendeinen Blödsinn angestellt hat. Jetzt hat sie endgültig die Nase voll von ihm. Sie möchte - so schmachtet sie:
...so einen wie Putin - so voller Kraft,
so einen wie Putin, der nicht trinkt,
so einen wie Putin, der sie nicht schlecht behandelt,
so einen wie Putin, der nicht davonläuft...
Gestern habe sie Putin im Fernsehen gesehen. Die Welt stehe an einem Scheideweg, habe er gesagt. Mit einem wie Putin fühlt man sich zu Hause genauso wohl, wie wenn man mit ihm irgendwohin ausgeht. Und deswegen will sie jetzt so einen wie Putin!
"Personenkult light" in einem Land, dem noch zwei Generationen zuvor - unter Josef Stalin - mit der Brutalversion aufoktroyierter Führerverehrung der Totalitarismus in die Gehirne und in die Seele gehämmert worden war: Putin-Schlager, Putin-Portraits gerahmt und unter Glas in beliebiger Größe, hagiographisch-byzantinisches Huldigen der Person Putins in den Medien Russlands... Ist diese Art von - sagen wir - "Putinismus" ein modernes 1:1-Derivat des Stalinismus? - Nein, so weit geht auch Boris Reitschuster nicht. Noch nicht.
Aber: Russland-Korrespondent Reitschusters 330-Seiten-Band mit dem ganz süffig klingenden Titel "Putins Demokratur - Wie der Kreml den Westen das Fürchten lehrt" zieht eine ernüchternde Bilanz nach sieben Jahren Amtszeit von Wladimir Putin. Reitschusters Buch ist im guten Sinn journalistisch geschrieben, lässt in Reportagefragmenten Menschen aller Schichten in Alltags- wie in Extremsituationen zu Wort kommen -, und mit besonderer Lust teilt Reitschuster an die Adresse westlicher Putin-Verbündeter aus: Alt-Bundeskanzler Schröder und dessen enges Verhältnis zum russischen Staatsoberhaupt wird ebenso bissig seziert wie das Auftreten des einen oder anderen regierungsnahen deutschen Ost-Experten, die in Berliner Kreisen hinter vorgehaltener Hand - die alte Diktion aufgreifend - auch schon mal als "Pro-Kreml-Propagandisten" bzw. prosaischer als "Einflussagenten" bezeichnet werden.
Reitschuster dagegen teilt die Ansicht, dass sich der Westen, dass sich die rot-grüne Bundesregierung etwa im Fall des zerschlagenen Ölkonzerns "JUKOS" und dessen seither im Straflager einsitzenden einstigen Inhabers Chodorkovskij nicht gerade mit Ruhm bekleckert habe. Zahnlos-halblaute Kritik zum Nutzen und Frommen künftiger guter Geschäfte habe Putin am Ende zu einer zynisch anmutenden Replik herausgefordert, die nun gerade den Predigern der Marktwirtschaft schrill in den Ohren geklungen haben muss:
" Sie alle wissen, wie die Privatisierung bei uns in den 90er Jahren verlaufen ist. Für wenig Geld haben sich große Unternehmen staatliches Eigentum angeeignet. Heute greift der Staat zu absolut legalen und marktwirtschaftlichen Mechanismen und sichert damit seine Interessen ab. Ich halte dies für normal."
Früher nannte man so etwas "Dialektik". - Auch das inzwischen gern verwendete Argument, Putins Politik sorge doch für Stabilität im Land, klopft Reitschuster auf seinen Wahrheitsgehalt ab: Zwar herrsche inzwischen zumindest in den Metropolen Russlands tatsächlich ein bescheidener Wohlstand, der Geldzufluss sei allerdings im wesentlichen das Ergebnis drastisch gestiegener Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft. Dieses Geld verteile der Staat in Maßen. Eine längst überfällige, breiter angelegte Wirtschaftsstruktur-Politik lasse dagegen immer noch auf sich warten. Die tonangebenden Zirkel, vermutet Reitschuster, bewege nämlich offenbar etwas ganz anderes:
20 Jahre nach dem Beginn der Perestrojka trachtet Russland nach einer Revanche für die Niederlage im Kalten Krieg. Immer wieder tauchen Verschwörungstheorien auf. (...) Moskaus neue Elite sieht das Ende der Sowjetunion nicht als Befreiung vom Bolschewismus und Sieg über eine Diktatur, sondern als Kapitulation. In Russland glaubt man, der Westen habe das Land unter Jelzin schwächen und zur Rohstoffkolonie machen wollen. In Ansätzen ist diese Kritik berechtigt. Tragischerweise sieht man aber in Jelzin nicht jemanden, der die Demokratie missbrauchte, sondern in der Demokratie einen Missbrauch Russlands und ein Trojanisches Pferd.
Reitschusters Prognose für die nahe Zukunft kommt düster daher. Dabei lässt er für Putins Handlungsweise sogar so etwas wie Verständnis aufblitzen:
Es war ein gewaltiger Irrtum des Westens, lange so zu tun, als könne sich Russland nach siebzig Jahren Kommunismus von heute auf morgen zu einer echten Demokratie wandeln. Niemand darf von Wladimir Putin erwarten, dass er sich im Kreml als Musterdemokrat erweist. Für einen russischen Präsidenten könnte das politischen Selbstmord bedeuten. Doch statt sich mit winzigen Schritten in Richtung Demokratie, Menschenrechte und Bürgergesellschaft zu bewegen, marschiert Russland mit festem Schritt in Richtung autoritärer Vergangenheit, hin zu einer Mischung aus Kommunismus und Zarismus.
Reitschuster ist es gelungen, einen keineswegs an der Oberfläche verharrenden Überblick über die Realität im heutigen Russland vorzulegen. Auch wer die Vorgeschichte des Systems Putin nachvollziehen will, die Wurzeln, die hinein bis in das System Jelzin reichen, dem ist Reitschusters Buch zu empfehlen. Und nicht zuletzt: Welche Rolle der Westen und dessen keineswegs immer altruistisch motivierter Umgang mit Russland spielt, nennt er deutlich beim Namen. Der Erkenntnisgewinn daraus macht nachdenklich. Ob Reitschusters skeptische Prognosen zur Zukunft Russlands zutreffen werden? Zu wünschen wäre es den Menschen dort sicherlich nicht. Verkehrt wäre es allerdings, seine historisch und empirisch aus dem Alltagserleben entwickelten Voraussagen als einseitig, falsch oder überzogen abzutun. Eine gar nicht so kleine, zugleich einflussreiche Gruppe distanzlos-unkritischer Russland-Lobredner hierzulande wird ihm aber genau dies vorzuwerfen versuchen. Reitschuster wird gut damit leben können.
Boris Reitschuster: Putins Demokratur - Wie der Kreml den Westen das Fürchten lehrt
Econ Verlag, Berlin 2006, 335 Seiten, 19,95 Euro.
...so einen wie Putin - so voller Kraft,
so einen wie Putin, der nicht trinkt,
so einen wie Putin, der sie nicht schlecht behandelt,
so einen wie Putin, der nicht davonläuft...
Gestern habe sie Putin im Fernsehen gesehen. Die Welt stehe an einem Scheideweg, habe er gesagt. Mit einem wie Putin fühlt man sich zu Hause genauso wohl, wie wenn man mit ihm irgendwohin ausgeht. Und deswegen will sie jetzt so einen wie Putin!
"Personenkult light" in einem Land, dem noch zwei Generationen zuvor - unter Josef Stalin - mit der Brutalversion aufoktroyierter Führerverehrung der Totalitarismus in die Gehirne und in die Seele gehämmert worden war: Putin-Schlager, Putin-Portraits gerahmt und unter Glas in beliebiger Größe, hagiographisch-byzantinisches Huldigen der Person Putins in den Medien Russlands... Ist diese Art von - sagen wir - "Putinismus" ein modernes 1:1-Derivat des Stalinismus? - Nein, so weit geht auch Boris Reitschuster nicht. Noch nicht.
Aber: Russland-Korrespondent Reitschusters 330-Seiten-Band mit dem ganz süffig klingenden Titel "Putins Demokratur - Wie der Kreml den Westen das Fürchten lehrt" zieht eine ernüchternde Bilanz nach sieben Jahren Amtszeit von Wladimir Putin. Reitschusters Buch ist im guten Sinn journalistisch geschrieben, lässt in Reportagefragmenten Menschen aller Schichten in Alltags- wie in Extremsituationen zu Wort kommen -, und mit besonderer Lust teilt Reitschuster an die Adresse westlicher Putin-Verbündeter aus: Alt-Bundeskanzler Schröder und dessen enges Verhältnis zum russischen Staatsoberhaupt wird ebenso bissig seziert wie das Auftreten des einen oder anderen regierungsnahen deutschen Ost-Experten, die in Berliner Kreisen hinter vorgehaltener Hand - die alte Diktion aufgreifend - auch schon mal als "Pro-Kreml-Propagandisten" bzw. prosaischer als "Einflussagenten" bezeichnet werden.
Reitschuster dagegen teilt die Ansicht, dass sich der Westen, dass sich die rot-grüne Bundesregierung etwa im Fall des zerschlagenen Ölkonzerns "JUKOS" und dessen seither im Straflager einsitzenden einstigen Inhabers Chodorkovskij nicht gerade mit Ruhm bekleckert habe. Zahnlos-halblaute Kritik zum Nutzen und Frommen künftiger guter Geschäfte habe Putin am Ende zu einer zynisch anmutenden Replik herausgefordert, die nun gerade den Predigern der Marktwirtschaft schrill in den Ohren geklungen haben muss:
" Sie alle wissen, wie die Privatisierung bei uns in den 90er Jahren verlaufen ist. Für wenig Geld haben sich große Unternehmen staatliches Eigentum angeeignet. Heute greift der Staat zu absolut legalen und marktwirtschaftlichen Mechanismen und sichert damit seine Interessen ab. Ich halte dies für normal."
Früher nannte man so etwas "Dialektik". - Auch das inzwischen gern verwendete Argument, Putins Politik sorge doch für Stabilität im Land, klopft Reitschuster auf seinen Wahrheitsgehalt ab: Zwar herrsche inzwischen zumindest in den Metropolen Russlands tatsächlich ein bescheidener Wohlstand, der Geldzufluss sei allerdings im wesentlichen das Ergebnis drastisch gestiegener Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft. Dieses Geld verteile der Staat in Maßen. Eine längst überfällige, breiter angelegte Wirtschaftsstruktur-Politik lasse dagegen immer noch auf sich warten. Die tonangebenden Zirkel, vermutet Reitschuster, bewege nämlich offenbar etwas ganz anderes:
20 Jahre nach dem Beginn der Perestrojka trachtet Russland nach einer Revanche für die Niederlage im Kalten Krieg. Immer wieder tauchen Verschwörungstheorien auf. (...) Moskaus neue Elite sieht das Ende der Sowjetunion nicht als Befreiung vom Bolschewismus und Sieg über eine Diktatur, sondern als Kapitulation. In Russland glaubt man, der Westen habe das Land unter Jelzin schwächen und zur Rohstoffkolonie machen wollen. In Ansätzen ist diese Kritik berechtigt. Tragischerweise sieht man aber in Jelzin nicht jemanden, der die Demokratie missbrauchte, sondern in der Demokratie einen Missbrauch Russlands und ein Trojanisches Pferd.
Reitschusters Prognose für die nahe Zukunft kommt düster daher. Dabei lässt er für Putins Handlungsweise sogar so etwas wie Verständnis aufblitzen:
Es war ein gewaltiger Irrtum des Westens, lange so zu tun, als könne sich Russland nach siebzig Jahren Kommunismus von heute auf morgen zu einer echten Demokratie wandeln. Niemand darf von Wladimir Putin erwarten, dass er sich im Kreml als Musterdemokrat erweist. Für einen russischen Präsidenten könnte das politischen Selbstmord bedeuten. Doch statt sich mit winzigen Schritten in Richtung Demokratie, Menschenrechte und Bürgergesellschaft zu bewegen, marschiert Russland mit festem Schritt in Richtung autoritärer Vergangenheit, hin zu einer Mischung aus Kommunismus und Zarismus.
Reitschuster ist es gelungen, einen keineswegs an der Oberfläche verharrenden Überblick über die Realität im heutigen Russland vorzulegen. Auch wer die Vorgeschichte des Systems Putin nachvollziehen will, die Wurzeln, die hinein bis in das System Jelzin reichen, dem ist Reitschusters Buch zu empfehlen. Und nicht zuletzt: Welche Rolle der Westen und dessen keineswegs immer altruistisch motivierter Umgang mit Russland spielt, nennt er deutlich beim Namen. Der Erkenntnisgewinn daraus macht nachdenklich. Ob Reitschusters skeptische Prognosen zur Zukunft Russlands zutreffen werden? Zu wünschen wäre es den Menschen dort sicherlich nicht. Verkehrt wäre es allerdings, seine historisch und empirisch aus dem Alltagserleben entwickelten Voraussagen als einseitig, falsch oder überzogen abzutun. Eine gar nicht so kleine, zugleich einflussreiche Gruppe distanzlos-unkritischer Russland-Lobredner hierzulande wird ihm aber genau dies vorzuwerfen versuchen. Reitschuster wird gut damit leben können.
Boris Reitschuster: Putins Demokratur - Wie der Kreml den Westen das Fürchten lehrt
Econ Verlag, Berlin 2006, 335 Seiten, 19,95 Euro.