Lennart Pyritz: Chimären, so heißen die Mischwesen aus tierischen und menschlichen Zellen, um die es geht. In Japan bekamen Forscher der Universität Tokio nun grünes Licht dafür, solche Chimären nicht nur zu züchten, sondern künftig sogar erstmals auf die Welt bringen zu dürfen. Der Wissenschaftsjournalist Michael Lange befasst sich bereits seit vielen Jahren mit diesem Thema. Herr Lange: Was sind das für Mischwesen? Wie sehen die aus?
Michael Lange: Rein äußerlich wie ganz gewöhnliche Mäuse. In ihrem Innern wachsen aber menschliche Zellen heran, die im sich entwickelnden Embryo zu Organen heranreifen. In dem konkreten Fall, für den jetzt in Japan die Genehmigung erteilt wurde, zu einer Bauchspeicheldrüse.
Pyritz: Warum züchten Wissenschaftler solche Mischwesen als künftige Organspender?
Lange: Es fehlen Spenderorgane für kranke Menschen. Um denen zu helfen, braucht man Organe, die nicht vom Empfänger abgestoßen werden. Und eine neue Technik hilft dabei: Sie macht es möglich, dass Körperzellen. die dem Patienten entnommen wurden, zu vollständigen Organen heranwachsen. In einem ersten Schritt werden dazu im Labor aus menschlichen Hautzellen sogenannte IPS-Zellen gezüchtet - induzierte pluripotente Stammzellen, die sehr wandlungsfähig sind. Diese IPS-Zellen werden dann in einen Tierembryo eingepflanzt und reifen dort zu Organen heran. Weil das Erbgut dieser Organe weitgehend jenem des Zellspenders entspricht, werden diese Organe dann nicht abgestoßen, wenn sie transplantiert werden - das ist zumindest die Hoffnung bzw. das Ziel.
Die Vision: Ersatzorgane, die der Empfänger nicht abstößt
Pyritz: Was bedeutet diese Vermischung von menschlichen und tierischen Zellen aus ethischer Sicht? Ist so etwas akzeptabel?
Lange: Die Grenze zwischen Tier und Mensch wird hier klar überschritten. Und weil die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier grundlegend für unser Menschenbild und viele Religionen ist, wirft das ethische Fragen auf. Der Deutsche Ethikrat hat sich 2011 mit dem Thema befasst und eine umfassende Stellungnahme veröffentlicht. Darin kam er zu dem Schluss, dass es bislang noch keine Hinweise darauf gibt, dass bis dato gezüchtet Mischwesen menschliche Eigenschaften entwickelt hätten. Weil das aber prinzipiell möglich wäre, sei diese Grenzüberschreitung nicht akzeptabel. Chimären sind zwar keine Menschen, aber ihre Geburt sollte dennoch unzulässig bleiben.
Pyritz: Ob wir es nun wollen oder nicht: Diese Forschung findet ja bereits statt. Ist es realistisch, dass sie helfen könnte, den Mangel an Spenderorganen zu beseitigen?
Lange: Das ist eher unwahrscheinlich. Die Idee ist bereits alt und es gab schon viele Rückschläge. Erste Versuche fanden bereits im Jahr 2000 statt, damals haben Forscher menschliche Gehirnzellen in Mäuseembryonen verpflanzt. Ob man solche Experimente ethisch vertretbar sind, wurde seitdem immer wieder diskutiert, wissenschaftliche Fortschritte gab's aber kaum.
In artfremder Umgebung gedeihen menschliche Zellen schlecht
Das Hauptproblem: Menschliche Zellen, die man in Mäuse verpflanzt, gehen in der fremden Umgebung dort in aller Regel zugrunde. Die Organzüchtung in einer fremden Art erwies sich als schwieriger als gedacht. Der Weg zu funktionsfähigen Organen für Menschen ist noch weit.
Pyritz: Gibt es alternative Möglichkeiten, Organe zu züchten, die vom Immunsystem des Empfängers nicht abgestoßen werden?
Lange: Im Fall der Chimären dient das Tier ja als eine Art Bioreaktor für menschliche Zellen, die in ihm heranwachsen und in Form eines Organs Gestalt annehmen. Eine Alternative dazu wären technische Bioreaktoren, die diese Aufgabe im Labor erfüllen: Behälter, in denen aus Zellen ganze Organe heranwachsen. Viele Forschergruppen arbeiten daran, aus IPS-Zellen Organe zu züchten oder sogar zu 'drucken'. Aber der Fortschritt ist langsam.