Die Prävention steht erst am Anfang. Fünf Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals am Berliner Canisiuskolleg verfügt erst jede zehnte Schule in Deutschland über ein Schutzkonzept. Sprich: Nur zehn Prozent der Schulen haben einen Ansprechpartner für ihre Kinder benannt, haben Lehrerinnen und Lehrer fortgebildet und die Risiken an der eigenen Schule analysiert. Diese Zahl nannte heute der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig.
"Es ist natürlich ein umfassender Prozess, ein schwieriger Prozess, Prävention zu gewährleisten. Aber wir müssen jetzt die Anstrengungen unbedingt erhöhen und beschleunigen. Und ich bin da mit der Kultusministerkonferenz und den einzelnen Kultusministerinnen und Ministern im Gespräch, um hier tatsächlich schnell Verbesserungen für die Kinder und Jugendlichen, besseren Schutz vor sexualisierter Gewalt zu ermöglichen."
In Zukunft soll verhindert werden, dass sich einschlägig vorbestrafte pädophile Täter einen ungehinderten Zugang zu Kindern erschleichen. Jeder, der mit Jungen und Mädchen arbeitet, braucht deshalb ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis. So sieht es das überarbeitete Kinderschutzgesetz vor. Aber auch hier hakt es mit der Umsetzung. Johannes Wilhelm Rörig:
"Bezogen auf den schulischen Bereich muss man vor Augen haben, dass es jeweils landeseigene Regelungen gibt. Es gibt Schulgesetze, die eine Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses zwingend vorsehen, andere noch nicht, da bin ich auch dafür, dass da schnell eine Einheitlichkeit hergestellt wird."
Die betroffenen kirchlichen Schulen, die Internate, die Heime sind höchst unterschiedlich mit dem Missbrauchsskandal in den eigenen Reihen umgegangen. Während am Berliner Canisiuskolleg weitgehend Ruhe eingekehrt ist, drohte die von der Reformpädagogik geprägte Odenwaldschule zu zerbrechen. Adrian Koerfer, einer der Betroffenen:
"Nur die wenigsten haben begriffen, dass ohne eine Aussöhnung mit den Opfern eine Zukunft dieser Schule nahezu unmöglich erscheint. Die Sprachlosigkeit der Schulverantwortlichen macht uns weiter fassungslos. Wir haben bis dato keine Ansprechpartner."
Die Professorin für Sozialpädagogik Sabine Andresen vermisst eine Debatte innerhalb der Erziehungswissenschaft. Hat die Reformpädagogik den sexuellen Missbrauch befördert?
"Es hat eine große Aufregung gegeben in der Erziehungswissenschaft, aber die ist verhallt. Ich denke, dass die Forschung da wirklich gefordert ist, sich selbstkritisch in den Blick zu nehmen und zu gucken: Was ist denn der Anteil einer spezifischen Reformpädagogik? Und hier ist es eher ein verhaltenes Arbeiten an der Aufarbeitung."
Nach der ersten großen Aufregung vor fünf Jahren sind die Forderungen der Betroffenen ungehört verhallt – so sieht es auch Adrian Koerfer, Betroffener der Odenwaldschule.
"Wir sind noch nicht sehr weit gekommen. Wir haben eine gewisse Veränderung in der öffentlichen Wahrnehmung erreicht. Aber in den einzelnen Schulen, Internaten, Sportverbänden, Kirchen, sind wir noch nicht sehr weit gekommen. Umso wichtiger ist eine öffentliche Aufarbeitung der Missbrauchsfälle."
Eine entsprechende Kommission könnte im nächsten Jahr eingerichtet werden – am Freitag berät der Bundestag über dieses Thema.