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Korruption, Missbrauch und Autokratien
Ist der Sport noch zu heilen?

Von Posten-Geschacher bis hin zu Geldwäsche – der Weltsport hat viele Probleme. Um sie zu lösen, fordert Olympia-Kritiker Jules Boykoff eine „Demokratie-Infusion“. Der ehemalige FIFA-Kontrolleur Miguel Maduro setzt auf eine unabhängige Aufsichtsbehörde und sieht die EU in der Pflicht.

Von Maximilian Rieger |
Der russische Präsident Wladimir Putin und IOC-Präsident Thomas Bach (re.)
Jahrelang galt Thomas Bach als guter Freund von Wladimir Putin. Selbst nachdem der Präsident Russlands den Befehl gegeben hatte, das Nachbarland Ukraine zu überfallen, distanzierte sich der IOC-Präsident nur zögerlich vom Kremlchef. (dpa / picture alliance / Mikhail Klimentyev)
Der Sport als System, das krank ist und Heilung braucht – mit diesem Bild kann Francesco Ricci Bitti nichts anfangen. Das macht der Präsident der Vereinigung aller olympischen Sommer-Sportverbände gleich zu Beginn der Play the Game Konferenz im dänischen Odense klar.
"Ich habe noch nie geglaubt, dass der Sport krank ist, also brauchen wir auch nicht so viel Heilung. Aber wir können natürlich vieles besser machen, das ist wahr", sagt der italienische Funktionär.
Der ehemalige italienische Sportfunktionär Francesco Ricci Bitti
Der ehemalige italienische Sportfunktionär Francesco Ricci Bitti (Play the Game / Thomas Søndergaard)
Bildlich gesprochen: Wenn das Sport-System ein Mensch wäre, wäre der Körper gesund. Er bräuchte nur ein wenig Training, um richtig in Form zu kommen. Diese Haltung provoziert Widerspruch.

Greenwashing, Militarisierung, Kostenexplosionen

"Damit liegt er vollkommen falsch“, sagt zum Beispiel Jules Boykoff, Politik-Professor von der Pacific University in Oregon, USA. Er kritisiert seit Jahren das Internationale Olympische Komitee und die dazugehörigen Sportverbände.
Der US-Politologe Jules Boykoff bei der Sportkonferenz "Play the Game"
Der US-Politologe Jules Boykoff (Play the Game / Thomas Søndergaard)
"Wenn man sich die Olympischen Spiele anschaut, gibt es zahlreiche Probleme, die an Olympia haften. Ganz gleich, wo sie stattfinden, die Kosten schießen oft in die Höhe. Oft wird Greenwashing betrieben, dass heißt, es werden große Töne gespuckt, die aber nicht eingehalten werden. Oft wird der öffentliche Raum militarisiert. Und oft werden arbeitende Menschen aus der Stadt verdrängt und aus ihren Wohnungen vertrieben. Ich habe in zahlreichen Olympiastädten gelebt und es mit eigenen Augen gesehen. Wenn man in Luxuslogen sitzt, bekommt man diese Dynamik vielleicht nicht aus erster Hand mit, aber ich kann Ihnen garantieren, dass sie existiert", analysiert Boykoff im Deutschlandfunk-Sportgespräch.

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Ex-FIFA-Kontrolleur fordert unabhängige Behörde

Korruption, Spielmanipulation, Steuerhinterziehung und Geldwäsche seien weitere Symptome, ergänzt Miguel Maduro. Der Portugiese war unter anderem Generalanwalt am europäischen Gerichtshof.
Wenn der Sport also krank ist – wer könnte der Arzt sein? Maduro sieht zwei Optionen.
"Die eine - und das ist die Grundlage - ist eine externe, unabhängige Behörde, die zumindest die Einhaltung von Grundprinzipien integrer Führung überwacht. ob Verbände die Grundsätze einer integren Führung einhalten. Ob sie sich an echte demokratische Wahlen halten, ob sie Frauen nicht diskriminieren."

Maduro hofft auf Europäische Union

Für so eine unabhängige Behörde international Rückhalt zu finden, sei aber schwierig, so Maduro. Er schlägt daher vor, dass die Europäische Union die Führung übernimmt. Sie hätte – wenn sie wollte – genug Macht, der UEFA und FIFA ein solches System aufzuzwingen.
Wie schwer es sein kann, das Systems von Innen zu verändern, hat Maduro selbst erlebt. 2016 wird er nach dem FIFA-Korruptionsskandal der Vorsitzende einer neuen Kommission, die kontrollieren soll, ob der Fußball-Weltverband sich an seine eigenen Regeln hält.
Nach zehn Monaten wird Maduro abgesetzt, unter anderem, weil seine Kommission verhindert, dass der russische Sportminister Witali Mutko gleichzeitig auch noch einen Platz im FIFA-Council erhält.

"Idee der Rechtstaatlichkeit ist fremd"

Ein Minister eines Landes in einem FIFA-Gremium ist laut Statuten nicht erlaubt – trotzdem übt FIFA-Präsident Gianni Infantino Druck auf Maduro aus, Mutko zuzulassen.
„Das hat dazu geführt, dass ich verstanden habe, wie fremd die Idee der Rechtstaatlichkeit in der Kultur dieser Organisationen ist. Und ich denke, das ist vielleicht das wichtigste Problem der Sportorganisationen: dass echte demokratische Mechanismen fehlen – und das in Kombination mit der fehlenden Rechtsstaatlichkeit.“
Mehr Demokratie im Sport-System ist deswegen Maduros zweite Forderung. Erst wenn zum Beispiel auch die Fans mit in die Entscheidungen einbezogen werden, könnte das politische Kartell der Verbände ins Wanken gebracht werden.

Demokratische Staaten könnten Chance verpasst haben

Allerdings könnte es sein, dass die westlichen Demokratien den Moment bereits verpasst haben, das Sport-System demokratischer zu gestalten. Ihr Einfluss auf die internationalen Sportverbände sinkt, während autokratische Staaten wie China oder Saudi-Arabien an Macht gewinnen.
"Die Krise des Jahres 2015, die Aufdeckung einer Reihe von Korruptionsskandalen durch das Justizministerium der Vereinigten Staaten, hat viele Sponsoren dazu veranlasst, damit zu drohen, der FIFA ihr Sponsoring zu entziehen", sagt Maduro.
"Und das war ein Anreiz für Reformen. Aber seitdem wurden Sponsoring-Verträge mit Unternehmen aus Regimen abgeschlossen, die viel weniger empfindlich sind. Diese Gelegenheit wurde also zu größtenteils verpasst."

"Bach hat das IOC autokratischer gemacht"

Um den Sport zu heilen, brauche es eine „Demokratie-Infusion“, meint auch Jules Boykoff.
Vom IOC unter Präsident Thomas Bach erwarte er keinen Wandel. „Ich glaube, seit er gewählt wurde, hat er die Organisation in die entgegengesetzte Richtung gelenkt. Unter seiner Herrschaft ist es viel autoritärer geworden.“
Deswegen müssten die Impulse von anderen kommen, vor allem von den Athletinnen und Athleten.
In den vergangenen Jahren hätten sich zwar in einzelnen Ländern – zum Beispiel Deutschland – Athletenvertretungen etabliert, die Druck auf die Verbände ausüben.

Athletenvertretungen bräuchten mehr Unterstützung

Um mehr zu erreichen, müssten sich aber die Rahmenbedingungen ändern, meint Nicole Dryden. Die Schwimmerin hat 1992 und 1996 für Kanada an den Olympischen Spielen teilgenommen und vertritt jetzt als Menschenrechtsanwältin Athletinnen und Athleten.
"Ich glaube nicht, dass wir die Kontrolle übernehmen werden, wenn wir nicht ein bisschen mehr Ressourcen haben, um die Arbeit zu erledigen. Das machen wir gerade alle kostenlos und werden damit ausgebeutet. Wissen Sie, Athleten, die in Athletenkomissionen sitzen, werden normalerweise nicht bezahlt, alle anderen schon. So läuft das in den Gremien."

"Ich war offensichtlich das Haar in der Suppe"

Sie selbst habe erst nach ihrer Karriere einen Wandel vollzogen, vom Glauben an den Olympischen Geist hin zu einer Kritikerin der Olympischen Bewegung. Im Internationalen Schwimmverband habe sie mit dieser Haltung keine Chance. Sie habe sich für ein Reformkomitee beworben, erzählt Dryden. Aber sie sei vom Präsidenten nicht einmal nominiert worden.
"Ich bin eine Olympiateilnehmerin im Schwimmen, ich habe Weltcup Rennen gewonnen, ich war Journalistin, die über Weltmeisterschaften berichtet hat, ich war ehrenamtliche Trainerin in Entwicklungsländern und mir liegt der Schwimmsport sehr am Herzen und ich möchte den Schwimmsport in der ganzen Welt verbreiten. Aber offensichtlich haben sie mich gegoogelt und wussten, dass ich ein Haar in der Suppe sein würde."

"Der Patient will die Behandlung nicht"

Genug Ideen für eine mögliche Kur für den Sport gibt es aber. Vielfach hat sich der Sport das Rezept auch schon bereits selbst ausgestellt, meint Jules Boykoff.
"Es gibt wunderbare Ideen in der olympischen Charta. Und Menschenrechtsanwälte wie Nikki Dryden sagen im Grunde nur: Haltet euch an diese Charta! Das ist eine sehr niedrige Messlatte."
Und trotzdem scheitere das IOC daran. Auch Miguel Maduro meint: Alle kennen die Heilung. "Nur leider will der Patient die Behandlung nicht annehmen. Deswegen muss sie von außen kommen."