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Missbrauchskandal in Großbritannien
Vorverurteilung oder saubere Recherche

Edward Heath, ehemaliger britischer Premier, und andere hochrangige Politiker sollen Jugendliche missbraucht, gefoltert und ermordet haben. Einziger Zeuge ist Nick, einer der angeblichen Opfer. Doch nun wird der Vorwurf laut, die Aussagen von Nick seinen nicht sauber von der Polizei und der BBC geprüft worden.

Von Friedbert Meurer |
    Ein Haus mit Luxusappartements mitten in London, nicht weit entfernt vom Unterhaus in Westminster. Was dort in den 1970er- und 1980er-Jahren geschehen sein soll, sprengt jede Vorstellungskraft. Pädophile sollen hier Jungen nicht nur sexuell missbraucht haben, sondern stranguliert, gefoltert und ermordet. Die Verdächtigen, so verkündete die BBC im Juni, seien Top-Leute aus Politik, Militär, Geheimdienste und Polizei.
    "Die Polizei ermittelt gegen einflussreiche Personen im Zusammenhang mit einem Pädophilenring und dem Mord an drei Jungen. Jetzt werden weitere Zeugen gesucht."
    Ein Zeuge alias Nick offenbarte sich der BBC und einer investigativen Internetplattform. Die Polizeibeamten, die Nicks Aussage aufnahmen, seien von der Glaubwürdigkeit des Zeugen und Opfers überzeugt.
    "Die Männer in dem Haus haben mir damals Angst eingejagt, die ich körperlich überall verspürte. Die Täter waren mächtige Leute, auch aus dem politischen Establishment."
    Es dauerte nicht lange und Namen wurden genannt: Unter anderem der von Edward Heath, der von 1970 bis 1974 für die Konservativen Premierminister war. Er soll bei Folter, Mord und sexuellem Missbrauch mitgewirkt oder zumindest dabei gewesen sein. Ein beispielloser Vorwurf, der sich gegen weitere frühere Politiker, Geheimdienstchefs und ranghohe Polizisten richtete. Wieder sorgte der Fall für Schlagzeilen:
    "Das ist der vielleicht sensibelste Fall überhaupt, berichtete der TV-Reporter vor dem Gebäude von Scotland Yard. Er geht auf die Vorwürfe eines Mannes, genannt Nick; zurück, der in den 1970er- und 1980er-Jahren von wichtigen Persönlichkeiten missbraucht worden sein soll."
    Augenzeuge Nick ist selbst Opfer
    Nick beschreibt dann in der Sendung exakt, wie er Zeuge wurde, als ein Politiker – nicht Heath - einen Jungen sexuell missbraucht und dabei zu Tode stranguliert habe. Sie seien immer vorher von einem Chauffeur abgeholt worden, ein 12-jähriger anderer Junge saß neben ihm, auch er wurde vor den Augen von Nick angeblich ermordet.
    Bislang weiß die Polizei nicht, wer die ermordeten Jungen gewesen sein sollen. Es gibt keine Namen, keine Vermissten. Es wurden auch keine Leichen gefunden. Der frühere konservative Abgeordnete Harvey Proctor ging Ende August an die Öffentlichkeit, berichtete von Verhören durch die Polizei und sprach von einer Hexenjagd gegen Homosexuelle.
    "Ich lebe in einem unerträglichen Zustand, der von einer anonymen Person verursacht wird. Diese Person erhebt völlig unwahre Vorwürfe gegen mich. Niemand, ich wiederhole, niemand steht über dem Gesetz. Aber genauso haben unschuldige Menschen einen Anspruch auf Gerechtigkeit. Wir werden zu Unrecht verdächtigt und vorverurteilt – hochgestellte Persönlichkeiten, von denen viel tot sind und die sich nicht mehr wehren können."
    Polizist spricht von voreiliger Vorverurteilung
    Kurz danach wandte sich Mark Williams-Thomas an die Presse- ein landesweit bekannter Polizist, der den Missbrauchsskandal um den früheren BBC-Starmoderator Jimmy Savile untersucht hat. Williams-Thomas wirft der zuständigen Polizeiabteilung vor, voreilig und unverantwortlich die Vorwürfe von Nick veröffentlicht und schlecht geprüft zu haben. Die "Daily Mail" berichtete, die zuständigen Polizisten im Fall Nick glaubten ihrem Zeugen nicht mehr – sie trauten sich aber nicht, die Untersuchungen einzustellen. Wer also lügt? Das angebliche Opfer Nick? Er spricht von einem lebenslangen Trauma das, er erlitten habe.
    Aber was ist mit dem Trauma, wenn Unschuldige als pädophile Mörder angeprangert werden? Die BBC-Redaktion Panorama plant einen Bericht, der Nick in einem anderen Licht darstellt. Aber die Senderverantwortlichen hielten den Bericht erst einmal zurück – aus Angst vor einem neuen Medienskandal, ähnlich wie bei der BBC Legende Jimmy Savile.