Im zentralafrikanischen Kamerun ist es nicht einfach, Antworten zum Thema sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche zu bekommen. Vielen ist es zu heikel, darüber zu sprechen. Françoise Mbala Baba ist Präsidentin einer Organisation zum Schutz von Frauen und Mädchen in der nördlichen Region Adamaoua. Sie bestätigt immerhin, dass es Priester gibt, die Kinder sexuell missbrauchen:
"Ja, wir sprechen nicht viel darüber, aber das gibt es. Wissen Sie, wir sind sehr verklemmt, man redet nicht über Sexualität. Wenn es ein Drama in der Familie gibt, dann soll das nicht bekannt werden – denn es beschmutzt den Namen der Familie, wenn ein Kind von seinem Lehrer vergewaltigt wurde. Aber manchmal wird so etwas angezeigt, daher wissen wir, dass es das Problem wirklich gibt."
Erzbischof hält das Thema für überbewertet
Allerdings ist sexueller Missbrauch für Françoise Mbala Baba kein spezifisches Problem der katholischen Kirche und der oft in Schulen tätigen Priester. Sie weiß, dass in ihrer Herkunftsregion, wo viele Muslime leben, auch muslimische Gelehrte – bisweilen schon mit vier Frauen verheiratet - Kinder missbrauchen; diese so genannten Marabouts hätten oft freie Hand, da viele Familien ihre Kinder ganz den Lehrern anvertraut würden.
Vor zwei Jahren hatte ein französisches Fernsehteam publik gemacht, dass eine ganze katholische Ordensgemeinschaft im Osten Kameruns aufgelöst wurde, weil mehrere vor allem französische Ordensmänner Jugendliche missbraucht haben sollen. Damals wurde versucht, die Sache zu vertuschen; der Erzbischof sorgte dafür, dass die Beschuldigten schnell zurück nach Frankreich gingen - deswegen ist die Kirchenhierarchie schlecht auf Mediennachfragen zu diesem Thema zu sprechen.
Der Erzbischof von Douala, Samuel Kleda, bis vor kurzem Vorsitzender der kamerunischen Bischofskonferenz, lässt sich aber doch auf Fragen zum Thema sexueller Missbrauch ein – allerdings hält er das Thema weltweit für überbewertet:
"Ich habe den Eindruck, dass man dieses Problem übertrieben hat. Man hat zu sehr mit dem Finger auf Gott gezeigt und gesagt: Hier ist der Sündenbock. Schauen Sie sich den Bericht der Vereinten Nationen zum Thema an. Er zeigt deutlich, dass der erste Ort sexuellen Missbrauchs die Familie ist. Es folgen der Sport und andere Bereiche. Ich sage nicht, dass es normal ist, was in der Kirche passiert. Es ist zu verurteilen. Aber es betrifft die ganze Gesellschaft. Jeder von uns sollte seinen Beitrag leisten, um das Problem zu lösen."
"Wenn wir von Zeit zu Zeit sündigen, ist das nicht so schlimm"
Im Vatikan und anderswo wächst erst langsam das Bewusstsein, dass neben minderjährigen Opfern besonders Ordensschwestern sexueller Gewalt durch Priester ausgesetzt sind. In Kamerun sei es sehr schwierig, diese Form des Missbrauchs zu thematisieren, sagt die Dokumentarfilmerin Edwige Tekam, denn viele Menschen in Kamerun würden erzwungenen Sex mit einer erwachsenen Person gar nicht als Straftat ansehen. Im kirchlichen Bereich, so ihre Feststellung, laufen besonders junge Ordensschwestern Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden:
"Sie stellen sich sowieso manchmal die Frage, ob sie die richtige Wahl getroffen haben – denn es gibt Versuchungen. Und gleichzeitig treffen sie auf ihre männlichen Gegenüber, die Männer der Kirche, die ihnen sagen: Letztlich sind wir Menschen, wir haben das Recht, bestimmte Empfindungen zu haben, das ist normal. Und wenn wir von Zeit zu Zeit sündigen, ist das nicht so schlimm."
Man erlebe immer wieder, dass junge Schwestern aus einer Gemeinde verschwinden, erzählt Edwige Tekam. Sie bekämen dann ein Kind dort, wo man sie nicht als Ordensfrauen kenne. Nach ein paar Monaten gäben sie das Kind zu einer Verwandten oder sogar in ein Waisenhaus und kämen zurück. Auch wenn Frauen vergewaltigt würden, könnten sie kaum vor Gericht gehen:
Tekam: "So etwas gibt es täglich, nicht nur im Kamerun, überall gibt es Anklagen gegen Kirchenmänner. Manchmal wissen alle, dass das stimmt, aber es gibt keine juristischen Beweise. Und die Gesellschaft verschließt die Augen. Selbst wenn eine Frau geschlagen wird und die Nachbarn das jeden Tag mitbekommen, will leider keiner vor Gericht als Zeuge aussagen."
Eine seltsame Taufe
Geht es um Priester oder andere hoch angesehene Persönlichkeiten, sei es besonders schwierig, Anklage zu erheben. Edwige Tekam glaubt aber, dass sexuelle Gewalt durch Priester abnehme, da immer häufiger Frauen aus freien Stücken und ganz offen eine Beziehung zu einem Priester eingehen würden. Sie selbst kennt solche Fälle. Vor einigen Jahren war sie bei einer seltsamen Taufe eingeladen. Beim abendlichen Empfang fragte sie, wer denn nun der Vater des Kindes sei; daraufhin zeigte jemand in Richtung eines Tisches.
Edwige Tekam erzählt: "Aber man hatte mir gesagt, dass an diesem Tisch die drei Priester säßen. Wie konnte einer von ihnen der Vater sein? Doch, da ist der Vater, hieß es. Ich habe sie den ganzen Abend über beobachtet, und tatsächlich: der eine Priester war der Vater der vier Kinder dieser Frau. Sie hatte keinen anderen Lebensgefährten, das war ihr Mann. Ich weiß nicht, wieviel die Ordensgemeinschaft weiß, aber ich glaube, dass wahrscheinlich sogar die Priester Bescheid wussten, die die Taufe gefeiert haben – sie fragen ja vor der Taufe, wer die Eltern sind. Ein wenig Versteckspiel war dabei, denn der Vater wurde an dem Abend nicht wie üblich offiziell vorgestellt. Aber alle wussten Bescheid."
Bei Edwige Tekam klingt es so, als könnten solche einvernehmlichen Beziehungen verhindern, dass Priester Kinder oder Erwachsene sexuell missbrauchen. Eine verbreitete Ansicht. Auch die Schriftstellerin Chantal Julie Nlend macht kaum einen Unterschied zwischen sexueller Gewalt durch Priester und Verstößen gegen den Zölibat, bei denen niemand missbraucht wird. Für sie geht es darum, dass all diese Taten der kirchliche Lehre widersprechen. Sie fürchtet vor allem um die Frömmigkeit der rund 40 Prozent Katholiken im Land:
"Ich habe festgestellt, dass vor allem viele junge Leute Schwierigkeiten haben, die Botschaft der Reinheit aus dem Evangelium anzunehmen, die die Priester und Prediger so betonen. Die Jungen sagen: Ich habe einen Priester in der Disco gesehen; hier macht ein Priester Kinder, dort hat einer ein junges Mädchen entjungfert. Wenn der Priester mir morgens sagt: So lange man nicht verheiratet ist, darf man keinen Sex haben, und kaum hat er die Messe beendet, erwische ich ihn beim Sex - dann ist die Religion doch ein Witz!"
Das Keuschheitsgelübde - die "verbotene Frucht"
Als engagierte Katholikin ist Chantal Julie Nlend verärgert darüber, in welch schlechtes Licht die Kirche durch ein solches Verhalten gerate. Deswegen hat sie einen Roman geschrieben; "Aus Fleisch und aus Geist", lautet der Titel. Die Hauptperson wird als junger Seminarist vom Sohn eines Priesters missbraucht und erliegt später dem Charme einer Frau, die mit Vorliebe junge Priester verführt. Auch im realen Leben sieht Schriftstellerin Nlend Priester eher als Opfer denn als Täter.
"Ich glaube, der Priester ist ebenso wie die Ordensschwester durch sein Keuschheitsgelübde wie eine verbotene Frucht. Manche Leute fühlen sich davon besonders angezogen. Diese verbotenen Früchte zu bekommen, ist wie ein Sieg, eine Eroberung. Deswegen provozieren manche solche Situationen, in denen die Ordensleute nachgeben. Aber nachher behaupten diese Leute, um sich freizusprechen: der Priester hat mich missbraucht oder die Ordensschwester hat mich verführt."
Auch die Armut der Priester, die nur von den Gaben ihrer Gemeinde leben, werde ausgenutzt, sagt Nlend; Frauen würden ihnen Mahlzeiten bringen und im Gegenzug Sex erwarten. Deswegen hat sie einem jungen Priester, der neu in ihre Gemeinde kam, gleich erklärt:
"Hier in dieser Stadt wird eine Frau, schon wenn du sie grüßt, angesichts deiner Schönheit behaupten, du habest mit ihr geschlafen. Du hast keine Chance, hier eine Beziehung zu führen, die nicht sofort bekannt wird. Ich rate dir: Wenn du dich eines Tages nicht mehr zurückhalten kannst, dann geh in eine andere Stadt, finde eine Frau, lebe dich aus und komme zurück."
"Vielleicht hatte unser Priester diese Schwäche"
Der junge Mann habe sich an ihren Rat gehalten – und so hätten die Leute Vertrauen zu ihm gefasst und die Gemeinde sei stetig gewachsen. Seine Sexualität in einer einvernehmlichen Beziehung auszuleben, aber das vor den Gläubigen zu verstecken, hält Chantal Julie Nlend nicht für Heuchelei, sondern für das richtige Vorgehen, um das Bild der Kirche nicht zu beschmutzen:
"Der Priester soll, wenn er Fehler begeht, sie wenigstens nicht offen begehen. Dafür bewundere ich den Islam ein bisschen. Denn ich habe einmal einen jungen Muslim gefragt, warum er heimlich verbotenerweise Alkohol trinkt und gleichzeitig ständig lautstark verkündet, dass er das nicht tue. Er erklärte mir, dass das zweierlei ist: Für sich selbst zu sündigen ist eine Sache. Aber den anderen zur Sünde zu verführen, ist noch schlimmer."
Nlend will mit ihrem Roman zwar auch vorsichtig fragen, ob der Zölibat die richtige Lebensform für Priester ist – aber sie betont, dass sie auch verheiratete evangelische Geistliche mit unmoralischem Sexleben kennt. Im Grunde hält sie es mit Erzbischof Samuel Kleda, der findet, dass die Menschen ihren Glauben nicht vom Verhalten der Priester abhängig machen sollten. Er sagt:
"Sicherlich ist ein einziger Priester, der sexuellen Missbrauch verübt, schlimmer als alles andere, wegen seines Status'. Aber die Leute sollten dann nicht sagen, dass da ein Engel fällt und es das Ende von allem ist. Wenn so etwas in der Kirche vorkommt, dann sollten die Gläubigen eher sagen: Vielleicht hatte unser Priester diese Schwäche. Versuchen wir, ihm zu helfen, damit das nicht mehr vorkommt."
Priester, die "verführt" werden und eine Kirche, deren Image beschmutzt wird – für die Opfer sexuellen Missbrauchs ist da kein Platz.