"Es gibt keine Beweise gegen den Bischof Barros. Das ist alles Verleumdung. Ist das klar?" sagt Papst Franziskus während seines Besuchs in Chile zu einer Journalistin und sorgt damit für Empörung. Der chilenische Bischof Juan Barros soll den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch den Priesterausbilder Fernando Karadima vertuscht haben. Trotzdem nimmt Barros während des Papstbesuchs an den Gottesdiensten teil und Papst Franziskus nimmt ihn mehrfach öffentlich in Schutz. Der heute 87-jährige Karadima wurde 2011 vom Vatikan für schuldig befunden und zu einem "Leben in Buße und Gebet" verurteilt. Aber von der chilenischen Justiz wurde er nie strafrechtlich belangt. Die Mitwisser und Vertuscher sind immer noch in ihren Ämtern. Das kritisieren Missbrauchsopfer wie José Andrés Murillo.
"Bischof Barros war über 40 Jahre Teil des engsten Kreises vom Priester Karadima. Dieser wurde von der Kirche wegen sexuellen Missbrauchs, Machtmissbrauchs und Manipulation verurteilt, weil er eine Sekte gegründet hat, die von der Kirche selbst aufgelöst wurde. Niemand hat die Teilnahme von Barros an diesem Kreis widerlegt. Wir als Zeugen haben ausgesagt, dass Bischof Barros anwesend war während des psychologischen und sexuellen Missbrauchs durch den Priester Karadima. Er wusste von dem Missbrauch, aber er hat den Priester nie angezeigt."
Wenig Vertrauen in Kirche und Papst
Álvaro Ramis ist Theologe und lehrt an der Fakultät für Philosophie und Humanwissenschaften der Universidad de Chile. Er erklärt, dass der Fall Karadima mit der engen Verflechtung der katholischen Kirche und der wirtschaftlichen Elite in Chile zusammenhängt.
"Die ersten Vorwürfe gab es in den 80er Jahren, aber sie führten zu Nichts, weil der Priester Karadima der Kirche viele wirtschaftliche Vorteile brachte durch Spenden, da er Freundschaften zu mächtigen Unternehmergruppen pflegte. Er warb außerdem erfolgreich junge Männer aus hohen sozialen Schichten für das Priesteramt an, die auch wiederum viele Kontakte hatten, um Spenden für die Kirche zu erwerben. Was damals niemand wusste war, dass Karadima diese jungen Männer für seine Sekte manipulierte und indoktriniert. Der sexuelle Missbrauch war der letzte Preis, den sie zahlen mussten, um zur Gruppe zu gehören."
Als die Missbrauchsfälle Jahre später ans Licht kamen, stürzte die katholische Kirche in Chile in eine Glaubwürdigkeitskrise. 1995 erklärten sich noch 74 Prozent der Chilenen für katholisch, heute sind es nur noch 45 Prozent. Umfragen zufolge ist Chile das lateinamerikanische Land, in dem man der katholischen Kirche am wenigsten vertraut und den Papst am schlechtesten bewertet. Papst Franziskus geriet schon vor seinem Besuch in Chile in schlechtes Licht. Denn 2015 ernannte er der Karadima-Vertrauten Juan Barros zum Bischof von Osorno.
Obwohl der Pontifex es abstreitet, ist es möglich, dass er 2015 bereits von der Verstrickung von Barros in die Missbrauchsfälle wusste. Denn eines der Opfer von Karadima, Juan Carlos Cruz, hatte dem Papst 2015 einen achtseitigen Brief geschrieben, den er nach dem Papst-Besuch in einer chilenischen Zeitung veröffentlichte. Franziskus entschuldigte sich zwar noch bei den Opfern für seine Wortwahl während des Besuchs in Chile. Aber das war für viele Missbrauchsopfer nicht genug. James Hamilton fordert den Papst zum Handeln auf.
"Die Worte von Entschuldigung, Scham und Schmerz, die der Papst während seines Besuchs ausgedrückt hat, müssen sich in konkrete Aktionen verwandeln. Damit alle aus den Reihen der Kirche beseitigt werden, die das Machtungleichgewicht ausgenutzt haben, um Kinder und Jugendliche zu missbrauchen. Und auch alle, die diese Missbrauchsfälle aktiv oder passiv vertuscht haben."
Gravierende Fehler bei der Aufarbeitung
Nach seiner Rückkehr nach Rom setzt Papst Franziskus den maltesischen Erzbischof Charles Scicluna als Ermittler ein, um Opfer sexuellen Missbrauchs und Zeugen zu dem Fall anzuhören und Vertuschungsvorwürfe aufzuklären. Scicluna überreicht dem Papst im April einen über 2300 Seiten langen Bericht mit 64 Zeugenaussagen. Der Bericht habe "Schmerz und Scham" ausgelöst, erklärt Franziskus in einem Brief, den er an die Chilenische Bischofskonferenz richtet. Er entschuldigt sich außerdem für seinen Umgang mit dem Missbrauchsfall: "Ich räume ein, dass ich bei der Bewertung und Wahrnehmung der Situation schwere Irrtümer begangen habe, vor allem aus Mangel an wahren und ausgewogenen Informationen", steht in dem Brief. Fernando Ramos, Sprecher der Chilenischen Bischofskonferenz, sagt nach der Sondersitzung der Bischöfe:
"Ich kenne nicht die genauen Informationen und wo und wie diese Informationen nicht weitergegeben wurden. Aber wenn der Papst sagt, dass er mangelnde Informationen erhalten hat, dann ist etwas schiefgelaufen. Wir müssen ein Mea Culpa aussprechen."
Papst Franziskus hat die gesamte chilenische Bischofskonferenz zu einem außerordentlichen Besuch im Mai in den Vatikan bestellt. Für den Theologen Álvaro Ramis zeigt das, dass der Fall globale Dimensionen angenommen habe und der Papst deshalb zum Handeln gezwungen sei.
"Die Verantwortung hat jetzt nicht mehr der Papst, sondern die Informanten. Und diese Informanten sind der ehemalige Erzbischof von Santiago Francisco Errázuriz, der Apostolische Nuntius in Chile Ivo Scapolo, der aktuelle Erzbischof von Santiago Ricardo Ezzati und sicherlich noch weitere Bischöfe. Die starke Aufmerksamkeit, der Aufruf zu Ordnung und dass die gesamte Bischofskonferenz im Mai nach Rom reist, zeigt, dass es hier um eine kollektive Verantwortung geht. Die gesamte chilenische Bischofskonferenz hat falsche Informationen weitergegeben."
Wie es weitergeht, das hänge davon ab, was im Mai in Rom geschieht, sagt Álvaro Ramis. Einen Personalwechsel innerhalb der Bischofskonferenz und ein Mea Culpa hält er für unausweichlich. Nicht nur die Bischöfe, sondern auch die Opfer von Karadima hat Papst Franziskus in den Vatikan eingeladen. Drei von ihnen reisen Ende April nach Rom.