Philipp May: Es war ein verheerendes Feuer am 11. September 2012 im pakistanischen Karatschi. 258 Menschen kamen damals bei dem Brand in einer Textilfabrik ums Leben - eine Fabrik, in der vor allem Kleider des deutschen Textil-Discounters KiK produziert wurden. In diesem Jahr nun scheiterten drei Hinterbliebene und ein Überlebender des Unglücks mit einer Schadensersatzklage gegen KiK. Der Grund: Die Verjährungsfrist nach pakistanischem Recht war schon abgelaufen.
So drängt die Frage: Sollen deutsche Unternehmen hier in Deutschland haftbar gemacht werden können, wenn ihre Partner oder Zulieferer im Ausland Menschenrechte oder Umweltstandards nicht einhalten? Entschieden jein, sagt die Große Koalition. Sie setzt auf freiwillige Selbstverpflichtungen deutscher Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechtsstandards. Ein sogenannter nationaler Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte ist auf den Weg gebracht. Wenn das nicht fruchtet, dann sollen gesetzliche Regelungen kommen, steht sogar im Koalitionsvertrag.
Doch ob es der Bundesregierung wirklich ernst damit ist, daran zweifeln Experten mittlerweile erheblich. Einer von ihnen ist Armin Paasch vom katholischen Hilfswerk Misereor. Er begleitet für die Nichtregierungsorganisation die Umsetzung dieses nationalen Aktionsplans. Er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
So drängt die Frage: Sollen deutsche Unternehmen hier in Deutschland haftbar gemacht werden können, wenn ihre Partner oder Zulieferer im Ausland Menschenrechte oder Umweltstandards nicht einhalten? Entschieden jein, sagt die Große Koalition. Sie setzt auf freiwillige Selbstverpflichtungen deutscher Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechtsstandards. Ein sogenannter nationaler Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte ist auf den Weg gebracht. Wenn das nicht fruchtet, dann sollen gesetzliche Regelungen kommen, steht sogar im Koalitionsvertrag.
Doch ob es der Bundesregierung wirklich ernst damit ist, daran zweifeln Experten mittlerweile erheblich. Einer von ihnen ist Armin Paasch vom katholischen Hilfswerk Misereor. Er begleitet für die Nichtregierungsorganisation die Umsetzung dieses nationalen Aktionsplans. Er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Armin Paasch: Guten Morgen, Herr May.
May: Herr Paasch, ducken sich die deutschen Unternehmen immer noch weg bei Verfehlungen ihrer Vertragspartner im Ausland?
Paasch: Ich denke, so generell kann man das nicht sagen. Viele Unternehmen haben durchaus die Zeichen der Zeit erkannt. Sie bekennen sich zu den Menschenrechten. Sie analysieren Menschenrechtsprobleme bei Auslandsgeschäften. Sie werden aktiv. Einige Unternehmen wie KiK, Daimler oder Tchibo bekennen sich sogar zu einer gesetzlichen Regelung. Das Problem ist aber, dass einige Wirtschaftsverbände wie die BdA das noch nicht verstanden haben. Sie laufen Sturm gegen ein Gesetz und leider bekommen sie dabei Schützenhilfe vom Bundeswirtschaftsministerium und jetzt auch vom Kanzleramt.
May: Kann man tatsächlich sagen, KiK, das sind jetzt mittlerweile die Guten? Die haben gelernt?
Paasch: Ich würde KiK jetzt nicht zu den Guten zählen, weil die Einkaufspraktiken immer noch katastrophal sind. Aber KiK hat erkannt, dass Rechtssicherheit auch für Unternehmen ein hohes Gut ist. Es ist ja so, dass KiK durchaus sehr stark darunter gelitten hat, dass sie medial sehr stark in Verruf geraten sind. Die Klage hat sie unter Druck gesetzt. Und es war auch nicht klar, welches Recht denn letztendlich zur Anwendung kommen sollte. Es war am Ende das pakistanische Recht, was letztendlich erlaubt hat, dass überhaupt die Klage angenommen wurde. Am Ende wurde aber die Klage abgelehnt - beziehungsweise sie ist gescheitert, weil im pakistanischen Recht enge Verjährungsfristen gesetzt werden. Das bedeutet Unsicherheit für die Betroffenen und es bedeutet Rechtsunsicherheit für die Unternehmen, und das hat KiK durchaus gelernt.
Misereor: Unternehmen müssen haftbar gemacht werden
May: Das heißt, wir brauchen ein deutsches Recht, das hier greift, über ein pakistanisches Recht?
Paasch: Ja, wir brauchen ein deutsches Recht, was ganz klar sagt, was Sache ist, was deutsche Unternehmen verpflichtet, die Menschenrechte im Ausland zu achten. Das heißt, dass sie sich zu den Menschenrechten bekennen, dass sie Risikoanalysen vornehmen, dass sie Maßnahmen ergreifen. Unternehmen, die das verweigern, die müssen mit einem Bußgeld belegt werden und wenn sie dadurch Schaden verursachen, dann sollen sie auch haftbar gemacht werden vor deutschen Zivilgerichten. Wir sind der Meinung, dass Menschenrechte niemals eine freiwillige Angelegenheit sein können, sondern dass das verbindlich sein muss.
May: Sie haben gerade schon namentlich das Bundeswirtschaftsministerium kritisiert. Es gibt ja diesen freiwilligen nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte. 2016 wurde das schon von der letzten Großen Koalition verabschiedet. Kann man jetzt schon sagen, der ist wirkungslos geblieben?
Paasch: Das kann man jetzt nicht sagen. Man kann durchaus sagen, dass die Unternehmen wegen des nationalen Aktionsplans bisher nicht aktiv geworden sind. Das ist wahr. Allerdings sieht der Aktionsplan ja vor, dass ein Monitoring durchgeführt wird. Das heißt, die Unternehmen sollen überprüft werden. Und es wird im Aktionsplan gesagt, wenn weniger als die Hälfte der deutschen Unternehmen ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten, wie das heißt, erfüllen, dass dann ein Gesetz kommt. Ich glaube schon, dass jetzt Unruhe auch in die Wirtschaft kommt und dass das einen gewissen Druck ausüben wird, dass die Unternehmen aktiv werden. Ob das dann aber reicht, das wage ich sehr zu bezweifeln.
May: Das heißt, Stand jetzt ist es tatsächlich so, dass weniger als die Hälfte sich um solche Themen kümmern?
Paasch: Wir haben selbst mehrere Studien durchgeführt und andere Organisationen und Wissenschaftler haben das auch getan. Unser Ergebnis war jedes Mal, dass zwar Ansätze vorhanden sind, dass zum Beispiel Grundsatzerklärungen vorhanden sind, dass die aber nicht die ganze Bandbreite der Menschenrechte abdecken, dass Risikoanalysen sehr oberflächlich ausfallen, dass die Betroffenen dazu nicht befragt werden, und dass, wenn es hart auf hart kommt, die Unternehmen sich dann doch für den Fortgang des Geschäfts entscheiden, anstatt es abzubrechen, wenn es notwendig ist.
"Monitoring und Standards weichgespült"
May: Das heißt, dieser Aktionsplan ist windelweich und nimmt Unternehmen nicht wirklich in die Pflicht - weil die, die sich nicht zu Menschenrechten bekennen wollen, die machen es eh nicht?
Paasch: Der Aktionsplan äußert ja nur die Erwartungen, dass die Unternehmen die Menschenrechte achten, und das enthält bisher keine Verpflichtungen. Kritisieren tun wir, dass das Monitoring, was dafür vorgesehen ist und was von Ernst & Young durchgeführt wird, sehr, sehr schwach ist. Es sollen nur die Verfahren geprüft werden, nicht aber die Wirksamkeit im Sinne der Menschenrechte. Das beruht auf Unternehmensantworten. Die Plausibilität wird aber nicht anständig überprüft. Es werden keine Dokumente zum Beispiel zu den Risikoanalysen und zu den Maßnahmen angefordert. Die werden damit auch nicht wirklich überprüft. Die Anforderungen bleiben hinter den internationalen Standards weit zurück und jetzt haben das Kanzleramt und das Wirtschaftsministerium noch mal einen Anlauf genommen, dieses Monitoring komplett weichzuspülen, und das Ziel ist ganz klar, die Standards so niedrigzuschrauben, dass die Hälfte der deutschen Unternehmen das ganz locker besteht und damit eine gesetzliche Regelung beziehungsweise eine Debatte darum schon im Keim erstickt wird.
May: Sie sagen mit anderen Worten, dem Kanzleramt und dem Wirtschaftsministerium innerhalb der Bundesregierung ist die Einhaltung der Menschenrechte der deutschen Unternehmen in diesem Punkt egal?
Paasch: Egal würde weder das Wirtschaftsministerium, noch das Kanzleramt sagen. Aber sie ergreifen nicht die notwendigen Schritte, die notwendig sind, um Unternehmen tatsächlich auch zu dem zu verpflichten, was die Bundesregierung eigentlich sowieso schon von den Unternehmen erwartet. Wenn jetzt dieses Monitoring so weichgespült wird, dann zeigt das, dass Profitinteressen für das Wirtschaftsministerium, aber auch für das Kanzleramt einen höheren Stellenwert haben als die Menschenrechte der Betroffenen, und das ist ein Skandal. Es ist auch ein Skandal, wenn das Wirtschaftsministerium jetzt es so darstellt, als ob die Ankündigungen im Koalitionsvertrag, dass eine gesetzliche Regelung kommt, wenn die Unternehmen nicht freiwillig ihre Sorgfaltspflichten wahrnehmen, dass das eine Art Betriebsunfall sei. Das ist ungeheuerlich und ich hoffe, dass das Kanzleramt, wenn das dann auch zu Bundeskanzlerin Merkel vordringt, da eine andere Haltung einnimmt.
May: Sowohl das Kanzleramt als auch das Wirtschaftsministerium, von Peter Altmaier geführt, gehören zur CDU. Wie verhält sich der Koalitionspartner da?
Paasch: Der Koalitionspartner hat sich schon in der letzten Legislaturperiode für ein Gesetz ausgesprochen - größtenteils. Auch da gibt es durchaus Unterschiede. Minister Hubertus Heil bekennt sich ganz klar zur Verbindlichkeit. Man kann aber nicht sagen, dass es nur ein Konflikt zwischen Union und SPD wäre. Es ist ja Gerd Müller, der Entwicklungsminister von der CSU, der als erster sich bekannt hat zu einer gesetzlichen Regelung in dieser Legislaturperiode, der das ganz klar gesagt hat, der sogar einen Entwurf für ein solches Gesetz in Auftrag gegeben hat, das dann an die Öffentlichkeit geraten ist. Das heißt, es ist kein Konflikt zwischen links und rechts oder Union und SPD. Für mich ist das ganz klar eine Frage von Fairness, Anstand und Rechtssicherheit in der Wirtschaft gegenüber den Betroffenen, gegenüber den Unternehmen, und auch Wertkonservative in der Union sollten sich diesem Anliegen auf keinen Fall verschließen.
May: Die Bundesregierung lässt deutsche Unternehmen aus der Verantwortung bei der Einhaltung von Menschenrechtsstandards im Ausland, sagt Armin Paasch vom katholischen Hilfswerk Misereor. Herr Paasch, vielen Dank für das Gespräch.
Paasch: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.