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Missglücktes Experiment
Angriff der Killerfrösche

Alexander Nitzberg übersetzt nach und nach das Werk von Michail Bulgakow, allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge. 2014 erschien die temporeiche Farce "Das hündische Herz". Nun folgt aus derselben frühen Schaffensperiode "Die verfluchten Eier", ein Kurzroman, der von einem missglückten Experiment und dessen Folgen erzählt.

Von Jörg Plath |
    Der russische Schriftsteller Michail Bulgakow
    Der Kurzroman "Die verfluchten Eier" von Michail Bulgakow weist nicht wenige Ähnlichkeiten mit dessen früheren Roman "Das hündische Herz" auf. (picture alliance / RIA Novosti)
    Ein genialisch-schrulliger Professor macht in der jungen revolutionären Sowjetunion eine Entdeckung, die zu größten Hoffnungen wie Befürchtungen berechtigt. Das Gute wie das Schlechte tritt auch ein, bevor nach einigen Verwicklungen der Anfangszustand fast wieder hergestellt wird.
    Der Kurzroman "Die verfluchten Eier" von Michail Bulgakow weist nicht wenige Ähnlichkeiten mit "Das hündische Herz" auf, dem im letzten Jahr vom Übersetzer Alexander Nitzberg im Verlag Galiani Berlin vorgelegten Kurzroman. Doch so viel Freude die temporeiche Farce "Das hündische Herz" machte, nicht zuletzt wegen der sprachlich angemessen angeschärften Übersetzung von Alexander Nitzberg, so viel Vorbehalte weckt nun "Die verfluchten Eier".
    "Am 1. Juni wurde die Kamera in Pfirsichows Kabinett aufgestellt, er fing an, mit Froschlaich zu experimentieren, welchen er dem Strahl aussetzte. Die Resultate dieser Experimente waren mehr als verblüffend.
    Nach Ablauf von nur zwei Tagen entschlüpften dem Froschlaich Tausende Kaulquappen. Doch nicht genug: Binnen 24 Stunden wuchsen die Kaulquappen immens an – zu Fröschen, derart gefräßig und wild, dass deren eine Hälfte sofort von der anderen Hälfte vertilgt wurde. Dafür begannen die Hinterbliebenen, ungeachtet jeglicher Fristen zu laichen und erzeugten im Verlauf von zwei Tagen, diesmal ohne Strahleneinwirkung, eine neue Generation – und zwar eine ganz und gar unermessliche.
    Im Kabinett des Wissenschaftlers begann etwas schier Unvorstellbares: Die Kaulquappen krabbelten aus dem Kabinett heraus, verteilten sich im gesamten Institut, überall – am Boden, in den Terrarien – krakeelten kräftige kehlige Chöre – fast wie im Sumpf. (...) Endlich gelang es, die überkochende sumpfige Brut mit Gift auszumerzen und die Räumlichkeiten zu lüften."
    Frösche statt Hühner
    Professor Pfirsichow hat durch Zufall den roten "Strahl des Lebens" entdeckt. Und weil eine Seuche just eben sämtliche Hühner der Sowjetunion hinweggerafft hat, will die Staatsmacht seine Erfindung zur beschleunigten Wiedereinführung des Geflügels nutzen.
    Doch bedauerlicherweise wird die Lieferung der Hühnereier an die eilig gegründete Mustersowchose Roter Strahl vertauscht. Deren Vorsitzender mit dem sprechenden Namen Alexander Semjonowitsch Vluch erhält stattdessen die für Pfirsichow, den Amphibien- und Reptilienforscher, bestimmten Eier, sodass das ahnungslose kommunistische Faktotum riesenhafte Schlangen, Frösche und Krokodile heranzüchtet, die alsbald hungrig auf Moskau vorrücken und alles Leben auslöschen.
    "Eine höllische Ostergeschichte" nennt Übersetzer Alexander Nitzberg in seinem Nachwort den Kurzroman, weil Bulgakow ihn am 16. April 1928, am Ostermontag, beginnen lasse, weil mit Vluch der Leibhaftige auftrete, die Hölle im Mikroskop verortet werde, die gewaltigen Frösche im Labor des Professors erstmals am Pfingstsonntag erschienen und sofort.
    Durchhänger und Unwahrscheinlichkeiten
    Bulgakows Begeisterung für das Christentum ist ja aus "Meister und Margarita" bekannt. Einmal fällt gar ein Sonnenstrahl auf den "Helm Christi", was der gemeinhin weichlockigen Ikonografie des Jünglings neue Züge hinzufügt.
    Allerdings lässt der nicht immer unaufdringliche Anspielungshorizont die zoologische Verwechslungsgeschichte unversehens dürftig erscheinen, nicht zuletzt wegen einiger dramaturgischer Durchhänger und Unwahrscheinlichkeiten.
    Unklar bleibt, warum ausgerechnet Pfirsichow, ungeachtet seiner Beteuerungen, kein Spezialist zu sein, mit der erfolglosen Bekämpfung der Hühnerseuche betraut wird, und Vluch ist eine naive Witzfigur. Ihm fehlt die wunderbare Bösartigkeit des Hundes in "Das hündische Herz", der nach Versuchen eines anderen Professors zum Menschen wird, sich passenderweise "Lumpikow" nennt und gerissen kommunistische Machtpolitik treibt.
    Man kann die sowjetische Zensur schon verstehen, die beim "Hündischen Herz" und dem Erstling "Die weiße Garde" den Daumen senkte, Bulgakow aber "Die verfluchten Eier" 1925 in einem Almanach publizieren ließ.
    Wackere Helden der Revolution als Kreuzfahrer
    In "Die verfluchten Eier" fasziniert eher als die klappernde Handlung die Schilderung der großen Stadt, in der aufdringlich-sinistre Journalisten Riesensprachrohre und Bildwerfer beliefern, die die jüngsten Neuigkeiten von den Hochhäusern hinab in die Straßen trompeten und projizieren. Als dann Panik vor den sich nähernden Teufelsausgeburten ausbricht, bietet Bulgakow die wackeren Helden der Revolution wie Kreuzfahrer auf.
    "Am Morgen zog durchs schlaflose Moskau, das nicht ein einziges Licht gelöscht hatte, die Twerskaja hinauf, alles niederschmetternd, was sich ihr in den Weg stellte, was sich, die Fensterscheiben zerstoßend, in die Hauseingänge und Vitrinen schob, die ungezählte, mit den Hufen auf dem Holzpflaster zirpende Schlange der Reiterarmee.
    Himbeerfarbene Kapuzen ließen ihre Zipfel auf den grauen Rücken baumeln, und die Spitzen der Lanzen stichelten den Himmel. Die tobende und tosende Menge belebte sich gleich, sobald sie sah, wie die nach vorn drängenden Reihen das verströmte Psychosegebräu durchkreuzten. In der Menge auf den Bürgersteigen begann man anfeuernd, voll Hoffnung zu heulen."
    Bequeme Auflösung
    Doch nicht die sagenhafte Reiterarmee des General Budjonny bringt die Rettung, sondern ein starker Frost, und danach erschlagen die Davongekommenen Professor Pfirsichow. Michail Bulgakow macht also auf recht bequeme Weise reinen Tisch.
    Das sub-subtile Ende verstärkt den Eindruck, dass auch moderne sprachliche Mittel, von Alexander Nitzberg wieder mit Witz und Verve im Deutschen nachgebildet, eine – bleiben wir den sumpfigen Gefilden der Lieblingstierchen von Professor Pfirsichow treu – dumpfe Krötenfarce nicht zum strahlenden Schwanenroman wachküssen können.

    Bibliografische Angaben:
    Michail Bulgakow: "Die verfluchten Eier",
    Aus dem Russischen neu übersetzt von Alexander Nitzberg
    (Galiani Berlin)