Archiv

Missbrauch
"Wir müssen europaweit den Tabudeckel wegnehmen"

Der Sport in Österreich ist seit drei Wochen in Aufruhr. Es geht um den Vorwurf jahrzehntelanger sexualisierter Gewalt im Skisport. Die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg hatte entsprechende Vorwürfe erhoben und damit eine Debatte ausgelöst. Im Dlf-Interview spricht sie über den "Machtmissbrauch, der über allem steht."

Nicola Werdenigg im Gespräch im Andrea Schültke |
    Ein Schild weist auf die Skimittelschule (damals Skihauptschule) Neustift im Stubaital mit dem dazugehörigen Internat hin.
    Nach den Aussagen der Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg rückt die frühere Skihauptschule Neustift mit ihrem Internat in den Mittelpunkt der Missbrauchsvorwürfe. (imago / Eibner Europa)
    "Es hat Übergriffe gegeben, sexualisierte Gewalt. Von Trainern, von Betreuern, von Kollegen, von Serviceleuten." So erzählt es Nicola Werdenigg vor drei Wochen der österreichischen Zeitung "Der Standard". Die heute 59jährige berichtet, sie sei mit 16 unter Alkohol gesetzt und von einem Mannschaftskollegen vergewaltigt worden. Mit diesen Aussagen hat Nicola Werdenigg den Österreichischen Skiverband in Bedrängnis gebracht. Der mächtige Präsident des Verbandes soll der ehemaligen Athletin mit Klage gedroht haben, hieß es zunächst. Dann relativierte er.
    Immer mehr Betroffene meldeten sich auch mit Vorwürfen gegen Medaillenschmieden wie etwa Ski-Internate. Dort sollen grenzverletzende und erniedrigende Aufnahmerituale für neue Athletinnen und Athleten praktiziert und geduldet worden sein. Nicola Werdenigg hat etwas angestoßen im österreichischen Sport.
    Nicola Werdenigg sagt im Dlf-Interview, dass sie diesen Schritt nicht bereue und dass sie froh sei, an die Öffentlichkeit gegangen zu sein: "Es war eine ereignisreiche Zeit. Und es ist mir von Tag zu Tag besser gegangen als ich bemerkt habe, dass ganz viele Betroffene jetzt über sehr lang verschwiegene Dinge auch sprechen konnten und sehen, dass das, was sie erleiden mussten, einfach gehört wird jetzt."
    Für die ehemalige Skisportlerin sei es keine spontane Entscheidung gewesen. Ihr sei aufgefallen, dass das Thema sexualisierte Gewalt verstärkt ein gesellschaftliches Thema wird. "Ich kritisiere die totalen Sportsysteme seit 20 Jahren. […] Und die #Metoo-Debatte war irgendwo eine Möglichkeit, ein Thema anzusprechen, für das jetzt eine breite Öffentlichkeit sensibilisiert ist."
    Das Problem sei aber nicht nur die sexualisierte Gewalt und auch nicht nur in Österreich, sondern der "Machtmissbrauch, der über allem steht. Ich beziehe mich da auf den ganzen Sport weltweit." Werdenigg stellt sich ein europaweites Netzwerk vor, "das alle Sportarten interdisziplinär und international über die Grenzen hinweg beobachtet und helfen kann und präventiv auch einschreiten kann." Dafür müsse eine Kommunikationsplattform ins Leben gerufen wurden, die alle Sportarten umspannt.
    Das gesamte Gespräch können Sie mindestens sechs Monate in unserer Mediathek nachhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.