Sexuelle Gewalt
Missbrauchsbeauftragte Claus: "Es gibt praktisch keinen Kinder- und Jugendschutz im Netz"

Nach Einschätzung der Missbrauchsbeauftragten Claus ist es für viele Minderjährige mittlerweile vollkommen normal, mit sexueller Gewalt im Netz konfrontiert zu sein. Es sei "absolut alarmierend", wie Kriminelle völlig ungehemmt den Kontakt zu Kindern und Jugendlichen anbahnen würden, sagte Claus der Deutschen Presse-Agentur. Ein aktueller Bericht unterstreicht den Befund, dass es im Netz keinen ausreichenden Jugendschutz gibt.

    Ein kleines Mädchen sitzt auf einem Sofa und schaut aufs Tablet.
    Der Gesetzgeber müsse Anbieter von Videoplattformen, Sozialen Netzwerken und Online-Spielen mit Chatfunktion stärker in die Pflicht nehmen, meint Claus. (imago stock&people)
    Minderjährige agierten und kommunizierten im Netz letztlich ungeschützt. Betroffene Kinder stünden unter enormem Druck, der in einigen Fällen zum Suizid führe, erklärte die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Es sei daher wichtig, einfache Melde- und Beschwerdewege sowie Hilfsangebote auszubauen. Ermittlungsbehörden bräuchten mehr Ressourcen.

    Sicherheitseinstellungen nicht ausreichend

    Zudem müsse der Gesetzgeber Anbieter von Videoplattformen, Sozialen Netzwerken und Online-Spielen mit Chatfunktion stärker in die Pflicht nehmen, betonte Claus. Online-Anbieter seien zwar jetzt schon verpflichtet, Minderjährige etwa über sichere Voreinstellungen auf ihren Seiten zu schützen. Diese Vorgaben müssten in der Praxis aber auch umgesetzt und nachgehalten werden, forderte Claus.
    Darüber hinaus brauche es verbindlichere Regeln auf europäischer Ebene, um Online-Anbieter per Gesetz dazu zu zwingen, Missbrauchsdarstellungen zu identifizieren und zu melden.

    Bericht: Jugendschutz weiter unzureichend

    Auch laut dem heute in Berlin vorgestellten Jahresbericht der Fachstelle von Bund und Ländern Jugendschutz.net ist der Jugendschutz im Internet weiterhin unzureichend. Danach wurden im vergangenen Jahr 7.645 Verstoßfälle bearbeitet, was gegenüber dem Vorjahr (7.343 Fälle) eine weitere Steigerung bedeutet. Dabei mache sexualisierte Gewalt weiterhin mit zwei Dritteln den größten Anteil aus.
    Beim Gros der Verstöße handele es sich um Inhalte, deren Verbreitung "absolut unzulässig" sei, heißt es in dem Bericht. Diese Angebote dürften daher auch nicht Erwachsenen zugänglich gemacht werden. Dabei handelte es sich vor allem um Straftatbestände wie die Verbreitung von Kinderpornografie (73 Prozent), Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (9 Prozent) und Jugendpornografie (5 Prozent).
    Jugendschutz.net prüft Angebote im Netz, die bei Recherchen entdeckt oder über Online-Beschwerdestellen, Behörden und Partnerorganisationen gemeldet werden. Rechtsgrundlage der gemeinnützigen GmbH ist der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, sie wird von den Obersten Jugendbehörden der Länder, den Landesmedienanstalten und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gemeinsam getragen und finanziert.

    Meldesysteme versagen, Kontrollen unzureichend

    Es zeige sich zudem, "dass Anbieter die Jüngsten bei der Nutzung ihrer Angebote weiterhin nicht effektiv vor der Konfrontation mit gefährdenden Inhalten und Übergriffen schützen", so der der Leiter der Fachstelle, Stefan Glaser. Meldesysteme versagten und führten nicht oder nicht schnell genug zur Löschung von Verstößen. "Das ist angesichts der potenziellen Gefährdungen, die in beliebten Diensten bestehen, unbegreiflich", so Glaser weiter.
    Zentrale Schwachstelle in den vorgeschriebenen Schutzkonzepten der Anbieter bleibe die zuverlässige Altersprüfung von Nutzerinnen und Nutzern. Zwar legten fast alle von Jugendschutz.net beobachteten Plattformen ein Mindestalter fest und böten altersdifferenzierte Zugänge an. Eine entsprechende Kontrolle finde aber nur unzureichend und in vielen Fällen gar nicht statt.

    "Löschquote zu niedrig"

    Der Bericht kritisiert auch den Umgang vieler Plattformen mit gemeldeten Verstößen. So liege die Löschquote von durch Nutzer gemeldeten unzulässigen Inhalten bei den großen Anbietern wie YouTube, TikTok, Instagram und Facebook deutlich unter 40 Prozent. Instagram reagiere in immerhin 35 Prozent der Fälle, YouTube dagegen nur bei jedem zehnten. Erst nach "offiziellem Kontakt" durch Jugendschutzbehörden oder andere staatliche Stellen stiegen diese Werte auf 95 bis 98 Prozent an. Schlusslicht ist hier TikTok, wo laut Bericht selbst nach offiziellem Kontakt nur 88 Prozent der unzulässigen Inhalte auch wirklich gelöscht wurden.

    Jeder vierte Minderjährige von Cybergrooming betroffen

    Die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen hatte im Mai darauf aufmerksam gemacht, dass Erwachsene anhaltend versuchen, im Internet sexuelle Kontakte zu Minderjährigen anzubahnen. Demnach gab jeder Vierte der befragten 8- bis 17-Jährigen an, schon vom sogenannten Cyber-Grooming betroffen gewesen zu sein.
    In der Anonymität des Internets sei es leicht für Täter, sich Kindern und Jugendlichen anzunähern, hieß es. Eine Strategie beim Cyber-Grooming sei, sich zunächst als Gleichaltrige auszugeben und das wahre Alter erst dann zu nennen, wenn das Vertrauen eines Kindes oder Jugendlichen bereits gewonnen wurde. Laut Medienanstalt muss das Problem noch öffentlicher gemacht werden. Etwa 31 Prozent der Kinder und Jugendlichen hätten noch nie über Cyber-Grooming gesprochen. Kinder müssten frühzeitig lernen, Sicherheitsregeln zu beachten, um sich online vor Angriffen zu schützen.
    Diese Nachricht wurde am 28.08.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.