Christoph Heinemann: Die SPD-Politikerin Christine Bergmann war Bundesfamilienministerin und ist jetzt die unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs. Guten Morgen!
Christine Bergmann: Schönen guten Morgen.
Heinemann: Frau Bergmann, was antworten Sie Herrn Abrantes?
Bergmann: Herr Abrantes hat ja in vielen Punkten recht. Vor allen Dingen hat er den Punkt der rückhaltlosen Aufklärung angesprochen. Ich glaube, das ist wirklich das, was am allernötigsten ist, unabhängig davon jetzt, in welcher Einrichtung diese Fälle von sexuellem Missbrauch bekannt geworden sind, ob das kirchliche Einrichtungen sind, ob das Schulen sind. Wir haben das natürlich genauso auch im familiären Umfeld. Auch da gibt es ja viel Verschweigen, gibt es Schweigekartelle. Ich denke, das muss an der allerersten Stelle stehen.
Ich habe ja in dieser Funktion als unabhängige Beauftragte den Auftrag auch bekommen, Anlaufstelle zu sein für Betroffene von sexuellem Missbrauch beziehungsweise auch Angehörige oder Menschen, denen dies auffällt. Im Moment nehmen wir das schriftlich entgegen, in Bälde werden wir da auch eine telefonische Anlaufstelle sein können, die mit Experten besetzt ist. Wir nehmen das auf, wir sehen in diesen Menschen, die sich melden, ja die betroffenen Experten, die uns dann auch sagen, was hat ihnen gefehlt, was ist ihnen eigentlich passiert und was erwarten sie auch. Ich sehe das als eine wichtige Aufgabe an.
Heinemann: Frau Bergmann, ist die Runde zu groß? 61 Teilnehmer. Wären da zwei Runde Tische nicht besser gewesen?
Bergmann: Es wird zwei Unterarbeitsgruppen geben. Ich habe ja auch nur einen Platz. Ich sitze ja mit an dem Runden Tisch, aber meine Aufgabe zur Aufarbeitung ist sozusagen eine noch mal unabhängig vom Runden Tisch, dem ich dann zuarbeiten werde und von dem ich sicher auch Dinge entgegennehmen werde. Da müssen Arbeitsstrukturen gefunden werden, das ist ganz klar. Mit 61 Menschen kann man nicht im Detail arbeiten. Da wird es Unterarbeitsgruppen geben und da wird man sehen müssen, ist meine Vorstellung, wie man zu einzelnen Themen dann weiterarbeitet. Es liegt ja eine ganze Menge auf dem Runden Tisch.
Heinemann: Miguel Abrantes hat es eben geschildert. Katholische Kirche, Odenwaldschule, Sport - die Verhaltensweisen sind vergleichbar: Vertuschen, Relativieren, die Taktik, als Einzelfälle zu bezeichnen, was offenbar strukturell schief gelaufen ist. Wie kommt man angesichts solcher Verhaltensweisen miteinander überhaupt ins Gespräch?
Bergmann: Wir sehen das ja schon, dass das mittlerweile möglich ist. Das hat natürlich auch zu tun, Herr Abrantes hat das ja angesprochen, mit der breiten öffentlichen Debatte, die sehr wichtig ist, die sensibilisiert dafür, und ich erlebe ja jetzt, dass in vielen Einrichtungen auch selber geguckt wird, was ist bei uns eigentlich los, haben wir Ansprechstellen. Das für mich ja eigentlich Schlimme ist dann noch mal, dass diejenigen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben, eben keine Hilfe gekriegt haben. Bei dem, was bei uns eingeht, sehen wir, dass es wichtig ist erst mal, dass das anerkannt wird als wirklich Unrecht, das denjenigen passiert ist, dass es ausgesprochen wird, dass die Verantwortlichen benannt werden, natürlich auch mit der Erwartung, dass daraus Konsequenzen gezogen werden, dass dieses Schweigen sozusagen gebrochen wird und nach wie vor darauf gedrungen wird, dass wirklich alles auf den Tisch kommt.
Heinemann: Frau Bergmann, "Konsequenzen", sagen Sie. Wie stellen Sie sich Prävention vor?
Bergmann: Wir wissen ja eine ganze Menge schon. In dem Bereich wird ja schon gearbeitet. Herr Abrantes hat ja auch darauf hingewiesen, dass es immer schon auch Fälle gegeben hat, und es ist im rechtlichen Bereich etwas passiert, es gibt eine Beratungsstruktur, die - das können wir jetzt schon sehen - mit Sicherheit nicht ausreicht, um allen Betroffenen schnell und auch wirksam helfen zu können. Ich glaube, das sind die Bereiche, wo man sehr viel weiterarbeiten muss. In der Fortbildung muss viel passieren, ich denke auch an Schulen, Sportvereine und so weiter, wie können diejenigen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, erkennen, dass da vielleicht irgendwas nicht in Ordnung ist, nicht nur mit ihren eigenen Leuten, die da arbeiten, sondern auch sexuellen Missbrauch im familiären Umfeld, der sich ja auch im Verhalten von Kindern dann niederschlägt. Hier ist sehr viel, denke ich, noch nachzuholen, vor allen Dingen an Aufklärungs-, an Fortbildungsarbeit, damit den Betroffenen dann wirklich wirksamer und besser geholfen werden kann.
Heinemann: Kann Prävention gelingen, wenn Schülerinnen und Schüler bei ihren Eltern kein Gehör finden? Es gibt ja dieses Zerrbild der Erziehungsberechtigten, nämlich die von Ehrgeiz zerfressenen Tenniseltern, die dann eben alles in Kauf nehmen. Das ist aber nicht nur im Sport so.
Bergmann: Wir erleben jetzt - das sagen mir jedenfalls die Beratungseinrichtungen -, dass auch sehr viel mehr Fremde, Familienfremde mit Hinweisen kommen, dass also die gesamte Gesellschaft doch ein Stück mehr sensibilisiert ist und hinguckt, was passiert. Da sind eben gerade auch Schulen und Kitas und Sportvereine so wichtig, dass dort, wo in den Familien geschwiegen wird - und da wird eben genauso geschwiegen wie auch in Institutionen oder werden Kinder nicht geschützt, weil man nicht möchte, dass dieses an die Öffentlichkeit kommt, und gerade diejenigen, die eigentlich die meiste Unterstützung brauchen, dann auch noch hilflos dastehen -, hier, glaube ich, ist das eine Frage natürlich, wie man mit Eltern auch arbeitet, auch Eltern in die Lage versetzt, aber auch, wie alle Einrichtungen, in denen Kinder ja sind, mit aufmerksam sind. Mir erzählte vor Kurzem eine Frau, dass in ihrer Schule, in der Schule ihres Kindes, über sexuellen Missbrauch gesprochen wurde, Grundschule, und hinterher kam ein Mädchen zu der Lehrerin und sagte, so was macht mein Opa immer mit mir. Da sieht man, wie wichtig das ist auch zur Aufklärung, damit den Kindern dann auch geholfen werden kann, dass wirklich breit auch darüber geredet wird.
Christine Bergmann: Schönen guten Morgen.
Heinemann: Frau Bergmann, was antworten Sie Herrn Abrantes?
Bergmann: Herr Abrantes hat ja in vielen Punkten recht. Vor allen Dingen hat er den Punkt der rückhaltlosen Aufklärung angesprochen. Ich glaube, das ist wirklich das, was am allernötigsten ist, unabhängig davon jetzt, in welcher Einrichtung diese Fälle von sexuellem Missbrauch bekannt geworden sind, ob das kirchliche Einrichtungen sind, ob das Schulen sind. Wir haben das natürlich genauso auch im familiären Umfeld. Auch da gibt es ja viel Verschweigen, gibt es Schweigekartelle. Ich denke, das muss an der allerersten Stelle stehen.
Ich habe ja in dieser Funktion als unabhängige Beauftragte den Auftrag auch bekommen, Anlaufstelle zu sein für Betroffene von sexuellem Missbrauch beziehungsweise auch Angehörige oder Menschen, denen dies auffällt. Im Moment nehmen wir das schriftlich entgegen, in Bälde werden wir da auch eine telefonische Anlaufstelle sein können, die mit Experten besetzt ist. Wir nehmen das auf, wir sehen in diesen Menschen, die sich melden, ja die betroffenen Experten, die uns dann auch sagen, was hat ihnen gefehlt, was ist ihnen eigentlich passiert und was erwarten sie auch. Ich sehe das als eine wichtige Aufgabe an.
Heinemann: Frau Bergmann, ist die Runde zu groß? 61 Teilnehmer. Wären da zwei Runde Tische nicht besser gewesen?
Bergmann: Es wird zwei Unterarbeitsgruppen geben. Ich habe ja auch nur einen Platz. Ich sitze ja mit an dem Runden Tisch, aber meine Aufgabe zur Aufarbeitung ist sozusagen eine noch mal unabhängig vom Runden Tisch, dem ich dann zuarbeiten werde und von dem ich sicher auch Dinge entgegennehmen werde. Da müssen Arbeitsstrukturen gefunden werden, das ist ganz klar. Mit 61 Menschen kann man nicht im Detail arbeiten. Da wird es Unterarbeitsgruppen geben und da wird man sehen müssen, ist meine Vorstellung, wie man zu einzelnen Themen dann weiterarbeitet. Es liegt ja eine ganze Menge auf dem Runden Tisch.
Heinemann: Miguel Abrantes hat es eben geschildert. Katholische Kirche, Odenwaldschule, Sport - die Verhaltensweisen sind vergleichbar: Vertuschen, Relativieren, die Taktik, als Einzelfälle zu bezeichnen, was offenbar strukturell schief gelaufen ist. Wie kommt man angesichts solcher Verhaltensweisen miteinander überhaupt ins Gespräch?
Bergmann: Wir sehen das ja schon, dass das mittlerweile möglich ist. Das hat natürlich auch zu tun, Herr Abrantes hat das ja angesprochen, mit der breiten öffentlichen Debatte, die sehr wichtig ist, die sensibilisiert dafür, und ich erlebe ja jetzt, dass in vielen Einrichtungen auch selber geguckt wird, was ist bei uns eigentlich los, haben wir Ansprechstellen. Das für mich ja eigentlich Schlimme ist dann noch mal, dass diejenigen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben, eben keine Hilfe gekriegt haben. Bei dem, was bei uns eingeht, sehen wir, dass es wichtig ist erst mal, dass das anerkannt wird als wirklich Unrecht, das denjenigen passiert ist, dass es ausgesprochen wird, dass die Verantwortlichen benannt werden, natürlich auch mit der Erwartung, dass daraus Konsequenzen gezogen werden, dass dieses Schweigen sozusagen gebrochen wird und nach wie vor darauf gedrungen wird, dass wirklich alles auf den Tisch kommt.
Heinemann: Frau Bergmann, "Konsequenzen", sagen Sie. Wie stellen Sie sich Prävention vor?
Bergmann: Wir wissen ja eine ganze Menge schon. In dem Bereich wird ja schon gearbeitet. Herr Abrantes hat ja auch darauf hingewiesen, dass es immer schon auch Fälle gegeben hat, und es ist im rechtlichen Bereich etwas passiert, es gibt eine Beratungsstruktur, die - das können wir jetzt schon sehen - mit Sicherheit nicht ausreicht, um allen Betroffenen schnell und auch wirksam helfen zu können. Ich glaube, das sind die Bereiche, wo man sehr viel weiterarbeiten muss. In der Fortbildung muss viel passieren, ich denke auch an Schulen, Sportvereine und so weiter, wie können diejenigen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, erkennen, dass da vielleicht irgendwas nicht in Ordnung ist, nicht nur mit ihren eigenen Leuten, die da arbeiten, sondern auch sexuellen Missbrauch im familiären Umfeld, der sich ja auch im Verhalten von Kindern dann niederschlägt. Hier ist sehr viel, denke ich, noch nachzuholen, vor allen Dingen an Aufklärungs-, an Fortbildungsarbeit, damit den Betroffenen dann wirklich wirksamer und besser geholfen werden kann.
Heinemann: Kann Prävention gelingen, wenn Schülerinnen und Schüler bei ihren Eltern kein Gehör finden? Es gibt ja dieses Zerrbild der Erziehungsberechtigten, nämlich die von Ehrgeiz zerfressenen Tenniseltern, die dann eben alles in Kauf nehmen. Das ist aber nicht nur im Sport so.
Bergmann: Wir erleben jetzt - das sagen mir jedenfalls die Beratungseinrichtungen -, dass auch sehr viel mehr Fremde, Familienfremde mit Hinweisen kommen, dass also die gesamte Gesellschaft doch ein Stück mehr sensibilisiert ist und hinguckt, was passiert. Da sind eben gerade auch Schulen und Kitas und Sportvereine so wichtig, dass dort, wo in den Familien geschwiegen wird - und da wird eben genauso geschwiegen wie auch in Institutionen oder werden Kinder nicht geschützt, weil man nicht möchte, dass dieses an die Öffentlichkeit kommt, und gerade diejenigen, die eigentlich die meiste Unterstützung brauchen, dann auch noch hilflos dastehen -, hier, glaube ich, ist das eine Frage natürlich, wie man mit Eltern auch arbeitet, auch Eltern in die Lage versetzt, aber auch, wie alle Einrichtungen, in denen Kinder ja sind, mit aufmerksam sind. Mir erzählte vor Kurzem eine Frau, dass in ihrer Schule, in der Schule ihres Kindes, über sexuellen Missbrauch gesprochen wurde, Grundschule, und hinterher kam ein Mädchen zu der Lehrerin und sagte, so was macht mein Opa immer mit mir. Da sieht man, wie wichtig das ist auch zur Aufklärung, damit den Kindern dann auch geholfen werden kann, dass wirklich breit auch darüber geredet wird.