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Missbrauch in Malis Basketball
Geschlossenes System ohne Kontrolle

In Mali ist Basketball sehr populär: Der Sport gilt als möglicher Weg aus der Armut. Jetzt gibt es schwere Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs im Basketball. Trainer sollen junge Spielerinnen missbraucht haben. Der Präsident des malischen Basketball-Verbands lässt sein Amt bereits ruhen - betroffene Frauen sind aber weiterhin in Gefahr.

Von Sebastian Felser |
Ein Ball auf einem Basketball-Spielfeld.
In Mali sind Basketball-Spielerinnen offensichtlich Opfer von sexuellem Missbrauch geworden. (IMAGO / Dmitry Niko)
Trigger-Warnung: In diesem Beitrag gibt es Beschreibungen sexuellen Missbrauchs.
Die malischen Basketballerinnen haben es geschafft. Sie sind bei der U19-Weltmeisterschaft in Ungarn ins Halbfinale eingezogen. Eine unglaubliche Leistung – nicht nur sportlich, sondern vor allem mental. Denn während die jungen Frauen auf dem Spielfeld alles geben, erschüttert abseits davon ein in seiner Dimension nie dagewesener Skandal um sexuellen Missbrauch ihren Sport.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ist darauf gestoßen: "Over a period of months HRW interviewed former players for the women’s national team." Über mehrere Monate habe die Organisation ehemalige Nationalspielerinnen befragt, sagt Minky Warden, Leiterin für weltweite Kampagnen bei Human Rights Watch: "Einige Spielerinnen sind sehr talentiert und konnten so eine Karriere im Ausland starten. Sie haben aber niemals vergessen, wie sie ständig sexualisiert, herabgesetzt und missbraucht worden sind. Aus mehreren Aussagen wurde deutlich, dass der ehemalige Cheftrainer Amadou Bamba seine Position in dieser Weise missbraucht haben muss. Wir haben also zuerst mit früheren Spielerinnen gesprochen, die uns dann an noch aktive Spielerinnen vermittelt haben. Dabei war es wichtig, ihnen Anonymität zu gewähren, aber auch Unterstützung angesichts der Traumata, die sie erlitten haben."

Human Rights Watch hat Spielerinnen befragt

Human Rights Watch hat einen detaillierten, anonymisierten Bericht vorgelegt. Darin finden sich mehrere Zeugenaussagen, die die Mechanismen des jahrelangen Missbrauchs offenlegen: "Wir haben dasselbe Muster immer wieder festgestellt: vor allem, wenn das Team zu Turnieren gereist ist, aber auch bei anderen Gelegenheiten. Der Cheftrainer kam mitten in der Nacht ins Hotelzimmer der Mädchen, vor allem der jüngeren, die wehrlos waren und wollte Sex. Wenn die Mädchen nicht mitmachen wollten, war die 'Strafe', dass sie auf die Ersatzbank kamen. Und im Zweifelsfall hat er sie aus dem Team rausgeworfen."
Amadou Bamba sitzt inzwischen in Mali in Haft. Dort wartet der Ex-Cheftrainer auf das Hauptverfahren gegen ihn. Basketball ist sehr populär in Mali. Der Sport ist für viele talentierte junge Menschen ein möglicher Weg aus der Armut. Mali nimmt regelmäßig und erfolgreich an internationalen Turnieren teil. Entsprechend hat der Skandal viel Aufmerksamkeit in dem westafrikanischen Land bekommen. Oumou Sissako arbeitet als Kauffrau in der Hauptstadt Mali. Sie war schockiert von diesen Vorgängen: "Nachdem ich diese traurigen Nachrichten gelesen hatte, war ich sehr betroffen – gerade als Frau, denn da benutzt jemand seine Position, um junge Frauen zu missbrauchen. Frauen, die eine Vision haben, Frauen, die vom Basketball träumen und ihre Träume verwirklichen wollen – das hat mich wirklich berührt."
Auch Ousmane Sangaré arbeitet in Bamako – er ist Beamter und fordert harte Strafen, sobald das Gericht final die Schuld des angeklagten ehemaligen Cheftrainers festgestellt hat: "Man muss Täter mit harten Strafen belegen und gleichzeitig die Frauen und Mädchen ermutigen, die Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind. Wir brauchen Strafanzeigen und Urteile – die Straflosigkeit geht nämlich Hand in Hand mit der Korruption in diesen Bereichen."

Strafen und Aufarbeitung des Missbrauchs lassen auf sich warten

Konsequente Strafen für die Täter und diejenigen, die solch einen Missbrauch ermöglichen – davon scheint Mali und auch der internationale Basketball weit entfernt zu sein. Eher gehen Straffreiheit und Korruption in diesem Bereich tatsächlich Hand in Hand.
Amadinge Sagara arbeitet als Journalist in Mali, hat sich mit Sport, aber auch mit der Situation von Frauen und Mädchen insgesamt beschäftigt. Er sagt, die Realität sehe so aus: "Straflosigkeit! Und ich glaube, die Tatsache, dass wir es hier mit jungen Frauen zu tun haben, die solche Vorgänge beim Namen nennen und es auf der anderen Seite aber Männer gibt, die Frauen missbrauchen und genau wissen, dass ihnen danach überhaupt keine Strafe droht, das bestärkt die Täter noch."
Deswegen, so Sagara, komme es immer wieder zu Missbrauch in Mali – nicht nur im Basketball: "Es passiert immer wieder – und zwar überall: in der Armee, im Basketball, im Fußball, leider, muss man feststellen, auch an den Schulen. Gleichzeitig ist das ein Tabu-Thema. Man spricht nicht darüber. Die Frauen haben Angst, dass sie stigmatisiert werden. Sie fürchten die Demütigung, also sagen viele Frauen nichts."

Verstrickungen zwischen dem nationalen und dem internationalen Basketballverband

Im malischen Basketball ist ein weiteres Problem, dass zwar mit dem Ex-Cheftrainer Bamba der mutmaßliche Haupttäter in Haft sitzt, seine Helfer – alle, die diesen Missbrauchskomplex ermöglicht haben – sind aber noch im Amt. Minky Warden von Human Rights Watch: "Der internationale Basketball-Verband FIBA hat zwar den Präsident des nationalen malischen Basketball-Verbandes suspendiert, aber seine Gefolgsleute sind noch immer da. Und das kommt nicht von ungefähr: Der FIBA-Präsident Hamane Niang kommt auch aus Mali und er ist noch im Amt. Er muss zwar bis die Sache geklärt ist sein Amt ruhen lassen, aber er ist noch immer der Spitzenvertreter des internationalen Basketballs. Das sollte er keinen weiteren Tag mehr sein, denn entweder wusste er von dem Missbrauch oder, wenn nicht, dann hätte er es wissen müssen."
So tut sich also der nationale Basketball-Verband in Mali schwer mit der Aufarbeitung – gleichzeitig ist dieser aber eng verstrickt mit dem internationalen Basketball-Verband FIBA. Die Situation wird noch deutlich prekärer angesichts der Tatsache, dass ja gerade in Ungarn ein internationales Basketball-Turnier der U19-Basketballerinnen läuft. Die jungen Frauen sind also wieder unterwegs, wieder in Hotelzimmern, wieder genau in einer Situation, die Missbrauch möglich macht.

Betroffene sind in Gefahr


"Es gibt die Gefahr, dass den Mädchen jemand körperlich wehtut – als Vergeltungsmaßnahme – bis hin zum Mord. Die Mädchen können weiter traumatisiert werden, denn sie haben ja schon sexuellen Missbrauch und sexualisierte Gewalt erlebt und sie haben auch schon erlebt, dass es eine 'Strafe' gibt, wenn sie nicht mitmachen. Sie können sich also wirklich nirgendwo hin wenden, um Hilfe zu bekommen – das ist eine Situation, wie wir sie im Sport in dieser extremen Form noch nie erlebt haben", sagt Warden.
Fußballplatz im Flutlicht
Sexualisierte Gewalt - Keine Hilfe für Betroffene
Vor einem halben Jahr lud die Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch zum Hearing nach Berlin. DOSB-Vize-Präsidentin Petra Tzschoppe entschuldigte sich bei Betroffenen sexualisierter Gewalt im Sport für das Leid, das ihnen widerfahren ist. Die versprochene Unterstützung bleibt unklar.
Deswegen hat sich neben Human Rights Watch auch die Sportler-Vereinigung Athleten Deutschland an zahlreiche Funktionäre gewandt. Der Appell hat noch an Dringlichkeit gewonnen, nachdem offenbar Malis Basketball-Funktionäre eine der Spielerinnen ausgemacht haben wollen, die die Vorwürfe an Human Rights Watch herangetragen hat. Der Cheftrainer hat sie kurzfristig aus dem Team für Ungarn entfernt.
Maximilian Klein ist bei Athleten Deutschland zuständig für internationale Sportpolitik und Safe Sport, also dafür, dass es für jede Sportart eine Stelle gibt, die sicherstellen soll, dass es nicht zu Missbrauch kommt und an die sich Sportlerinnen und Sportler wenden können. Er ist entsetzt von dem, was sich im malischen Basketball abspielt: "Meines Wissens wurden FIBA-Funktionäre kontaktiert, auch wegen der Dringlichkeit, weil die Whistleblowerin eben nicht nominiert wurde für die U19-Weltmeisterschaft in Ungarn. Es wurde offenbar eine Verletzung vorgetäuscht, die eben dazu führte, dass sie nicht im Team stand."

Athleten Deutschland dringt auf Unterstützung für Whistleblowerinnen

Trotz all der Indizien, die einen Richter in Mali sogar dazu bewogen haben, den ehemaligen Cheftrainer Bamba bis zu seinem Prozess in Haft festzusetzen – von den offiziellen Stellen, vom Weltbasketballverband FIBA, vom Internationalen Olympischen Komitee kam quasi keine Reaktion. Nur der Verweis auf eine laufende Untersuchung, so Klein:

"Eine unabhängige Untersuchungskommission durch Richard McLaren hat Untersuchungen aufgenommen – das ist erst mal positiv zu bewerten. Auf der anderen Seite muss man erwähnen, dass es sich hier auch um persönliche Verstrickungen mehrerer Funktionäre handelt. Da gibt es wechselseitige Beziehungsgeflechte zwischen Funktionären auf nationaler und auf internationaler Ebene, sodass davon auszugehen ist, dass viele davon wissen mussten und dass scheinbar auch über Jahre vertuscht wurde. Das liegt eben auch daran, dass solche Systeme im Sport oft geschlossene Systeme sind, die keinerlei Kontrolle unterliegen."
Dabei brauchen die malischen Basketballerinnen, da ist sich Klein mit Warden einig, genau jetzt so viel Unterstützung wie möglich: "Es scheint so gewesen zu sein, dass ihnen auch vor Gericht unzureichender Zugang zu anwaltlicher Vertretung zur Verfügung gestellt wurde. Sie hatten offenbar keinen ausreichenden Zugang zu psychosozialer Unterstützung. Eine Whistleblowerin musste offenbar ihrem Täter gegenüberstehen, ohne adäquate Unterstützung erfahren zu haben", sagt Klein.
Am Ende dieses Wochenendes werden wir wissen, wie die malischen Basketballerinnen bei der U19-Weltmeisterschaft abgeschnitten haben. Ob wir jemals erfahren werden, welche Dimension der Missbrauchskomplex in Mali tatsächlich hatte und Tätern sowie Mitwissern der Prozess gemacht werden kann, ist dagegen äußerst ungewiss.